Trigger "abbauen" - (wie) geht das?

  • Liebe Leute,


    ich frage mich, ob/wie man Trigger abbauen kann. So ähnlich, wie man zB bei konkreten Phobien desensibilisiert.


    Hans hat ja schon lange Probleme mit Kindergeschrei, infolge auch mit Kindern generell (könnten ja schreien). Das hat ganz viele Aspekte, aber ich denke, EIN Aspekt ist, das ihn das triggert.


    Das behindert uns (also ihn und die ganze Familie) ziemlich in unseren Möglichkeiten, es wäre toll, wenn er sich da entspannen könnte.


    Vielleicht hat ja eine(r) von Euch Erfahrung?

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Hallo Enscha,


    ich habe mit diversen Triggern Erfahrung und kann sagen das man die meisten in dem Sinne abbauen kann, in dem man lernt damit umzugehen. Also sich bewusst vorstellt was einem dann helfen könnte, sich das immer wieder sagt um in der Konkreten Situation richtig reagieren zu können. Ein Beispiel: ich hatte lange Angst unter vielen Menschen zu sein, was mich daran hinderte in Konzerte oder so zu gehen. Dann Entschied ich mich an ein Konzert zu gehen, kaufte ein Jahr vorher das Ticket und hatte damit genug Zeit mich darauf ein zu stellen, mir zu sagen wenn ich Angst kriege dann kann ich das Lokal verlassen. So ging ich an das Konzert wo 10'000 Leute waren (Helene Fischer Tournee) und es ging gut, weil ich mich vorher darauf Vorbereitet habe. Am Ende war das ein Positives Erlebnis und so kriegte ich nicht gleich wieder Angst unter vielen Menschen zu sein.


    Ich denke in deinem Fall würde so ein positives Erlebnis auch gut helfen. Erreichen kannst es aber wohl nur Schrittweise.
    Konkret würde ich es so versuchen, trefft euch mit 1 Kind das du kennst, aber nur für wenige Minuten. Dann ist die Gefahr nicht so gross das es schreien könnte. Wenn das gut geht, lobe Hans das er dies super gemacht habe. So hat er ein kleines positives Erlebnis. Später macht dasselbe nochmal nur dann etwas länger, also wenn das Treffen das 1. mal z.B. 20 Minuten dauerte dann macht es das 2. mal z.B. 40 Minuten lang und bei jedem weiteren Treffen noch etwas länger. So kann er langsam lernen das Kinder nicht nur schreien, das es nichts schlimmes ist und er keine Angst davor haben muss, sondern das es Positives, schönes Erlebnis war.


    Was sicher nicht gut wäre, in dem Fall, ist auf einen Spielplatz zu gehen, wo viele Kinder sind, weil da ist die "Gefahr" das irgendwelche Kinder laut werden, schreien, grösser. Wenn er aber Positive Erlebnisse hatte, dann kannst das mal versuchen indem ihr erst mal an so einem Spielplatz vorbei geht, das nächste mal dann kurz in der nähe stehen bleiben und das dritte mal etwas länger da sein. Also auch hier nur Schrittweise rantasten. Sollte dann doch ein Kind schreien gleich weg gehen und ihm aber auch gleich erklären das Kind schreit weil es das Spielzug nicht bekam, nicht das er meint es schreit weil ihm wer weh getan hat.

    Genau in dem Moment, als die Raupe dachte,
    die Welt geht unter, wurde sie zum Schmetterling.


    Autor Unbekannt


  • Hallo Sonja,


    danke für Deine Gedanken.


    Spielplatz steht eh nicht zur Debatte, aus dem Alter ist er ja auch Gottseidank raus ... Da haben wir uns beide nie wohlgefühlt ...


    Mit bekannten Kindern hat er das Problem gar nicht so sehr (so ganz kleine kennen wir allerdings auch gar nicht mehr). Das Problem tritt vor allem da auf, wo man fremde Kinder trifft, im Schwimmbad, am Strand, im Englischen Garten beim Entenfüttern ... da sind überall ganz unvorhersehbar kleine Kinder und tatsächlich - die können wie "kleine Sirenen" quasi jederzeit losgehen ...


    Manchmal "frisst" er sich auch richtig rein in das Thema. Wie gesagt, hat viele Aspekte. Hm.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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  • Die Kinder in der Schule und im Bus hält er aus, beschwert sich allerdings zuhause über Kinder, die im Bus schreien (das kommt natürlich in einer G-Schule vor). Da kompensiert er also - umso heftiger kommt es woanders raus. Auch das ist ein Aspekt dieser komplexen Geschichte.
    da kommt einiges zusammen:
    - Trigger, schlechte Erfahrungen, die sich über die Jahre ansammeln
    - Kompensation, soziale Belastung in der Schule
    - Wahrnehmung: es ist einfach akustisch sehr schwierig für ihn. Kinderschreien ist ja ein "Alarmton", da wird Stress ausgeschüttet, das kann man auch an allen anderen Menschen beobachten. Und es ist auch visuell schwierig für ihn, die Kindergesichter sind ja verzerrt beim Schreien
    - Hyperkonnektivität: er muss sowas quasi immer selber mitfühlen, mitschwingen


    Er selber schreit ja übrigens auch öfter mal, aber das versteht er nicht, dass das für die anderen genauso unangenehm ist ... :P

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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  • Enscha, vielleicht würden Gegengeräusche helfen, wenn dein Sohn unter Stress gerät z.B. in die Hände klatschen, summen, singen.
    Gibt es vielleicht Dinge, die dein Sohn sehr mag? Fühlt sich dein Sohn gestresst, kann er die DInge in die Hand nehmen z.B. eine blinkende Kugel, einen weichen Knautschball, einen Igelball, ein schönes Tuch mit seinem Lieblingsduft usw.
    Damit werden unangenehme Reize überlagert und der Stress wird über dieses Hilfsmittel abgebaut.


    Schau mal, das habe ich gefunden:
    http://ellasblog.de/autismus-und-misophonie/
    Es geht um Autismus und Misophonie. Hast du den Begriff "Misophonie" schon einmal gehört?

  • Hallo Ella,


    ja, den Text kenne ich. Finde das voll nett, dass Du für uns googelst :)


    Ich denke, es wird im Grunde schon ungefähr so funktionieren, wie Sonja das beschreibt - das hat sich nun über viele Jahre aufgebaut - wahrscheinlich dauert es also auch Jahre, das wieder loszuwerden :-/

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  • Hi Enscha,


    wäre es möglich, mit ihm einfach das Geschrei zu thematisieren? Also quasi ganz offen darüber gemeinsam zu rätseln, welche Möglichkeiten es gibt, warum das Kind schreit, vielleicht könnte man in die Antwortmöglichkeiten auch was Absurdes einbauen, sowas findet der kleine Prinz dann meistens lustig und lässt sich aus einer Negativschleife rausholen. Zwar nicht immer, aber oft.


    Also konkret meine ich das so: Kind schreit. Hans schwingt da mit, es beschäftigt ihn. Dann macht man es zum Thema: "Da weint ein Kind. Dann ist es ja gerade so richtig traurig/wütend", was auch immer. "Was meinst du, warum es weint/schreit? Vielleicht hat es ..." und so weiter. Wenn ich dann beim kleinen Prinzen sowas bringe wie: "Was glaubst du, ist das Kind sauer, weil es ein Pinguin sein will?" oder "Weint das Kind, weil es eine violette Straßenbahn sehen will", irgendwas halt. Dann schaut er mich in der Regel an, grinst und sagt: "Geh!" [gä], und dann mache ich weiter irgendwelche lustigen Bemerkungen, und ziehe ihn so da raus. Dieses [gä] sagt man bei uns in der Region, wenn man etwas nicht glaubt oder für Schmarrn hält, auch in witzigen Kontexten.


    War so eine Idee, die mir bei deiner Frage gekommen ist, vielleicht hilft sie euch ja weiter.


    LG

  • Hallo Michie,


    [gä] sagt man bei uns genauso wie bei Euch. So ein Dialekt ist einfach schön pointiert :D



    ja, wir thematisieren das schon, er will selber auch viel drüber reden, zwar teils auf eine eher ungute stereotype Art, aber teils schon auch konstruktiv.
    Allerdings bisher nicht IN der Situation, aber vielleicht ist das gar keine schlechte Idee, das mal zu forcieren ...


    Die anderen Aspekte haben wir schon einigermaßen im Auge, Ablenken, reizmäßig Abschotten, ... aber wenn ein Trigger mitspielt, dann ist er quasi schon auf der falschen Schiene, im falschen "Tunnel". Manchmal kommt mir der Verdacht, dass er genau das will: die Schiene, den Tunnel :icon_eek Deshalb drehe ich jetzt grade Deine Anregung im Kopf herum :amraddreh;) Merci!

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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  • Manchmal kommt mir der Verdacht, dass er genau das will: die Schiene, den Tunnel


    Enscha, mein Sohn hat zwar anders gelagerte Probleme, aber dieser Satz trifft wohl auch auf ihn zu.
    Er will regelrecht auf diese Schiene und in den Tunnel. Er will diesen Frust bzw. dieses schlechte Gefühl spüren. Ist das bei deinem Sohn ähnlich, oder habe ich diese Aussage von dir vielleicht falsch interpretiert?
    Wir befinden uns nämlich deshalb in einer Sackgasse und wären dankbar über jede Anregung.

  • Dochdoch, das hast Du schon richtig interpretiert.


    Meine These ist, dass da vieles an der "Biochemie" des Gehirns liegt, da fühlt sich manchmal Falsches richtig (zb weil gewohnt, oder weil eindeutig) und Richtiges falsch an. Ist wohl durch die Hyperkonnektivität verursacht.
    Die Erfahrung mit Junior (und einzelnen anderen mir bekannten Kindern mit ASS) zeigt, dass da im Hirn erst eine neue "Autobahn" gebaut werden muss. Wenn er nämlich das, was er erstmal ablehnt, dann gewöhnt ist, dann ist das Problem weg.


    Das trifft nun bei weitem nicht auf alle ASS-Kinder zu, nur auf eine Minderheit. Aber es ist wichtig. Unsere Ergo hat das auch auf dem Schirm, klarer als ich.



    Das Problem ist, da von außen die richtigen Prioritäten, das richtige Maß, den richtigen Weg zu treffen.
    Denn man kann natürlich nur mit viel Feingefühl, viel Selbstkritik, viel Respekt da dran gehen.
    Aber einfach so annehmen, wie er es haben möchte, bzw einfach so laufen lassen (auf seine "innere Uhr" vertrauen, wie es letztens hieß), das geht nicht.


    Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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    2 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • Es gibt aber da noch mehr Aspekte, mit denen dieser "Sog zum Negativen" zu tun hat. Zum Beispiel ist Ambivalenz für Hans so gar nicht auszuhalten, dann lieber eindeutig Schlechtes.
    Nicht wissen, was man will, oder was man lieber will - auch schwer auszuhalten, auch da flüchtet er in "lieber gar nicht" oder in Negatives. "Ich will wissen, was ich will!" hat er dann letztens wütend rausgebracht, der arme Kerl.
    Schmetterlinge im Bauch - geht auch gar nicht. Da bricht er ab.
    Negatives ist so viel eindeutiger und einfacher als Positives: Schwester triezen > Schwester schreit > Mutter schimpft. Schwester nett was fragen > viele mögliche Antworten ...


    Man muss frühzeitig raus aus der Mühle. Bzw nicht zu tief rein in die Mühle. Deshalb ist auch so wichtig, dass in der Kindheit viele Erfolgserlebnisse angesammelt werden. Da entstehen ja so Grundkonzepte und -strategien, Handlungsmuster - die bestimmen das ganze Leben mit.
    (Gilt für uns alle)


    wie ist das bei Deinem Sohn?

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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    4 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • dass da im Hirn erst eine neue "Autobahn" gebaut werden muss. Wenn er nämlich das, was er erstmal ablehnt, dann gewöhnt ist, dann ist das Problem weg.


    Ja, das stimmt, aber bei meinem Sohn ist es leider so, dass sobald die Autobahn entstanden ist, er sich einen neuen Trampelpfad sucht, der erst wieder zur Autobahn ausgebaut werden muss, was ziemlich lange dauert. Er ist ständig auf der Suche nach neuem Frust und einem neuen Sandkorn im Getriebe.
    Das ist so dermaßen anstrengend für uns alle.
    Dieses Verhalten hat sich in der Pubertät eindeutig verstärkt. Im Kleinkind- und Vorschulalter war es definitiv gar nicht vorhanden. Erstmalig konnten wir das Verhalten mit ca 11/ 12 Jahren beobachten, aber nur in leichterer Ausprägung und nicht so belastend wie jetzt.


    Zum Beispiel ist Ambivalenz für Hans so gar nicht auszuhalten, dann lieber eindeutig Schlechtes.


    Ist bei meinem Sohn genauso.


    Negatives ist so viel eindeutiger und einfacher als Positives: Schwester triezen > Schwester schreit > Mutter schimpft. Schwester nett was fragen > viele mögliche Antworten ...


    Stimme dir voll und ganz zu. Das war auch meine bisherige Erklärung.


    An die mitlesenden Autisten: Geht oder ging es euch ähnlich? Kennt ihr solche Situationen und Gefühle? Kennt ihr den Sog zum Negativen?
    Wenn ja, was hilft euch? Was braucht ihr, um aus diesem Gefühl herauszukommen?

  • Morgen Ella,


    Zitat

    Ja, das stimmt, aber bei meinem Sohn ist es leider so, dass sobald die Autobahn entstanden ist, er sich einen neuen Trampelpfad sucht, der erst wieder zur Autobahn ausgebaut werden muss, was ziemlich lange dauert. Er ist ständig auf der Suche nach ... einem neuen Sandkorn im Getriebe.

    Das ist ja im Grunde eine bekannte Arbeitsweise, zb bei der Software-Testung, bei Rätseln für Kinder ("Finde den Fehler"), und eben eine innere Denkstruktur bei Perfektionisten. Ich denke, dass ganz viele Autisten in dem Sinn Perfektionisten sind, dass ihnen Fehler besonders ins Auge stechen, stören, schwer ausgeblendet werden können. Das beschert der Menschheit zum Beispiel eine Menge geniale Anwendungen im IT-Bereich, für den einzelnen Autisten im persönlichen Bereich ist es dann leider ein Minus in der Lebensqualität.
    Mein Sohn kann das abschalten, wenn er im Flow ist, zb wenn er sich ausdauernd bewegt, oder wenn er sich seinen Spezialinteressen widmet (oder am besten beides in Kombi). Deshalb ist das auch so ein wichtiger Ausgleich, fürs Glücklichsein.




    Hier gelingt es öfter mal durch Situationsweçhsel u.a., dass Hans den Fokus "switcht", von etwas negativem, "Festgefressenem", auf etwas ganz anderes, positives. Vielleicht wäre es ein Weg, ihm das bewusst zu machen (das ist es nämlich noch nicht). Und das dann zu besprechen, zu üben. *ideehab* 8o

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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  • So, nach einigem Nachdenken, zusammenfassend:


    Ich denke, es ist gut beides getrennt auf dem Schirm zu haben,obwohl es ja,so wie's auftritt, untrennbar daherkommt:
    1) den Trigger nach Möglichkeit abbauen - kleine Erfolgerlebnisse "dagegen setzen"
    2) auf der übergeordneten (generalisierten) Ebene trainieren, sich des negativen Fokus bewusst zu werden und switchen zu lernen.


    soweit die Theorie :P

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Trixi

    Hat das Label Autismus hinzugefügt.