In der taz erschein heute ein Artikel, der Autismus (unter Berufung auf eine aktuellen Studie) wieder einmal als überdiagnostizierte Modediagnose darstellt:
http://www.taz.de/Autismus-bei-Kindern/!5375265/
Man muss das Thema natürlich diskutieren dürfen, aber dieser Artikel hinterlässt bei mir einen irgendwie tendenziösen Nachgeschmack, weil er die andere Seite völlig unterschlägt; nämlich die Tatsache, wie schwer es auch für die wirklich autistischen Kinder ist, eine (berechtigte) Diagnose zu bekommen - unter anderem deshalb, weil Autismus eben diesen Ruf als Modediagnose hat.
Dabei können sich aus einer falsch negativen Diagnose (mindestens) genauso schwerwiegende und belastende Folgen ergeben wie aus einer falsch positiven. Das weiß jeder, der sich auch nur einigermaßen mit dem Thema beschäftigt hat, vor allem wenn man selbst betroffen ist oder einen autistischen Angehörigen hat.
ZitatDass zwei Drittel der Autisten möglicherweise keine sind, sei durchaus besorgniserregend, so Bachmann. Es belaste das Gesundheitssystem, aber auch die betroffenen Kinder.
Dieser Aussage ist für sich genommen richtig, gilt aber auch andersherum: Auch ein undiagnostizierter (echter) Autismus, der jahrelang unerkannt oder sogar falsch behandelt wird, kann zu vielfältigen Folgeerkankungen führen, die den Betoffenen wie auch das Gesundheitssystem massiv belasten. Wenn man es einmal von dieser Seite betrachtet (die so selten gar nicht ist), dann relativiert sich das Problem mit den unberechtigten Diagnosen (die es selbstverständlich auch gibt) wieder ein ganzes Stück.
Im Übrigen habe ich die Erfahrung gemacht, dass andere Diagnosen - zumindest in der Erwachsenenpsychiatrie - viel freigiebiger und unkritischer vergeben werden als Autismus, Wenn ich sehe, wie schnell manche Ärzte jemandem eine Depression oder eine Persönlichkeitsstörung attestieren, dagegen wird ein Autismuverdacht immer noch vergleichweise gründlich und sorgfältig hinterfragt - weitaus sorgfältiger als bei vielen anderen psychiatrischen Diagnosen. Es ist längst nicht so einfach, sich eine Autismusdiagnose zu "ergaunern" (jetzt mal bewusst provokativ formuliert), wie das in diesem Artikel dargestellt wird. Ich hätte mir da vom zuständigen Redakteur mehr Differenzierung gewünscht, oder ist das zu viel erwartet?