Ihr Lieben,
Hans legt - zur Zeit noch mehr als sonst - jedes Wort, jede Formulierung auf die sprichwörtliche Goldwaage.
Es geht aber nicht bloß um Formulierungen, sondern um das ganze Sprachsystem, darum, wie einerseits er selber spricht, andererseits die anderen reden, meinen, fragen, antworten.
Beispiele:
Er hat vor Jahren eine Sprache erfunden, quasi "hansisch", die sich dadurch auszeichnet, dass die selbst erfundenen Wörter komplett bedeutuungsfrei sind, sich aber für seine Ohren schön oder witzig anhören. Er merkt sie diese Wörter, die sind teils ellenlang. Und er nimmt diese Sprache gerne für Dialoge, zb fragt er dann, was das Wort heißt - raffiniert, so nimmt er eine Inhaltsebene weg, der Dialog wird für ihn einfacher.
Wenn ich ihn früher gefragt habe: "Hast Du noch Hunger?" kam immer ein "Nein" und er aß nicht weiter. Wenn ich ihn gefragt habe "Bist Du satt?" kam eine "richtige" Anwort, also nicht formal sondern inhaltlich, je nachdem ob er halt noch Hunger hatte oder nicht. Das war in vielen Situationen so.
er versteht vieles wortwörtlich, er kommt aber erst gaaaaanz langsam drauf, dass man da auch mal nachfragen kann.
Gestern hat er mich gefragt, ob man an einer Grippe stirbt, ganz ungewöhnlich offene Frage für Hans, ich nehme an, jemand in der Schule hat entweder mal gesagt "Na, an der Grippe stirbt man nicht." oder "An Grippe kann man sterben."
Wenn er einen Satz noch nie gehört hat, kann er ihn auch nicht sagen. Früher hatte ich oft das Gefühl, sein Sprachvermögen besteht aus Formulierungen, Sätzen, "Modulen", die er nach Bedarf zusammensetzt. Also eine ganz andere Art zu sprechen.
er versucht, seine Bezugspersonen zu kontrollieren, welches Wort sie zur Begrüßung/Verabschiedung sagen, zum Beispiel. Er möchte auch sonst gerne feste Formulierungen für feste Abläufe, das ist ihm sehr wichtig. (Bei einigen Routinen lassen wir ihn da gewähren, soweit er freundlich bleibt. Sobald es Zwangsaspekte bekommt, müssen wir ihn da stoppen. Die Balance ist, je nach aktueller Seelenlage, nicht ganz einfach)
Ich habe schon länger das Gefühl, er hat zu Sprache Synästhesien. Es gibt zb Wörter, die ihn förmlich (angenehm) kitzeln. Und es gibt welche, wo er dicht macht oder aggressiv wird. Letzteres beschreibt zb auch Nuala Gardener für ihnen Sohn Dale ("Ein Freund namens Henry").
Es ist sehr streng mit sich selber, wenn er sich verspricht, schimpft sich dann selber. Neuerdings kommt er dann mit öfterem Neubeginn quasi fast ins Stottern.
Er blockt oft ab, das hat viel damit zu tun, dass er sich nicht festlegen lassen will, dass er sich nicht in eine Situation begeben will, aus der er nicht mehr rauskommt. Nachdem ich ihn aber aus neuen Situation natürlich rauslasse, wenn er möchte, und ihn unterstütze, und mich da eigentlich auch für sensibel halte, habe ich den Verdacht: Es gibt so Formulierungen, die sind für ihn Determinierungen. Das muss dann so sein, weil das Wort/die Wendung das verlangt.
Er hat als Kleinkind nach anfangs langsamer, aber für mich unauffälliger Sprachentwicklung mit gut einem Jahr die Sprache (inkl Mimik und Gestik) komplett eingestellt. Kein Nicken, Kopfschütteln, nichts. Dann mit 2 1/2 fing er plötzlich an, erst mit einem Wort, nach einer Woche in ganzen Sätzen. Er hatte also wohl nicht gesprochen, obwohl er es physisch und kognitiv gekonnt hätte. Er hat die Sprachentwicklung zwischen "Mamama" "Opapapa" (auf dem Stand hatte er abgebrochen) und dem Sprechen ganzer Sätze komplett ausgelassen (oder sie nur "heimlich" bzw im Geist vollzogen).
Ich wüsste so gerne mehr dazu.