Wer ist hier behindert? Über den Begriff "Behinderung"

  • Hallihallo,


    es ist ja immer interessant, alltägliche Wörter zu hinterfragen, und mal zu gucken, woher das Wort überhaupt kommt, wann/wie es aufkam, und so weiter und so fort.


    so ist das auch mit dem Wort "Behinderung", und mit den anderen früheren und heutigen Wörtern für "Behinderung".


    vielleicht habt Ihr Lust zu diskutieren?!


    http://leidmedien.de/sprache-k…ngswandel-eines-begriffs/
    https://de.m.wikipedia.org/wik…ent_living#In_Deutschland

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    Einmal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • Ich habe nichts gegen den Begriff "Behinderung".
    Menschen mit Lernschwierigkeiten mag ich nicht so besonders, denn das klingt für mich defizitorientierter und wertender als das Wort "Behinderung".


    Ich denke, wir sollten eher dafür sorgen, dass dieser Begriff nicht mehr so negativ besetzt ist, denn letztendlich können auch neue Begriffe als Schimpfwörter benutzt werden.


    Behindert - na und! :rolliwink

  • Ella das hast du gut formuliert. Jedes Wort kann schnell zu einem Schimpfwort werden.
    Gutmensch war ursprünglich ja auch ein positives Wort und ist jetzt ein Schimpfwort und hat eine neue, völlig andere Bedeutung.


    Ich befürchte nur das es sehr schwer wird das Wort Behinderung in Verbindung mit Menschen neutral zu bekommen.

  • Also, wenn jemand für sich selber lieber hört er/sie sei ein Mensch mit Lernschwierigkeiten, dann nehme ich das natürlich an. Die Selbstvertretung von Mensch zuerst jedenfalls zieht den Ausdruck vor.


    Allerdings dürfte zb mein Hans sich von denen nicht vertreten fühlen, weil er sich von niemand vertreten fühlt :P


    und die Behinderung sollte man nicht wegreden wollen, der Meinung bin ich absolut auch. Schön wäre andererseits auch, man hätte eine weniger defizitorientierte Sprache in Bezug auf Menschen mit Behinderung.
    Was ich direkt ablehne, ist die Formulierung "besonders", denn besonders sind nun wirklich ALLE Menschen, und wenn man die Behinderten "besonders" nennt, dann ist das ja wohl ein Gegensatz zu "normal", das geht ja gar nicht. Was ist schon normal?und warum sollte behindert nicht normal sein?


    Wenn ich in Anwesenheit meines Sohnes, oder mit Kindern, oder mit unbedarften Leuten spreche, dann ist meine Formulierung in Bezug auf den Hans, er kann nicht so gut denken.

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  • Das ist eine interessante und absolut notwendige Diskussion. Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe: mir hat es schon ganz ehrlich "weh" getan, als ich da einen Brief erhielt, in dem stand, mein Kind habe eine Behinderung.


    Dann habe ich mich ganz langsam und vorsichtig an das Thema herangewagt, aber ich würde noch immer nicht laut sagen, dass er eine Behinderung hat. Ella, du hast schon Recht, der Begriff sollte ganz neutral werden oder sein, ich muss da bestimmt erst an mir selbst arbeiten, bis ich das wirklich so empfinde.


    Wenn ich mit anderen Kindern über meinen kleinen Prinzen spreche, dann sage ich immer, dass er eben dies oder jenes erst lernen muss. Mir hat eine gute Bekannte, die in Wien als Sonderkindergartenpädagogin gearbeitet und schon ein wenig Erfahrung mit autistischen Kindern gesammelt hat, den Tipp gegeben, auch selbst nicht unbedingt diese große und abschreckende Diagnose zu sehen, sondern einfach zu schauen, was muss er noch lernen, wie kann ich ihm dabei helfen.
    Bei Erwachsenen erkläre ich, dass ihn seine Wahrnehmung oft übers Ohr haut und seine Gefühle sehr stark sind, negative sowie auch positive. Wer mehr Interesse zeigt, dem erkläre ich, dass es ungefähr so ist, als wäre man den ganzen Tag in einem großen Raum mit extrem vielen Menschen, die alle unterschiedliche Sprachen sprechen und sehr starke Parfüms haben und dazu spielt noch irgendwo Musik und in allen Ecken wird gekocht, und es wird getanzt und ist heiß ...
    Wenn mein Sohn auch dabei ist, dann versuche ich immer, auch vieles anzusprechen, das er gut oder vielleicht sogar besser kann als andere, um sein Selbstbewusstsein nicht anzukratzen. Und ich versuche ganz bewusst über den Tag verteilt ihn für "positives Verhalten" zu loben und ihm zu erklären, was genau mir da so gefallen hat. Bei seiner kleinen Schwester mache ich das natürlich auch.

  • Hmm... Ich glaube, es ist nicht sooo schwer zu sagen, das man behindert ist...
    Ich frage mich, warum man beim Verkehr immer von Behinderungen sprechen kann und da niemals jemand auf die Idee kommt das irgendwie als eine Beleidigung oder ein Schimpfwort aufzufassen.


    Gestern hatte ich z.B. mal wieder ein Toilettenproblem. Fremde Stadt und alles und ich musste dringend... Keine Ahnung ob mich die Kioskbesitzerin auch auf Toilette gelassen hätte, wenn ich nicht gefragt hätte, ob sie für eine Behinderte eine Ausnahme machen kann.
    Manchmal hilft alles liebe, nette und freundliche Fragen nichts. Da heißt es nur "Ne, darf ich nicht". Wobei für Kinder bei Toiletten ja auch gerne mal ne Ausnahme gemacht wird.


    Also ja, ich bin behindert und mein Darm ist doof! Auch wenn ich normal aussehe.
    Ach und ich glaube, würde ich sagen "Ich hab aber Durchfall", weil das am verständlichsten für die Menschen ist, würde ich erst recht nicht auf´s Klo gelassen werden (weil eigentlich alle dann davon ausgehen das es was furchtbar ansteckendes ist). Dabei habe ich immer Durchfall und da ist auch nixs ansteckendes... *seufz*

  • Ich nutze auch den Begriff Behinderung. Auch meine Kinder kennen und nutzen ihn selbstbewusst. Sie sind von ganz klein auf mit behinderten Kindern aufgewachsen, daher war das für sie nie irgendwie negativ belegt. Sie wissen, dass sie selbst als behindert gelten, damit haben sie kein Problem.
    Ich frag mich nur immer, ob jetzt "Mensch mit Behinderung" oder "behinderter Mensch" der korrektere Ausdruck ist.
    An der Uni war ersteres das einzig akzeptable, inzwischen habe ich gute Argumente für zweiteres gehört und mich umgestellt.
    Wie seht Ihr das?

  • Hi,
    Mensch mit Behinderung impliziert für mich, dass die Behinderung relativ ist und sich durch Barrierefreiheit noch mehr relativiert und so gering wie möglich gehalten werden kann.
    behinderter Mensch hmmmmm das hat eine eher absolutere Dimension.
    Wobei: wenn mir jemand im Weg steht, dann werde ich behindert...



    Ein Problem hab ich weder mit der einen oder anderen Formulierung, ich gehe da (mal wieder) völlig konform mit Enscha, solange das Wort Behinderung bzw behindert rein sachlich und nicht wertend ist.
    Das Wort Behinderter (ohne Mensch) alleine finde ich sehr reduzierend und defizitär.


    Über meinen Sohn zu lesen, dass er in diesen Bereich des Sozialrechts /Pädagogik / Medizin etc. gehört, tat mir nicht weh, eher die tatsächlichen Konsequenzen, zB wenn er sich durch sein Sozialverhalten selbst ins Aus schießt oder in eine Schublade gesteckt wird; ich hatte mich schon lange vor der SSW mit dem Thema Behinderung auseinandergesetzt, so dass "nur" noch der persönliche Schmerz/Trauer/Bedauern/ Betroffenheit blieb.

  • Ehrlich gesagt... Ich verstehe nicht so ganz, was der Unterschied zwischen Behinderter und behinderter Mensch sein soll.
    Ich mein, es gibt doch viele Begriffe die irgendwie zu lang sind und dann abgekürzt werden. Für mich ist Behinderter die Kurzform von behinderter Mensch, das ich im Alltag so einfach zu lang und umständlich finde.

  • Also, vor allem finde ich,dass jemand über sich selber und seine Behinderung so reden darf,meine sie/er will.
    Ich persönlich wechsle so ein bisschen durch. 8o


    Im Autismus-Bereich hieß es ja korrekt eine Zeitlang "Mensch mit Autismus", um den Menschen in den Vordergrund zu stellen und nicht den Autismus. Nun lehnen das aber viele Autisten vehement ab, und nennen sich selber Autisten.


    Wie man's macht is's verkehrt. Vielleicht ist einfach nur wichtig, die Menschen zu respektieren ^^


    wo wo ich jetzt nicht sagen würde: "Es geht um einen Behinderten." Sondern: "Es geht um jemand mit Behinderung."

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

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  • Stimmt Enscha, bei deinem Beispiel würde ich auch die 2. Formulierung verwenden.


    Ich glaube, ein großes Problem ist nicht nur das Wort Behinderter oder Mensch mit Behinderung, sondern auch das, was der Otto Normalverbraucher so als Behinderung anerkannt. Autismus haben zwar inzwischen schon einige gehört und auch andere Behinderungen kennt man vielleicht vom Namen. In dem Moment aber, wo man eine nicht auf den 1. Blick sehen kann... Da kann man ja dann nicht behindert sein. Und ich denke gerade in diesem Zusammenhang mit diesen nicht sichtbaren Behinderung besteht ein größeres Problem mit Begriffen, als eben bei Menschen mit Behinderung die man sofort auf den 1. Blick sieht.


    Manchmal würde ich das ganze gerne in Verhinderung umbenennen. Ich werde nämlich nicht nur durch einige Dinge behindert, sondern vieles verhindert das ich normal Leben kann. Mein Darm z.B. verhindert das ich einfach mal eben raus gehen kann. Das muss vorher schon genau überlegt sein und am besten nur mit "Protection" (also Windelpants). Ein Weg von 10min kann so schon zum Problem werden.