Selbst-Andere-Differenzierung/Selbst-Andere-Unterscheidung

  • Hallo liebe Autismus-SpezialistInnen,


    mein kleiner Prinz spricht mit seinen 3,5 Jahren nach wie vor in der zweiten Person sg. von sich selbst, auf Fotos oder im Spiegel erkennt er sich, sagt jedoch spontan seinen Vornamen. Nur wenn ich ihn frage: Ja, aber wie musst DU da sagen? Dann sagt er "Das bin ich". Das ist bei ganz vielen Aussagen über sich selbst so. Wenn ich ihn daran erinnere, dann sagt er "ich" oder "mir" oder "mich", was auch immer. Aber spontan eben nicht.


    In dem Buch "Theory of Mind. Neurobiologie und Psychologie sozialen Verhaltens" steht, dass in verschiedenen Studien der Zusammenhang von Empathievermögen und dem Selbsterkennen im Spiegel bestätigt wurde.


    Kann man denn nun davon ausgehen, dass mein Sohn sich selbst bereits erkennt, und es bei ihm ein linguistisches Problem ist, dass er in der zweiten Person von sich spricht? Oder ist das Sprechen in der 2. bzw. bei Fotos/im Spiegel 3. Person der Beweis dafür, dass er sich eben noch nicht selbst erkennt? Wie ist/war das bei euren Kindern? Hat jemand einen Tipp, wie ich ihn da gut fördern kann? Momentan zeige ich immer sehr viel mit dem Finger, auch bei seiner kleinen Schwester, und hoffe, dass "der Knopf aufgeht". Kennt von euch überhaupt auch jemand diese Problematik?


    Ich brenne wirklich schon so darauf, mich irgendwann endlich über SICH SELBST mit ihm unterhalten zu können und hoffe so sehr, dass dieser Tag einmal kommt ...


    Danke für eure Meinungen/Kommentare! :thx

  • Hallo Michie,


    ich kann Dir nur von uns berichten, meiner hat mit 4 noch von sich selbst in der 3. Person gesprochen, also: "der xxx hat...", auch bei mir: "die Mama hat..." Immer, statt: "ich habe/du hast"
    Ich habe es auch immer wieder korrigiert, so wie Du auch und irgendwann so mit 4,5 wurde es besser und verschwand schließlich ganz.


    Ich denke, das kommt schon noch beim kleinen Prinz :)


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    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Hallo Michie,


    mein Sohn hat noch bis weit ins Schulalter "ich" und "du" vertauscht (nicht verwechselt), weil er quasi den Text souffliert hat, den er gerne hören möchte. Und er spricht noch heute überwiegend von sich in der dritten Person.
    Diese Selbst-Andere-Differenzierung, das heißt nur auf der einfachsten Ebene, dass man sich selber im Spiegel erkennt.
    Der Hans hat da nach wie vor sozusagen keine scharfe Abgrenzung, hat sozusagen eine löchrige Hülle. Er spürt sich selber, sein Ich, nicht so gut wie andere, nichtautistische Kinder.
    Da merkte man zum Beispiel daran, dass die Emotionen anderer Kinder für ihn gleich überfordernd waren wie die eigenen. Dass es für ihn genauso schlimm war, wenn ein anderes Kind geschimpft wird, als wenn man ihn selber schimpft.


    Wir haben viel mit der Ergo und auch in der Einrichtung an der Wahrnehmung, der Handlungsfähigkeit (Stichwort Handlungsplan) und dem Erfahren von Selbstwirksamkeit gearbeitet, und der Hans wird ja auch einfach älter, entwickelt sich, deshalb kann er das jetzt schon etwas besser aushalten. Daran merke ich, dass sich auch die Selbst-Andere-Differenzierung verbessert.


    Spontan über "sich selbst" und seine Wahrnehmungen, Empfindungen, mit anderen zu sprechen, ist schon ganz schön anspruchsvoll, da haben auch viele erwachsene Autisten Schwierigkeiten, denn das bleibt oft alles schwer auseinanderzuhalten, und wenn man das über die Ratio machen muss, dann gilt es vieles abzuwägen, und es drohen Gedankenkreisel ... Ein Gespräch darüber hat ja meist auch mir den Erwartungen anderer, und mit den gesellschaftlichen Erwartungen zu tun, und da wird es schon kompliziert. Ich glaube, man kann einem Kind da helfen, indem man versucht, streng auf der Sachebene zu bleiben (Das Kommunikationsmodell von Thun hilft mir da beim Sortieren)


    jedenfalls ein ganz wichtiges und spannendes Thema :)

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

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  • Danke für eure Antworten! Das beruhigt mich ja schon einmal, dass es auf jeden Fall auch bei euren Kindern ein Thema ist/war. Ich übe mit ihm sogar so gewisse Frage/Antwort-Spiele à la "Wie heißt du?", "Wie heiße ich?", das klappt schon ganz gut, ist aber nur "auswendig gelernt", das ist mir schon bewusst.
    Er imitiert gerade Sprache echt gut, vielleicht bringt ihm da auch der bevorstehende Kindergartenstart eine gute Vorlage. Ich stelle mir einfach immer die "neuronale Autobahn" vor und hoffe, dass sich es irgendwann "Klick" macht und er es automatisiert.


    In einem anderen Forum hat mir auch ein Vater erzählt, dass der Sohn das Problem mit dem Schimpfen/Streiten hatte und lange nicht wusste, dass ihn gewisse Streitthemen ja selbst gar nichts angingen, sondern den großen Bruder. Kann das dann auch mit einem Streit zwischen den Eltern so sein, dass das autistische Kind das auf sich bezieht? Mehr noch als NT Kinder das ohnehin auch tun? Wenn mein Mann und ich einen eher unharmonischen Tag hatten miteinander, dann ist es für den kleinen Prinzen kaum auszuhalten, wenn dann nicht ich ihn ins Bett bringe, sondern der Papa. Kann das damit zusammenhängen?


    Für die Handlungsfähigkeit versuche ich ihn ganz intensiv in die Hausarbeit mit einzubeziehen und kommentiere jeden unserer Handgriffe, allerdings "muss" er nur bei immer denselben Aktivitäten mitmachen, das stocke ich nur ganz langsam auf, damit ich ihn nicht überfordere. Ist das ein guter Ansatz, denkt ihr? Fräulein NT macht jedenfalls auch immer mit, von daher profitieren denke ich alle davon. Selbstwirksamkeit erfährt er ja auch, wenn er z. B. mit mir die Karotten/Möhren schält, oder seinen Teller nach dem Essen in die Küche zurücktragen muss, etc., oder? Vor wenigen Monaten noch war es hier praktisch undenkbar, dass er überhaupt irgendwo freiwillig mitmacht, und jetzt hat er sogar schon Spaß an gewissen Tätigkeiten, das freut mich irrsinnig. Nur wenn es um Kreativität geht, bin ich ihm eher lästig als dass ich ihm eine Freude machen würde... Zeichnen, Basteln ... mag er nicht wirklich. Ich tu es trotzdem ab und zu mit ihm und freue mich immer sehr eindrucksvoll über die Resultate.


    Das Band zwischen dem kleinen Prinzen und mir ist wirklich sehr gefestigt, aber es fühlt sich eben schon beinah etwas telepathisch an, ich hätte das so gern expressiver. Vielleicht ist das auch viel zu viel erwartet und ich muss ihn mein Leben lang mit meinen Monologen zutexten, ohne richtigen Austausch mit ihm. Schulz von Thun habe ich glücklicherweise studienbedingt quasi verinnerlicht, aber trotzdem sind da meine Mutteremotionen stärker bzw. aufdringlicher als mein Verstand. Kann das ein Lernprozess sein, der mir einfach noch bevorsteht?


    Schönen Abend allerseits & danke für den Raum, in dem man seine eigenartigsten Zukunftsängste reinwerfen kann!

  • Hallo,


    http://derstandard.at/20000274…koennten-Trugschluss-sein
    der Artikel im Standard über den wissenschaftlichen Fachartikel
    http://rstb.royalsocietypublishing......content/371/1686/20150083
    der Fachartikel selber (engl.)


    Zitat aus dem ersten Link:

    Zitat

    Etwas nachzuempfinden ist aber lediglich ein Aspekt der Empathiefähigkeit. "Eine wichtige weitere Komponente ist die Fähigkeit zu unterscheiden, was mein Gefühlszustand und was der einer anderen Person ist", sagt Lamm. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich dafür der Begriff "Selbst-Andere-Differenzierung" etabliert.


    Diese Forschungsergebnisse deckten sich zu 100% mit meinen Erfahrungen bei Hans. Damit ist dann auch glasklar, dass und warum es ihn so massiv stresst, wenn er Schimpfen, Streiten, Bedrohungen mitbekommt, auch wenn es gar nicht auf ihn gemünzt ist.
    Wenn Dein Sohn auch so gestrickt ist (das trifft wohl nicht auf alle Autisten zu, und das gibt es auch unter Nichtautisten), dann gibt es einen Zusammenhangzwischen den Misstönen bei den Eltern und dem Schwierigsein des Kindes. Bei uns ist das auch ganz klar so.



    Dein Ansatz,ihn in die Hausarbeit usw einzubeziehen, hört sich gut an.



    wegen dem Band zum Kind: Hans verweigert ja grade das "Expressive" sehr ausgeprägt, er will über Beziehungsmässiges nur sehr ungern sprechen. Immerhin, er lernt, und seit einiger Zeit sagt er mir vor dem Einschlafen - zwar ritualisiert, aber es ist ihm sehr wichtig - dass er mich lieb hat. :)
    Eigentlich finde ich aber, dass das feste innige Band am deutlichsten spürbar ist, wenn wir nicht reden, sondern stillschweigend grade etwas machen, das zu seinen Sachen gehört. Einem 12-Uhr-Läuten zuhören, in einer leeren Kirche sitzen, irgendwohin gehen, ...


    viele Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    3 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()


  • Eigentlich finde ich aber, dass das feste innige Band am deutlichsten spürbar ist, wenn wir nicht reden, sondern stillschweigend grade etwas machen, das zu seinen Sachen gehört. Einem 12-Uhr-Läuten zuhören, in einer leeren Kirche sitzen, irgendwohin gehen, ...


    Dieser Satz berührt mich sehr und ich habe dazu ein sehr schönes Bild im Kopf.

  • Enscha, Ella,


    so empfinde ich das auch hier mit meinem Sohnemann!
    ... und in meinem Kopf ist dazu auch ein sehr schönes Bild!
    :)


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    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Damit ist dann auch glasklar, dass und warum es ihn so massiv stresst, wenn er Schimpfen, Streiten, Bedrohungen mitbekommt, auch wenn es gar nicht auf ihn gemünzt ist


    Nein, da ist der kleine Prinz nicht so. Er "schimpft" auch selbst mit der kleinen Schwester, wenn sie eine Regel bricht und sagt "Runter da!" oder "Du Lausmänsch" [Dialekt], bzw. wenn sie schreit (was sie derzeit intensivst übt) meint er "net schreien die XY". Es ist eher so, dass er sich unwohl fühlt, wenn mein Mann und ich nicht harmonieren bzw. Streit miteinander hatten, und er dann quasi "obendrein" nicht wie gewohnt mit mir sondern mit seinem Vater ins Bett gehen soll - trotz entsprechender Vorbereitung. Er wird aber gar nicht "schwierig" dann, das tut er eigentlich ohnehin nur, wenn er etwas nicht bekommt oder nicht darf oder wenn ihm etwas nicht gelingt. Beim letzten Mal hat mein Mann erzählt, dass er wirklich traurig war und lange Zeit geweint hat, weil ich nicht da war. Dabei sage ich den Kindern immer schon beim Frühstück, was ansteht, und wiederhole zusätzlich zum visuellen Tagesplan die einzelnen Punkte immer wieder über den Tag verteilt. Meine Sorge war oder ist vielmehr, dass er vielleicht innerlich den Streit auf sich bezieht. Das tun ja NT Kinder auch. Ich könnte nur z. B. über so etwas nie mit meinem Sohn sprechen. Zwar erkläre ich den Kindern die Umstände immer, aber er würde mir nie sagen, ja Mama, hab ich verstanden, oder sowas in der Art ... Wenn es keinen Streit gibt, dann kann ich mittlerweile bei entsprechender Vorbereitung problemlos aus dem Haus gehen. Aber das hat im Grunde wahrscheinlich gar nichts mit der Selbst-Andere-Differenzierung zu tun.


    Das Bild mit dem Stillschweigen und Verbundensein gefällt auch mir sehr gut, und ich genieße das auch total mit meinem Sohn. Aber ich habe auch einen starken Wunsch, mit ihm über sich selbst zu reden ...

  • Hallo Michie, Enscha, Phila und Ella.
    Ich bin neu in diesem Forum und habe gerade Eure Konversation vom August gelesen. Es hat mich sehr berührt, was Ihr bei Euren Kindern beobachtet habt und wie Ihr es beschreibt. Ich bin selbst Autistin (mit weiteren Behinderungen) und habe noch nie gelesen, wie jemand exakt das beschreibt, was - zumindest in mir - vorgeht bzw. was eben das "Problem" ist.


    Der Hans hat da nach wie vor sozusagen keine scharfe Abgrenzung, hat sozusagen eine löchrige Hülle. Er spürt sich selber, sein Ich, nicht so gut wie andere, nichtautistische Kinder.
    Da merkte man zum Beispiel daran, dass die Emotionen anderer Kinder für ihn gleich überfordernd waren wie die eigenen. Dass es für ihn genauso schlimm war, wenn ein anderes Kind geschimpft wird, als wenn man ihn selber schimpft.


    Ich hätte mein "Problem" nicht besser beschreiben können. Vielen Dank, dass Du es geschafft hast! Ich habe mein ganzes bisheriges Leben darunter gelitten und es wurde nie wirklich besser. Das Schwierige ist, dass die Beschreibung von autistischen Menschen meistens beinhaltet, dass sie eben "gefühlsblind" seien und andere Menschen und deren Gefühle nicht wahrnehmen könnten, andere Menschen als so etwas wie "Mobiliar" betrachten würden. Bis heute wird mir z.B. unterstellt, ich sei "gefühlsblind" oder "bösartig". Ich habe nie verstanden, warum, weil ich dauernd damit beschäftig bin, die vielen Emotionen der anderen zu ordnen und mich davon abzugrenzen, und ich fühle mich immer mit angesprochen, wenn irgendwo Misstöne sind und fühle mich immer verantwortlich dafür. Ich möchte dann immer alles in Ordnung machen und ehrlich gesagt verwende ich, sobald ich in Gesellschaft anderer Menschen bin, den Großteil der Energie darauf, alles "in Ordnung" zu machen für mich und für alle.
    Lynkas grüßt.

  • Hallo Lynkas,


    ich freue mich, dass du dich hier angemeldet hast. :) Ich wünsche dir einen guten und informativen Austausch.
    HERZLICH WILLKOMMEN :welcome-s

    Ich habe nie verstanden, warum, weil ich dauernd damit beschäftig bin, die vielen Emotionen der anderen zu ordnen und mich davon abzugrenzen, und ich fühle mich immer mit angesprochen, wenn irgendwo Misstöne sind und fühle mich immer verantwortlich dafür. Ich möchte dann immer alles in Ordnung machen und ehrlich gesagt verwende ich, sobald ich in Gesellschaft anderer Menschen bin, den Großteil der Energie darauf, alles "in Ordnung" zu machen für mich und für alle.


    Das muss sehr anstrengend sein, wenn du so viel Energie dafür verwendest. Da bleibt dann sicherlich kaum etwas für die Kommunikation und das zwischenmenschliche Miteinander übrig, was deine Mitmenschen dann als unfreundlich, gefühlskalt usw. bezeichnen.
    Hast du den Leuten schon einmal gesagt, was in dir vorgeht?

  • Hallo Lynkas,


    ich freu mich, dass Du Dich hier angemeldet hast, und besonders freu ich mich über Deine Antwort hier.
    Wahrscheinlich geht es vielen Autisten so, dass sie hyperempathisch sind, hyperkonnektiviert, und es ist bloß früher nicht aufgefallen, weil es in der Forschung zuwenig Inneneinsichten gab, zuwenig Austausch mit erwachsenen Autisten.


    Das ist einfach ein Besipiel dafür, wie wichtig es ist, dass erwachsene Autisten und Eltern autistischer Kinder ihr Erleben, ihre Erfahrungen, ihre Beobachtungen "synchronisieren".


    Wo ich grade so drüber nachdenke: Hans reagiert ja seit einiger Zeit ablehnend bis aggressiv gegen fremde Kinder, die ihm seiner Meinung nach zu Nahe kommen (aber einfach nur am gleichen See, in der gleichen Straße sind) - vielleicht hat sich da über die Jahre einfach viel angestaut an Wut über die "zwangsweise" mitgemachten Emotionen bei ihm, wenn es ein paar Meter weiter Geschrei und Geschimpfe gibt.
    (Für die Einsicht, dass die fremden Kinder dafür nichts können, und dass die aktuelle Situation auch gar nicht bedrohlich ist, fehlt ihm kognitiv noch ein bisschen ... Und die Emotionen einerseits und das Verstehen auf kognitiver Ebene andererseits getrennt zu bekommen ist ja auch für viele eine schwierige Sache, auch Neurotypische). Hm. Ich werde das mal mit unserem Coach besprechen ...


    Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Hallo Lynkas!


    Vielen Dank für deinen wertvollen Beitrag! Mich freut es auch sehr, dass du dich hier angemeldet hast.


    War es bei dir früher als Kind eigentlich auch so, dass du noch eine ganze Weile von dir selbst in der zweiten oder dritten Person gesprochen hast? Du anstatt ich, oder deinen Vornamen anstatt ich gesagt hast?


    Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie belastend es für dich sein muss, wenn du instinktiv immer versuchst, alles für alle in Ordnung zu bringen... Hast du vielleicht eine Therapeutin oder einen Therapeuten, um das Thema dort anzusprechen? Man könnte doch auch jetzt noch sehen, ob sich eine Strategie entwickeln lässt, mit der du das eventuell mit viel Übung wegbekommst?


    LG

  • Danke für Eure lieben Worte!


    Hast du den Leuten schon einmal gesagt, was in dir vorgeht?


    Ja. Es wird nicht positiv aufgenommen.


    Hast du vielleicht eine Therapeutin oder einen Therapeuten, um das Thema dort anzusprechen? Man könnte doch auch jetzt noch sehen, ob sich eine Strategie entwickeln lässt, mit der du das eventuell mit viel Übung wegbekommst?


    Ich bin 17 Mal therapiert worden. Ich bin mit so gut wie allen gängigen Psychopharmaka behandelt worden. Ich wurde mit Erziehungs- und Übungsmethoden behandelt. In Rollenspielen wurde geübt, dass ich die Belastung für die anderen möglichst gering halte. "Weg" bekomme ich das nicht. Das bin ja ich.
    Lynkas grüßt.

  • Ja. Es wird nicht positiv aufgenommen.


    Lynkas, das ist schade, denn damit nehmen sie dir und aber auch sich selbst wertvolle Chancen für eine gemeinsame Kommunikation.


    "Weg" bekomme ich das nicht. Das bin ja ich.


    Das kann ich absolut nachvollziehen. Um dich wohlzufühlen und zu öffnen, bräuchtest du das Verständnis der anderen Menschen und die Annahme deiner Persönlichkeit, was dir aber verweigert wird.


    Gibt es denn gar keinen, der dich als Autistin annimmt und deine Persönlichkeit respektiert?
    Du hast ja schon einen sehr langen und mühevollen Weg hinter dir.


  • Gibt es denn gar keinen, der dich als Autistin annimmt und deine Persönlichkeit respektiert?


    Ich möchte als Mensch angenommen werden.
    Es ist halt schwer, genug zu leisten, so dass ich sinnvoll bin für die Gesellschaft und mich inkludiere. Von Nichts kommt Nichts.
    Oft begreife ich die Ansprüche, die bestehen, auch gar nicht. Die Ansprüche sind für andere Menschen wohl gar keine "Ansprüche" sondern laufen unter der Überschrift "man kann das doch, man weiß das doch".
    Ich versuche, mich zu erklären, auch wenn ich zeitweise Nonverbal (also im Sprechen blockiert) bin. Die Bitte ist "schreib mal eine Anleitung, wie du zu handhaben bist". Aber es wird dann entweder nicht gelesen oder es gilt als zu kompliziert, was ich schreibe, oder wichtige Aussagen werden überlesen. Dann kommen noch die weiteren Behinderungen hinzu, die nun leider auch "bäh pfui" Behinderungen sind. Die muss ich meistens auch noch mal erklären, weil sonst die krudesten Ideen aufkommen, was ich da habe.
    Nun sprenge ich hier gerade das Thema, bitte entschuldigt.
    Ich hatte mich ja eigentlich nur bedanken wollen, hier endlich einmal lesen zu können, wie es für mich -und offenbar auch noch für einige anderen Autisten - ist.
    Lynkas grüßt.

  • Hm,


    also, ich lebe ja nun seit bald dreizehn Jahren mit meinem autistischen Kind, und immer, wenn ich denke, ich wüsste viel über seinen Autismus, dann merke ich, dass ich auf dem nächsten Level nichts weiß. Und entsprechende Fehler mache.
    Und da gibt eins das andere, Menschen reagieren ja AUFEINANDER, Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Wenn die Umwelt vom Autismus nichts versteht, dann haben solche Autisten, die komplexe Blockaden haben, wenig Chancen, ihr Anliegen rüberzubringen, ihre Stärken zu zeigen.


    ich merke manchmal immer noch zu spät, dass ich und Hans auf verschiedenen Ebenen aneinander vorbeikommunizieren. Er motzt über irgendwas, und motzt und motzt, ich werde innerlich emotional und beziehe mich auf den Inhalt, während es ihm eigentlich darum geht, zB mit mir zu kommunizieren, oder von mir eine bestimmte Antwort zu hören .... Da läuft die Kommunikation beiderseits ins Leere ...


    Lynkas, Du sprengst hier kein Thema, es ist manchmal wichtig, weiter auszugreifen. Schlaufen zu drehen. Sind einfach sehr vielschichtige Themen.


    Michie, wegen der Ich-Du-Vertauschung mache ich einen Thread auf, sobald ich die entsprechende Info zusammenhabe. Da geht es sehr ums Thema Modelling.

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    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    6 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • ich merke manchmal immer noch zu spät, dass ich und Hans auf verschiedenen Ebenen aneinander vorbeikommunizieren. Er motzt über irgendwas, und motzt und motzt, ich werde innerlich emotional und beziehe mich auf den Inhalt, während es ihm eigentlich darum geht, zB mit mir zu kommunizieren, oder von mir eine bestimmte Antwort zu hören .... Da läuft die Kommunikation beiderseits ins Leere ...


    Enscha, solche Situationen wird es doch aber immer wieder geben, egal wie viel man über Autismus weiß.
    Gedankenlesen können auch wir Mütter (noch) nicht.
    Aber klar, als Elternteil eines Autisten ist man schon nah dran am Kind und solche Situationen werden sicher seltener, je mehr man über Autismus weiß, zumindest kann man dann besser damit umgehen und dementsprechend handeln, was solche Situationen wiederum entschärft.
    Dass man aneinander vorbeiredet wird sich wohl nicht immer zu 100% vermeiden lassen.


    Oft begreife ich die Ansprüche, die bestehen, auch gar nicht. Die Ansprüche sind für andere Menschen wohl gar keine "Ansprüche" sondern laufen unter der Überschrift "man kann das doch, man weiß das doch".


    Das ist ein großes Problem im gegenseitigen Miteinander. Nichtautisten setzen ihre Maßstäbe an, ohne darüber nachzudenken, dass es eben Leute gibt, die andere Herangehensweisen haben.
    Die Aussagen "Man kann das doch" oder "Das weiß man doch" können das Leben schwer machen. Die Leute setzen etwas voraus, was nicht erfüllt werden kann und da sind wir wieder bei "Ich-Andere-Differenzierung". Damit haben scheinbar auch Nichtautisten ihre Probleme.

  • Zitat von Ella

    solche Situationen wird es doch aber immer wieder geben, egal wie viel man über Autismus weiß.
    Gedankenlesen können auch wir Mütter (noch) nicht.
    Aber klar, als Elternteil eines Autisten ist man schon nah dran am Kind und solche Situationen werden sicher seltener, je mehr man über Autismus weiß, zumindest kann man dann besser damit umgehen und dementsprechend handeln, was solche Situationen wiederum entschärft.
    Dass man aneinander vorbeiredet wird sich wohl nicht immer zu 100% vermeiden lassen.


    das ist jetzt, mit Verlaub, eine typische NT-Antwort. ;) Quasi ein unfreiwilliges Beispiel für das, was ich meine. Du bist auf einer anderen Textebene.


    Ich versuche zu erklären. Meine Assage war rein sachlich, analytisch, gemeint. Ich bringe Hans nur vorwärts, wenn ich besser verstehe, wo unsere Kommunikationsbremsen sind, wo wir aneinander vorbeireden, was exakt ihn umtreibt und antreibt. Dazu muss ich sehr viel reflektieren, denn ich muss seine Fehlannahmen UND meine Fehlannahmen aufdecken. Das meine ich rein sachlich. Mir ist klar, dass ich keine 100% erreichen kann, aber es geht Für mich da auch nicht um Versagen oder Trost, sondern um den richtigen Weg, ihm vorwärts zu helfen. Ich gehe davon aus, dass wir seine derzeit wesentlichen Probleme so lösen können, das sieht auch unsere Ergo und unser UK-Coach so.


    Kommunikation ist alles.

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    4 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • das ist jetzt, mit Verlaub, eine typische NT-Antwort.


    :D:D


    Enscha, ich glaube, wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Ich schrieb ja, dass solche Situationen weniger werden, je mehr man sich mit dem Thema auskennt und dementsprechend danach handeln kann. Da sind Reflektionen mit eingeschlossen.
    Ich habe es unglücklich ausgedrückt. Bin leider nicht so präzise und geschickt im Formulieren. :verlegen:verlegen
    Das ist eher mein ganz persönliches Problem und eine Schwachstelle und hat nur mit mir und nix mit NT zu tun.

  • Wir hatten heute eine Situation beim Mittagessen. Der kleine Prinz war heute glaube ich prinzipiell weniger belastbar, das Gefühl hatte ich schon in der Früh, ich habe dann den ganzen Druck weggenommen und ihm beim Anziehen etc. geholfen, für allgemeine Ruhe gesorgt, damit er möglichst entspannt in den Kindergarten kann. Die kleine Fee hatte heute bloß leider einen sehr kreativen Tag, und meine Nerven lagen ehrlich gesagt um 10:00 am Vormittag schon blank. Jedenfalls war ich schon sehr genervt von ihr, als der kleine Prinz zum Mittagessen heimkam, und wir saßen bei Tisch, und sie hat nur Blödsinn gemacht, Essen wieder ausgespuckt und halt so richtigen Zickenkram (sie wird in 3 Monaten 2 Jahre). Dann ist mir der Kragen geplatzt und ich habe mit ihr geschimpft.


    Resultat: sie sitzt da und grinst mich provokant an, der kleine Prinz sitzt da und heult. Da musste ich sofort an Lynkas' Beitrag denken...


    weil ich dauernd damit beschäftig bin, die vielen Emotionen der anderen zu ordnen und mich davon abzugrenzen, und ich fühle mich immer mit angesprochen, wenn irgendwo Misstöne sind und fühle mich immer verantwortlich dafür.


    Irgendwie fühlte ich mich dann sowas von schlecht... Wie habt ihr anderen das gemacht? Trotzdem mit den anderen Kindern geschimpft, oder generell einen anderen Ton angeschlagen? Ich habe ihn in den Arm genommen und ihm erklärt, dass ich mit seiner Schwester geschimpft habe und nicht mit ihm, aber er hat nur weiter geschluchzt ...