Bundesverfassungsgericht: Bemerkungen im Abiturzeugnis über die Nichtbewertung einzelner Leistungen sind grundsätzlich geboten

  • Ich finde zwar die separaten Nachteilsausgleiche nicht, die sind noch viel reichhaltiger, aber aus der alten Handreichung geht auch schon hervor, welche Möglichkeiten es gibt.

    Das wesentlich bleibt natürlich, dass das vorgegebene Lernziel erreicht wird. Also der Inhalt, der vermittelt werden soll.

    2.4 Nachteilsausgleich
    Der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich leitet sich aus Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes und aus §48 des Schwerbehindertengesetzes ab. Er erfordert die Fürsorge der Schule im täglichen Schulleben in und außerhalb von Unterricht. Er gilt für alle Schulformen. Seine grundsätzliche Gewährung ist weder an einen festgestellten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung gebunden noch an eine spezifische medizinische Begutachtung. Die Gewährung setzt jedoch voraus, dass eine offensichtliche oder nachprüfbare Beeinträchtigung vorliegt, die zu Einschränkungen in der Leistungserbringung führen kann. Der Nachteilsausgleich ermöglicht den Zugang zur Aufgabenstellung und damit deren Bearbeitung. Es gibt für den schulischen Nachteilsausgleich keine verbindlichen Verfahren. Den Schulen ist es somit freigestellt, transparente und nachvollziehbare Verfahren zur Festlegung dieser zu wählen. Art und Umfang des Nachteilsausgleichs müssen auf die tatsächliche Beeinträchtigung oder Behinderung bezogen sein (vgl. Wachtel 2008).
    Eine Festlegung des Nachteilsausgleichs erfolgt in der Dokumentation der individuellen Lernentwicklung (Förderplanung), die durch die Klassenkonferenz abgestimmt und den Eltern mitgeteilt wird. Es muss sichergestellt sein, dass alle Lehrkräfte über die Festlegung eines Nachteilsausgleichs informiert sind und diesen gewähren. Der Anspruch auf einen schulischen Nachteilsausgleich muss regelmäßig geprüft werden, weil sich die Voraussetzungen dafür verändern können.
    Der Nachteilsausgleich darf weder zu einer Abwertung der Leistung noch zu einer Reduktion des Anspruchsniveaus oder zu einer Benachteiligung der übrigen Schüler führen. Der Nachteilsausgleich darf nicht in Zeugnissen dokumentiert werden.
    Entsprechend des Erlasses des Nds. Kultusministeriums über Sonderpädagogische Förderung (SVBl 2/2005, S. 57 ff) können die äußeren Bedingungen für mündliche, schriftliche und praktische Leistungsanforderungen verändert werden. 28
    Bei schriftlichen Leistungsüberprüfungen sind zudem, wie im Erlass des Nds. Kultusministeriums über schriftliche Arbeiten (SVBl 2/2005, S. 75 ff) ausgeführt, die äußeren Bedingungen so zu gestalten, dass Nachteile aufgrund der Behinderung ausgeglichen werden. Wenn ein Nachteilsausgleich gewährt wird, sollte dieser innerhalb der Klasse offen dargelegt und begründet werden, damit das Gerechtigkeitsempfinden aller Schüler nicht verletzt wird. Das Gefühl einer vermeintlichen Verletzung der Gleichbehandlung könnte für den betroffenen Schüler negative soziale Auswirkungen haben. Ein klärendes Gespräch mit der Klasse setzt voraus, dass der Schüler selbst dem Gespräch zustimmt. Beispiele zur Umsetzung von Nachteilsausgleichen
    Unterrichtsorganisation
    - alternative Aufgabenstellungen bei Gruppenarbeiten
    - Strukturierungshilfen bei Gruppenarbeiten
    - Reduzierung der Aufgabenstellungen
    - Alternative Aufgabenstellungen
    - Aufschlüsselung von Anforderungen bei Prüfungssituationen
    - Anpassung der Hausaufgaben
    - Maßstäbe zur Leistungsfeststellung offen legen
    Mündliche Mitarbeit
    - Ermutigung zur Äußerung von Hypothesen
    - Führen einer Rednerliste
    - Führen eines Meldeprotokolls
    - Meldekarten
    - Schriftliche Ersatzleistungen (schriftliche Referate, Unterrichtsprotokolle)
    - Anteil der Bewertung anpassen (Verhältnis mündlich / schriftlich)
    - Erbringen von speziellen mündlichen Leistungen in Einzelsituationen
    29
    Schriftliche Mitarbeit
    - Alternativen zur Tafelabschrift
    - Zulassen von technischen Hilfsmitteln - Einsatz von geeigneter Lineatur (vergrößert)
    - Anteil der Bewertung anpassen (Verhältnis schriftlich / mündlich)
    - Unterstützung beim Notieren der Hausaufgaben
    Zeitliche Vorgaben
    - Verlängerte Arbeitszeiten
    - verkürzte Aufgabenstellungen
    - Individuelle Unterbrechungen
    - Visualisierung der Restzeit Räumliche Bedingungen
    - individuelle Arbeitsplatzorganisation (Reizreduzierung)
    - Einzelplatz
    - separater Raum bei Klassenarbeiten
    - Lärmreduktion
    Unterrichtsinhalte
    Deutsch/Sprachen
    - Strukturierungshilfen für das Erstellen von Texten
    - Nutzen von Wörterbüchern
    - Klare Aufgabenstellungen, Ermöglichen von Rückfragen
    - Textverständnis klären
    - Vermeidung von Metaphern, Redewendungen - ansonsten zusätzliche Hilfen
    - Themen auf ihren emotionalen und sozialen Gehalt überprüfen, Sachtexte bevorzugen
    30
    Mathematik
    - Nutzung von Anschauungsmaterial
    - Nutzen einer Einmaleinstabelle
    - Strukturierungshilfen bei verschiedenen Aufgabentypen
    - Textaufgaben mit angepassten Sachinhalten an die Spezialinteressen der Schüler
    - Textaufgaben vorlesen - Alternativen zu Textaufgaben oder zusätzliche (visuelle) Informationen
    - Exaktheitstoleranz in Geometrie erweitern
    - Alternative Rechenwege akzeptieren
    Naturwissenschaftlicher / Gesellschaftskundlicher Bereich
    - Alternative Themenangebote bei problematischen Texten mit Schwerpunkt auf sozialem Kontext
    - Themen auf ihren emotionalen und sozialen Gehalt überprüfen, Sachtexte bevorzugen
    - Erweiterung der Exaktheitstoleranz
    Musischer Bereich
    - Musik: alternative Formen für die Leistungsfeststellung
    - Sport: vorrangig Individualsportarten gegenüber Mannschaftssportarten - Kunst: eher Zeichnen als Malen, Erweiterung der Exaktheitstoleranz
    2.5 Zeugnisse und Bewertungen
    Die Gewährung des Nachteilsausgleichs darf nicht in den Bemerkungen in den Zeugnissen erwähnt werden. Auch bei der Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens muss die Behinderung des Schülers mit einer Autismus-Spektrum-Störung angemessen berücksichtigt werden. Die Bewertung erfolgt auf der Grundlage dessen, was der einzelne Schüler leisten kann. Dabei sollen die Fortschritte vor dem Hintergrund der individuellen Ausgangslage festgehalten werden.

  • Wie gesagt, ich finde die Seite vom Kultusministerium , wo die ganzen Sofortmaßnahmen und Nachteilsausgleiche aufgezählt waren nicht mehr. Das gab es und die Broschüre. Alles weg.

    Hast Du die noch offline oder als Datei?


    Könntest Du mir die Datei schicken oder, wenn Du nur den Ausdruck hast, mir ein Foto von der Titelseite schicken?

    Datei hatte ich gestern schon geguckt, aber nix gefunden. Die Ausdrucke liegen irgendwo in Unterlagen verbuddelt. da bin ich jetzt zu faul zum suchen. Falls mir durch Zufall was in die Hände fällt, mach ich Foto.

    Dagmar, waren das allgemeine Nachteilsausgleiche, also nicht auf ASS bezogen?

  • Nein, das waren ausdrücklich auf Autismus bezogene, genau wie in der Handreichung. Da gab es eine Seite mit Nachteilsausgleichen und eine Seite mit Sofortmaßnahmen. Halt die Bereiche Nachteilsausgleich und Sofortmaßnahmen etwas ausführlicher als in der alten Broschüre/Handreichung.

    Allerdings kommen Nachteilsausgleiche nie bei zieldifferenten Lernen in Frage , ausschließlich bei zielgleich.

  • Allerdings kommen Nachteilsausgleiche nie bei zieldifferenten Lernen in Frage , ausschließlich bei zielgleich.

    Das hatte ich eigentlich auch immer gedacht.


    Aber doch, wir haben N.A. beim Förderschwerpunkt L. Begründung: Die „Lernen-Kinder“ müssen untereinander vergleichbar sein. Komme noch neben der Lernbehinderung eine weitere Behinderung dazu, die Maßnahmen wie eine Zeitzugabe erfordert, müsse formell ein Nachteilsausgleich festgehalten werden.

  • Allerdings kommen Nachteilsausgleiche nie bei zieldifferenten Lernen in Frage , ausschließlich bei zielgleich.

    Das hatte ich eigentlich auch immer gedacht.


    Aber doch, wir haben N.A. beim Förderschwerpunkt L. Begründung: Die „Lernen-Kinder“ müssen untereinander vergleichbar sein. Komme noch neben der Lernbehinderung eine weitere Behinderung dazu, die Maßnahmen wie eine Zeitzugabe erfordert, müsse formell ein Nachteilsausgleich festgehalten werden.

    Ok. Hab ich noch nie was von gehört und hielt ich bislang für rechtlich ausgeschlossen. Aber ich kenne mich mit zieldifferent auch nicht weiter aus.

  • Ok. Hab ich noch nie was von gehört und hielt ich bislang für rechtlich ausgeschlossen. Aber ich kenne mich mit zieldifferent auch nicht weiter aus.

    Ich habe es bisher auch anders gehört. Ist nirgendwo geregelt, da machen die, was die wollen.

    Wenn man allerdings zu Grunde legt, das ohne Nachteilsausgleich ein anderer Schwerpunkt drohen würde, ergibt es durchaus Sinn. Es ist trotzdem irgendwie krampfig mit den Förderschwerpunkten, wenn auch da wieder ein Sortieren nach unten droht. Es wäre so schön, wenn es um das Kind ginge und das es soviel lernt wie möglich . Eine Mutter , die ich aus dem Netz kenne, hat grade erzählt , der Sohn, der letztes Jahr den Förderschulabschluss L bekommen hat, darf jetzt, in der nächsten, höheren Klasse den Hauptschulabschluss nicht machen. Sei rechtlich ausgeschlossen. Seine Klassenkameraden machen den Real. Alles krampfig....

  • Eine Mutter , die ich aus dem Netz kenne, hat grade erzählt , der Sohn, der letztes Jahr den Förderschulabschluss L bekommen hat, darf jetzt, in der nächsten, höheren Klasse den Hauptschulabschluss nicht machen. Sei rechtlich ausgeschlossen

    Kann doch eigentlich gar nicht sein. Weißt Du da Näheres?

    Oder ist es ein anderes Bundesland?

    Ich such mal morgen die Tweets, die die Mutter auf Twitter /X darüber verfasst hat.

  • Das Problem bei dem Urteil des BVerfG ist dien Unschärfe zwischen Notenschutz und Nachteilsausgleich.


    Schaut mal, was in Bayern alles unter Notenschutz fällt, was hier eher Nachteilsausgleich wäre:


    Bürgerservice - BaySchO: § 34 Notenschutz


    Was ist denn bitte z.B. Notenschutz, wenn Hörbeeintächtigte den mündlichen Beitrag durch Gebärdensprache erbringen?

  • Oder das:


    Zitat

    Bei körperlich-motorischer Beeinträchtigung ist es zulässig,

    1.in allen Fächern auf Prüfungsteile, die auf Grund der Beeinträchtigung nicht erbracht werden können

    Soll mal bitte jemand erläutern, warum es sich hier NICHT um den Ausgleich eines Nachteils handeln soll!

  • Eine Mutter , die ich aus dem Netz kenne, hat grade erzählt , der Sohn, der letztes Jahr den Förderschulabschluss L bekommen hat, darf jetzt, in der nächsten, höheren Klasse den Hauptschulabschluss nicht machen. Sei rechtlich ausgeschlossen

    Kann doch eigentlich gar nicht sein. Weißt Du da Näheres?

    Oder ist es ein anderes Bundesland?

    Der Thread ist auf Bluesky

    Butterblumenland (@butterblumenland.bsky.social)
    Würde ich es nicht selbst erleben, ich würde es wohl nicht glauben. Der Teenager durfte wegen des sonderpädagogischen Förderbedarfs Lernen letztes Jahr nicht…
    bsky.app


    Könnt Ihr den Lesen?

  • Hier die Abgrenzung des BVerfG zwischen Nachteilsausgleich (ohne Bemerkung, das BVerfG nennt diesen „inkludierende Maßnahmen“ ) und Notenschutz („Abweichung vom Prüfungsmaßstab“ –> Zeugnisbemerkung geboten):


    Zitat

    Für die Abgrenzung inkludierender Maßnahmen, die nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geboten sind und bei denen daher keine Zeugnisbemerkung erfolgen darf (Rn. 97), von Abweichungen vom Prüfungsmaßstab (Rn. 98), kommt es darauf an, für jede Prüfung genau zu bestimmen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten nach den prüfungsrechtlichen Anforderungen festzustellen sind und in die Notengebung einfließen. Eine Zeugnisbemerkung ist daher bei solchen Fördermaßnahmen nicht gerechtfertigt, bei denen die prüfungsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung in gleicher Weise bei der Benotung berücksichtigt werden wie die entsprechenden Leistungen der Mitschüler.


    Außerdem darf eine Abweichung von der Bewertung nur auf Antrag erfolgen:


    Zitat

    Voraussetzung für die Angemessenheit ist zudem, dass allein die betroffenen Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern darüber entscheiden können, ob wegen einer Behinderung von einer Bewertung prüfungsrelevanter Leistungen abgesehen werden soll.

    Bundesverfassungsgericht - Entscheidungen - Bemerkungen im Abiturzeugnis über die Nichtbewertung einzelner Leistungen sind grundsätzlich geboten


    Rn. 109

  • Was ich überhaupt nicht verstehe, dass die Diagnose genannt werden darf. Das geht doch eigentlich gar nicht (Sozialdatenschutz)

    Das ist auch wohl falsch berichtet worden.

    Ich habe im Urteil nichts dazu gelesen, dass die Diagnose genannt werden muss / darf. Es geht nur um den Hinweis auf eine Abweichung von der Leistungsbewertung. Gründe hierfür müssen nicht genannt werden.

    Dürfen sie eigentlich auch nicht.