Soziale pragmatische Kommunikationsstörung

  • Hallo ihr!


    Wahrscheinlich haben einige von euch auch den Beitrag im anderen Forum gelesen.


    DSM-5: soziale (pragmatische) Kommunikationsstörung: wenn keine restriktiven, repetitiven Verhaltensweisen/Interessen gezeigt werden, ist die Diagnose einer ASS nach DSM-5 nicht erfüllt (z. B., atypischer Autismus).


    Was haltet ihr davon?


    LG
    michie

  • Die Schwierigkeit bei der Diagnostik (mal abgesehen von zu vielen schlechten Diagnostikern) ist meiner Meinung eine grundsätzliche: Die Medizin als Wissenschaft ist nicht in der Lage, die tatsächliche Vielfalt des neurodiversen Spektrums abzubilden. Diese passt- logisch eigentlich - nicht ins System. Man muss sich also mit künstlich benannten und begrenzten Labels behelfen.
    Das geht derzeit nicht anders, weil Hilfen nur mit passendem Label gewährt werden. Und weil es auch für wissenschaftliche Arbeit (die wir ja brauchen) eine Systematik braucht. Idealtypen quasi (wissenschaftlich, nicht bewertend gemeint)


    Grundsätzlich, wissenschaftlich würde ich es für einen Fortschritt halten. Allerdings ist auf der praktischen Ebene zu befürchten, dass es damit keine oder die falschen Hilfen gibt.



    Übrigens: Wenn die Rechnung Autist minus repetitive Verhaltensmuster eine soziale pragmatische Kommunikationsstörung ergibt, dann lässt sich im Umkehrschluss damit wunderbar die Notwendigkeit therapeutischer Hilfen in der Pragmatik begründen, für alle autistischen Kinder :) (Die Pragmatik ist ein Teilbereich der Logopädie und Sprachtherapie, und auch das Einsatzgebiet für UK bei gut sprechenden autistischen Kindern)

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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  • Wie schon bei RK geschrieben: Die neue Diagnose hat etwas von "Autismus light" für Personen, die irgendwo im Grenzbereich liegen zwischen Autismusspektrum und "Normalität". Spöttisch könnte man sagen, eine Art Trostpreis-Diagnose für Menschen, die nicht alle notwendigen Merkmale einer ASS erfüllen, die aber trotzdem nicht den Maßstäben der nicht-autistischen Umwelt genügen.


    Der Vorteil dieser neuen Diagnose könnte darin liegen, dass zukünftig auch Menschen eine Diagnose (und damit Zugang zu HiIlfen) erhalten, die bislang durch alle Raster gefallen sind. Es kann aber auch passieren, dass Menschen mit eher verdeckter Sympomatik aus dem ASS-Spektrum herausfallen (die bislang noch knapp drin gewesen sind) und sich nun mit einer Diagnose zufrieden geben müssen, über die es noch so gut wie keine Erfahrungswerte gibt und wo meines Wissens noch völlig unklar ist, was für Hilfen dafür angedacht sind.


    Ob die neue Diagnose auch eine konkretwn praktischen Wert mit sich bringt, der den Betroffenen wirklich weiter hilft, muss sich wohl in der Praxis erst noch zeigen.

  • Ich muss mal ganz blöd fragen: Wie zeigt sich diese soziale pragmatische Kommunikationsstörung?
    Könnt ihr mir bitte Beispiele nennen!


    Hallo Ella,


    das ist ja das Problem, darüber lassen sich bislang so gut wie keine Informationen finden, selbst bei Wikipedia gibt es noch keinen Artikel zur "sozialen Kommunikationsstörung". In allen Publikationen, die im Internet zu finden sind, gibt es bislang nur die vage Beschreibung, die michie schon genannt hat: Es scheint sich - ganz vereinfacht gesagt - um eine Art on ASS zu handeln, jedoch ohne restriktive, repetitive Verhaltensweisen/Interessen, die zu einer ASS zwingend mit dazu gehören.


    Was mir nicht ganz klar ist und was auch auch diese Quelle nicht eindeutig wiedergibt, ist die Frage, ob auch die bisherige Diagnose "atypischer Autismus" zukünftig durch die "soziale Kommunikationsstörung" ersetzt werden soll. Wenn das so sein sollte, dann würde die neue Diagnose gewissermaßen dazu dienen, das Spektrum (zynisch gesagt) zu "bereinigen" und den Autismusbegriff wieder etwas enger zu fassen. Es wird ja auch oft gemunkelt, die ganze Überarbeitung vom DSM-IV zum DSM-V sei ohnehin vorrangig aus politischen Gründen erfolgt.

  • da das eine Diagnose des DSM-5 ist, nehme ich sie erst mal nicht so für mich an, denn hierzulande wird ja üblicherweise nach ICD diagnostiziert. Und da ist die ASS mittlerweile Standard. Stand nicht bei rehakids, DSM wäre amerikanischer Standard?

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    Liebe Grüße von Klara


    "Das, was mich behindert,
    damit lerne ich zu leben.
    Der, der mich behindert,
    der lässt mich im Leben leiden."


    © Klara Westhoff

  • Dario, danke. Jetzt sehe ich etwas klarer.


    Ich sehe eher Nachteile. Ich fürchte, die Problematik und das Behinderungsbild könnten eher verharmlost werden.
    Autismus ist ja für die Leute schon wenig (be-)greifbar.
    Unser Sozialamt könnte vermutlich gar nichts mit dieser Diagnose anfangen und ich bin mir sicher, dass wir noch weniger Hilfen erhalten würden.


    Kommunikationsstörung.....das klingt so harmlos und verniedlichend, so nach "Allerweltsproblem".

  • Also wenn ich das richtig verstehe, ist der DSM5 wirklich vorrangig für die USA. Gleichzeitig hat der DSM aber auch viel Einfluss auf den ICD.
    Bei Wikipedia steht, dass es inzwischen 374 verschiedene Diagnosen gibt. Tatsächlich soll Asperger gestrichen worden sein, laut Wikipedia.
    https://de.wikipedia.org/wiki/DSM-5


    Scheint wirklich so, als würde der DSM5 vieles irgendwie aufnehmen was der Beginn einer Diagnose sein kann, aber noch keine Diagnose ist...
    Hmm... Vielleicht sollte man den ganzen Thread verschieben, weil es nicht nur Autismus gibt.
    Hab bei Wikipedia gelesen, dass der DSM5 die komplexe [lexicon]Posttraumatische Belastungsstörung[/lexicon] nicht aufgeführt sein soll. Ist es im ICD10 so auch nicht, sondern etwas anders formuliert.


    https://www.psychiatrie-verlag…-article/-614d82eb07.html Den Artikel zum DSM5 finde ich auch noch sehr spannend.

  • Aber wenn der DSM wirklich nur für die USA gilt, weshalb hat die TE auf RK dann diese Diagnose für ihren Sohn erhalten, in Deutschland?


    Ich hoffe, dass es in unseren Gefilden - zumindest für die Diagnosen, die an die Eltern und für die Ämter ausgestellt werden - einfach beim Autismus-Spektrum bleibt. Weil die eben vor allem für das alltägliche Leben, die Praxis nötig sind. Für wissenschaftliche Zwecke können ja Sub- und Teilkategorien ohne Ende erstellt werden. :|

  • Guten Morgen,

    Was haltet ihr davon?


    Ich halte nichts davon es schön zu reden, wenn Diagnosekriterien aufgeweicht werden, um die Anzahl korrekt diagnostizierte Kinder herab zu setzen. Das wirkt auf mich wie ein neues Sparprogramm. Ärzte wollen sich nicht festlegen. Es ist ja "eigentlich nichts". Eltern bleiben im Bereich des Vagen und müssen weiter grübeln "was ist es, ist es vielleicht nichts?".
    Ich denke nicht, dass es mit so einer "wischi-waschi" Diagnose einfacher sein wird, Unterstützungen zu erhalten. Das ist doch schon mit einer "reinen" ASS Diagnose schwierig.
    Lynkas grüßt.

  • Trixi

    Hat das Label Autismus hinzugefügt.