Sozial unangemessener Gesichtsausdruck

  • Hallo Ihr Lieben, die ihr autistische Kinder habt (oder selbst im Spektrum seid).


    Ich wollte mal fragen, ob Euch bei Euren Kinder aufgefallen ist, dass sie ein „sozial falsches Gesicht“ machen. Damit meine ich ein Gesicht, dass für andere „bösartig“ und „abweisend“ aussieht.


    Ich kann das jetzt schlecht beschreiben, weil ich nicht merke, wenn ich dieses falsche Gesicht mache, aber mir wird oft gesagt, ich würde „schon wieder so eine Gesicht“ machen und man würde daran sehen, dass ich „bösartig“ oder „ablehnend“ sei.


    Ich bin inzwischen sehr unsicher, wenn mich jemand lange anschaut, weil ich mir Sorgen mache, wieder dieses bösartige Gesicht zu machen, obwohl ich nicht bösartig bin. Ich glaube jedenfalls, dass ich es nicht bin. Meistens bin ich müde oder mir ist kalt oder mir tut etwas weh oder ich bin angestrengt. Aber mein Gesicht sieht dann wohl „bösartig“ oder „abweisend“ aus.


    Ich bin unsicher, ob ich zu viel oder zu wenig Mimik habe.


    Ich kann auch nicht die Gesichter anderer Menschen „nachahmen“ um es richtig zu machen, weil mir die Gesichter anderer Menschen Angst machen mit den vielen Gefühlen darin, dass ich sie mir nicht ansehen kann. Und das „Nachahmen“ eines fremden Gesichts wäre ja nicht mein Gesicht. Das wäre doch falsch und Schauspiel? Ich müsste dann so ein paar Standartgesichter lernen und aufsetzen. Wären dann andere Menschen weniger in Verlegenheit gebracht? Aber ich fände das unehrlich. Das wäre doch nicht ich.


    Ich mache mir darüber in letzter Zeit sehr viele Gedanken und wenn ich mich aus versehen mal im Spiegel sehe, merke ich, dass ich sehr verkrampft aussehe und unschön.


    Hm, schwierig. Machen Menschen ohne Autismus denn immer so „Maskengesichter“, um der sozialen Norm zu entsprechen?


    Lynkas grüßt.

  • Hallo Lynkas,


    mir wurde auch oft nachgesagt (vor allem als Kind), ich solle doch "nicht immer so finster schauen" oder "auch mal lächeln" und dergleichen.


    Wenn ich so etwas hörte, war ich immer ein wenig erschrocken und hilflos, denn mir war nie bewusst, dass man Gesichtsausdruck auf andere so negativ und unsympathisch wirkt. Gleichzeitig fühlte ich ich hilflos, denn wie soll man etwas ändern, was einem selbst gar nicht als Problem bewusst ist?


    Ich möchte gar nicht wissen, wieviele Leute mich aufgrund "falscher" Gesichtsausdrücke schon als unsympathischen Menschen eingestuft haben, mit dem sie keinen näheren Kontakt wollen - oder als einen Menschen, von dem sie denken, dass ich selbst gar keinen Kontakt mit anderen will. Vermutlich wird einem als Autist durch den "falschen" Gesichstausdruck vieles im Leben verbaut, ohne dass es einem das jemals bewusst ist, warum man z.B. keine Freunde findet oder die Leute immer so distanziert bleiben. :icon_cry


    Heute als Erwachsener kann ich Mimik und Gestik bis zu einem gewissen Grad bewusst einsetzen, fürchte aber, dass das schlussendlich immer irgendwie künstlich und ausgesetzt wirkt; was ja auch nicht Sinn der Sache sein kann, das sehe ich genau wie du.


    Wie man dieses Problem nachhaltig lösen kann, sehe ich nicht, denn die fehlende bzw. eine (von außen) als unangemessen wahrgenommene Mimik ist ja ein Kernproblem beim Autismus. Bis zu einem bestimmten Grad kann man seine Gesichtsausdrücke als Erwachsener bewusst steuern, das erfordert aber viele Kognitionsarbeit und wird nie so locker und intuitiv ablaufen wie bei nicht-autistischen Menschen.

  • Hallo,


    also, im Gesicht meines Sohnes kann man ganz gut lesen. Der hat ein bezauberndes Lächeln, das eben grade so unwiderstehlich ist, WEIL es 100% authentisch ist.
    Wobei Hans oft "Löcher in die Luft guckt", also einen leeren Gesichtsausdruck hat. Eben dann, wenn er nachdenkt.


    Dass man anderen nicht freundlich genug guckt, kenne ich aber von mir selber auch, wenn auch nicht so ausgeprägt. Zu mir wurde als Kind öfter gesagt, wieso ich so "sparsam" (heisst: verständnislos, doof) gucke.
    Ich hab mir als Kind aus meinen Karl-May-Büchern einen Satz dazu gemerkt, der hat mir als Erklärung geholfen: "Wenn sich der Geist nach innen zieht, muss das Gesicht logischerweise dumm aussehen." (So in etwa). Heute würde ich sagen, der Gesichtsausdruck ist "nicht präsent". Wenn man besonders reizoffen ist, und wenn im Gehirn sich vieles abspielt, komplexe Gedankengänge, und wenn man sehr konzentriert ist, dann korrespondiert halt die Mimik, bzw die Gesichtsmuskeln haben Pause und entspannen sich.


    Es ist sicher gut, sich überhaupt mal dessen bewusst zu sein.
    Das mit dem "Gesichter aufsetzen" sehe ich ähnlich wie Ihr.
    In einzelnen Situationen versuche ich eben, komplett aufs Umfeld konzentriert zu sein, auf die Menschen um mich rum. Und die "Denkmaschine" abzuschalten. Nun habe ich ja eine ADS-Ausstattung, keine autistische. Ich denke, das wird nicht bei allen Autisten möglich sein, oder jedenfalls sehr viel Kraft kosten.
    zuhause, bei meinen Lieben, darf die Präsenz von innen heraus kommen, oder eben nicht. Da bin ich lieber spontan und diesbezüglich "ungesteuert".
    Was aber sowohl zuhause als auch draußen gut ist, mal jemanden bewusst anzulächeln, anzustrahlen. Das tut mir auch selber gut, und dem anderen auch. Also auch mal die Konzentration auf den anderen, den man mag, legen, und nicht auf die eigenen Gedanken fokussieren, dann "folgt" der Gesichtsausdruck bis zu einem gewissen Grad automatisch (sicherlich nicht bei jedem gleich ausgeprägt).
    Also nicht die Mimik anknipsen, sondern innerlich ein (authentisches) Gefühl zu jemandem präsent machen. Das sind so Momente, wo ein spürbares Band da ist, wo die Beziehung quasi festmachbar wird - das ist sehr wichtig für die Zwischenmenschlichkeit bei Nichtautisten, und bei meinem Sohn ist das definitiv auch so, der kann das auch, und der genießt und braucht das auch.
    in der Psychologie und Ratgeberliteratur wäre wohl "Achtsamkeit" das Stichwort dafür.


    Ehrlich gesagt, hab ich erst jetzt grade, durch Deine Frage, Lynkas, so genau darüber nachgedacht.
    Ich finde solche Abgleichungen sehr interessant. Und es zeigt mal wieder, wie sehr die dominante NT-Kultur ihre eigenen unbewussten Maßstäbe verallgemeinert (ist ja auch wiederum logisch).
    Man muss das alles kommunizieren, auf breiter Basis. Interkulturelles Verstehen, quasi.


    Ein "falsches" Gesicht kann es also nicht geben, und "bösartig", "abweisend" sind (falsche) Zuschreibungen durch andere (die sich dessen aber nicht bewusst sind). In Deinen Posts, Lynkas, ist nichts Bösartiges oder Abweisendes, sondern da zeigt sich eine sehr empfindsame, mitfühlende Seele.


    Autisten tun sich ja gewöhnlich schwer, Gesichtsausdrücke zu interpretieren. In dem Fall sieht man, dass auch Neurotypische da öfter mal falsch liegen. Das "automatische Sortieren" das Nichtautisten draufhaben, hat viele Vorteile, aber es hat eben auch eine Fehlerquote.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    20 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • Danke Enscha, was Du schreibst hilft mir gerade wirklich gut, die Zusammenhänge, die Missverständnisse und Probleme besser zu verstehen. Könnte ich glatt mal als Erklärungsgrundlage ausdrucken, wenn mal wieder ein Mensch irritiert von mir ist. :nummer1 Und ich hoffe auch immer, dass es Menschen gibt, die es schätzen, wenn ich authentisch bin.
    @Dario: gut zu lesen, dass es nicht nur mir so geht. Und ich bin auch noch mehr motiviert, meine eigenen Vorurteile aufgrund von Äußerlichkeiten abzulegen, wenn ich lese, wie es auch anderen passiert ist, dass sie nur aufgrund eines nicht normgerechten Gesichtsausdrucks womöglich als unsympathischer Mensch eingestuft worden sind :icon_confused
    Lynkas grüßt.

  • Hallo Lynkas!


    Auch ich höre so lange ich denken kann "was schaust Du so böse?!" Ich wurde und werde auch oft als arrogant, abweisend, unfreundlich usw. bezeichnet.
    Früher habe ich wirklich darunter gelitten, weil das natürlich nicht von mir beabsichtigt war!
    Als ich jünger war, hat man mir das auch oft direkt gesagt, dass man deshalb nichts mit mir zu tun haben will. Manchmal ist es aber auch passiert, dass mich jemand kennenlernte und dann sagte, ich würde auf den ersten Blick unfreundlich wirken, was ja aber gar nicht so sei.


    Irgendwann war ich so genervt davon, dass ich wirklich unfreundlich antwortete "ich hab halt so ein Gesicht, wem es nicht gefällt, der soll woanders hinschauen!"
    Bei der Arbeit habe ich irgendwann gelernt, eine Maske aufzusetzen, weil mir immer öfter gesagt wurde, dass das erwartet wird. Anfangs war es sehr übertrieben und wirkte sicher noch unechter als jetzt, nach Jahren Übung. Eine Kollegin und Freundin habe ich, die genau das erkennt und sieht und auch sagt, dass das nicht echt ist. Die anderen lassen sich mittlerweile täuschen.
    Wohl fühle ich mich aber nie dabei und unbewusst läuft das auch nie, ich muss jedesmal ganz bewusst daran denken, jetzt genau diesen "freundlichen Begrüßungsgesichtsausdruck" zu machen.


    Vielleicht habe ich aber den Vorteil, dass ich durchaus andere Menschen beobachten kann, solange ich Ihnen nicht direkt in die Augen sehen muss.


    Mein Sohn hat auch so ein unwiderstehliches Lächeln und auch wenn er so abwesend wirkt, sieht er unglaublich zufrieden aus.
    Wenn er sich anstrengt, wirkt er sehr ernst, aber vielleicht sieht das auch einfach in einem Kindergesicht noch nicht so "unfreundlich" aus, dass man es so bezeichnen würde.
    Sozial unangemessen ist wohl eher, wenn er grinst, obwohl es grad nix zu grinsen gibt. Das hatte ich aber früher auch, bis zu Lachanfällen im Unterricht, wegen derer ich Ärger bekam oder ausgegrenzt wurde. Das ist irgendwann einfach verschwunden bei mir, steuern konnte ich das aber auch nicht willentlich.


    Mach Dir nicht zu viele Gedanken darüber, was andere über dich denken (leicht gesagt, ich weiß)
    Die, die dich wirklich kennenlernen wollen, nehmen Dich wie du bist, egal wie Du schaust!
    Es sind vielleicht nicht so viele, aber dafür sind es dann Menschen, denen DU WIRKLICH am Herzen liegst!


    _______________________________________________________
    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

    Einmal editiert, zuletzt von Phila ()

  • Mach Dir nicht zu viele Gedanken darüber, was andere über dich denken (leicht gesagt, ich weiß)
    Die, die dich wirklich kennenlernen wollen, nehmen Dich wie du bist, egal wie Du schaust!
    Es sind vielleicht nicht so viele, aber dafür sind es dann Menschen, denen DU WIRKLICH am Herzen liegst!


    Danke, das ist nett von Dir geschrieben :) !
    Ich möchte gerne, dass diejenigen, die mir immer wieder sagen, mein Gesicht sei "bösartig" und "feindselig" mir glauben, dass es in meinem Innern nicht so ist. Ich weiß nicht, wie ich sie dazu bringen kann, mir zu glauben.
    Ich bin auch nicht sicher, ob es nicht egoistisch ist, dass ich will, dass sie es glauben. Ich will es ja aus Eigennutz, um zu "beweisen", dass ich kein schlechter Mensch bin.
    Wenn es Menschen aus meiner Familie sind, weiß ich, dass ich ihnen am Herzen liegen muss. Es ist mir wichtig, dass sie es glauben.
    Es ist halt so anstrengend den ganzen Tag beweisen zu müssen, gut und funktional zu sein und immer zu überprüfen, ob das Gesicht gut genug ist. Vielleicht bin ich dann einfach wirklich "bösartig" und "feindselig", weil mich alles so viel Kraft kostet, kann sein. Ich weiß es einfach nicht. Es kommt mir vor, als hätte ich wirklich nicht genug "Muskelkraft" für ein lachendes Gesicht.
    Freiwillig kennenlernen wird mich niemand, aber es ist ja notwendig, die bezahlten Menschen bei Laune zu halten. Da ist ein ziemliches Repertoir an "einladenden" Gesichtern gefragt.
    Ich werde also weiter "trainieren" und...also ich fürchte, ich muss meine Gefühle auch einfach besser wegstecken lernen, damit ich die freundlichen Gesichter besser "bereitstellen" kann und mir nicht so viel Gedanken machen muss, denn das strengt mich auch sehr an.
    Lynkas grüßt.

  • Freiwillig kennenlernen wird mich niemand, aber es ist ja notwendig, die bezahlten Menschen bei Laune zu halten. Da ist ein ziemliches Repertoir an "einladenden" Gesichtern gefragt.


    Warum sollte dich denn freiwillig niemand kennen lernen wollen? Es ist schade, dass du dich selber so einschätzt,


    Ich weiß zwar nicht, wie du im persönlichen Kontakt wirkst, aber hier im Forum schreibst du sehr durchdacht, sehr menschlich und empathisch. :)

  • Innerhalb der entfernten Verwandtschaft hieß es immer, "dein Sohn schaut so ernst aus" - ich sagte dazu nur, "es ist halt kein Schwachsinnsgrinser".


    Heute sind doch alle so, dass man sich immer freundlich anlächelt, man nickt sich in unserem Dorf zur Begrüßen zu und lächelt sich an.


    Ich mache das bei manchen Menschen, doch die mir nicht wirklich bekannt sind, oder auch nicht sympathisch sind, lächle ich auch nicht an. Auch wenn andere das immer machen, man kann auch ohne Grinsen guten Tag sagen.


    Mein Sohn soll die Grimassen schneiden, die er mag, wenn er lacht, wenn sich einer verletzt, na, dann ist es halt so - wenn es ernst ist, reagiert er schon passend - doch bei jedem "Geheule" muss man es auch nicht immer so ernst nehmen.


    Das eine Kind wird richtig theatralisch, ohne das es wirklich weh tat, und schreit und weint und windet sich mit schauspielerischem Talent in seinen Qualen - da muss ich auch an mir arbeiten um nicht los zu lachen.
    Doch wenn es wirklich ernst ist, blutig oder eine Schramme, dann leidet er mit.


    Also würde ich das nie so ernst nehmen - auch wenn man als erwachsene gegenüber anderen nicht immer so "freundlich" rüber kommt, wird es schon ok. sein - denn wenn es richtig lustig ist, lacht man ja auch - nur dieses Dauerlachen muss man ja auch nicht machen.

  • Ich bin auch von Natur eher ein Grimmig Gucker, ich merke das überhaupt nicht von alleine.
    Im Spiegel verjage ich mich dann selber, wenn ich mich durch Zufall entdecke.
    Ich bin allerdings auch richtig gehend allergisch gegen übertriebene Freundlichkeit, sowas regt mich dann schnell an, noch grimmiger drein zu schauen :icon_redface:icon_redface
    Angenehm finde ich ruhigen, wertschätzenden Tonfall und das Gefühl, das ich ernst genommen werde.

  • Ich bin allerdings auch richtig gehend allergisch gegen übertriebene Freundlichkeit, sowas regt mich dann schnell an, noch grimmiger drein zu schauen


    Ja, genau :klatsch ! Putzig, dass es Dir auch so geht!

    Angenehm finde ich ruhigen, wertschätzenden Tonfall und das Gefühl, das ich ernst genommen werde.


    Richtig, das sehe ich genau so und ich rufe mich immer wieder selbst dazu auf, es selbst zu beherzigen, wenn ich meine "Redezeit" habe, also wenn ich mal ins Reden komme. Ich möchte nämlich auf keinen Fall andere zuquatschen mit meiner Meinung, etwas auf sie projiezieren.
    Es ist so angenehm, wenn jemand ruhig mit mir redet. Ich genieße es, wenn ich solche Menschen treffe.
    Der Tonfall ist auch so ein schwieriges Thema. Ich habe entweder eine "Theaterstimme", wenn ich ins Reden komme, oder - wenn ich nur ein paar Worte sagen kann - versteht man mich ganz schlecht, wie mir gesagt wird. Ich merke das dann nicht, ich verstehe mich :D , die anderen aber nicht. Oder mein Ton ist "falsch", es passiert ein Verbalunfall und deswegen klappt es dann wieder nicht im Zwischenmenschlichen, weil ich "in diesem unangemessenen Ton" rede, selber schuld, wenn es dann im Zwischenmenschlichen kracht :S

  • Also, aufgesetzte Freundlichkeit mag ich auch nicht.


    Man kann jetzt aber nicht einen Gegensatz aufmachen a la Menschen mit aufgesetzter Freundlichkeit vs Menschen, die auf andere leicht unfreundlich wirken, es aber nicht sind.
    die Mehrheit ist weder das eine noch das andere. Die Mehrheit hat einfach per "Werkseinstellung" eine Mimikprogrammierung, passiv wie aktiv - Mimik erkennen ohne groß drüber nachzudenken, und Mimik selbst unbewusst und passend einsetzen.
    Und wenn die Leute, die dieser Mehrheit angehören, Dagmars, Philas oder Lynkas Gesicht sehen dann interpretieren sie es eben auf ihrer eigenen Folie, solange ihnen nicht bewusst ist, dass das nicht passt. Das kann man ihnen nicht nachtragen, ebensowenig wie man andersrum nachtragen darf, dass jemand "unpassend" schaut.
    man muss es einfach offen ansprechen vielleicht ...?

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    2 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • @ Enscha , ich tu mich immer schwer , wenn es darum geht , zu beurteilen, was eine sogenannte Mehrheit tut. Dafür erlebe ich Tag für Tag Begebenheiten , wo ich keine nennenswerten Übereinstimmungen oder Regeln erkennen kann.( Was in China höflich ist, ist möglicherweise in Afrika eine Beleidigung !)
    Ob Interpretationen tatsächlich so beiläufig und unbewußt geschehen, lass ich auch mal dahin gestellt. Ich stelle immer wieder fest, das teilweise Menschen aus ihren Erfahrungen und Lebenskonzepten die seltsamsten Interpretationen vornehmen, vorzugsweise auch in Stereotypen reagieren.Ich halte daher tatsächlich was davon, das grundsätzlich subjektive Interpretationen hinterfragt werden, ob die einen Wahrheitsgehalt aufweisen.

  • achso , was mir grade eingefallen ist. Situationen sind ja naturgemäß auch immer individuell unterschiedlich mit Gefühlen belegt. Der eine fühlt sich in bestimmten Situationen wohl ,der andere nicht. Insofern ist es meiner Ansicht nach eher unmöglich, das ein und dieselbe Situation zwangsläufig dazu führt, das Menschen allgemein gleich reagieren. Dazu sind Menschen in ihren Wahrnehmungen zu unterschiedlich.

  • Zitat von Dagmar

    Ob Interpretationen tatsächlich so beiläufig und unbewußt geschehen, lass ich auch mal dahin gestellt. Ich stelle immer wieder fest, das teilweise Menschen aus ihren Erfahrungen und Lebenskonzepten die seltsamsten Interpretationen vornehmen, vorzugsweise auch in Stereotypen reagieren

    Ja, natürlich fließen da sämtliche Erfahrungen, Prägungen usw und daher auch stereotype Vorstellungen mit ein. Beiläufig und weit überwiegend in der Situation unbewusst. Das gehört zu dem, was man Autopilot nennen kann. Und was Autisten nicht zur Verfügung steht bei der Bewertung von Situationen. Sie haben natürlich genauso Prägungen, Erfahrungen, die in die Bewertung eingehen, aber der Bewertungsprozeß läuft rational ab und braucht Zeit und Energie.



    Das ist die neuromäßige Werkseinstellung/Werksausstattung der Mehrheit, in Europa und anderswo. Das was ganz unterschiedlich ist, ist die Kultur. Und mit der Kultur, aber auch mit der persönlichen Biographie, und mit der ganzen Persönlichkeit, hat natürlich zu tun, welchen Erfahrungsraum,welche Prögungen ein Mensch hat - egal mit welcher Neuroausstattung.
    Ein Lächeln oder ein grantiges Gesicht wird in Japan sicherlich je nach Kontext anders interpretiert als in Deutschland,da gibt es viele Facetten.


    Dass Menschen gleich reagieren hab ich nirgends geschrieben.


    Wie die "Werkseinstellung" eines Menschen ist, ob neurotypisch, autistisch, oder anders, das ist eben wie es ist - jede Art hat ihre Vor- uñd Nachteile. Da gibt's kein besser oder schlechter, sondern nur eine funktionale Fragestellung: Wie funktioniert das? Wofür ist das gut?
    Das ist jedenfalls mein Ansatz.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    3 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • @Enscha , ich kann mit Begriffen wie Werkeinstellung , Autopilot etc.. nix anfangen.
    Ich bin allerdings auch vorgeprägt, weil mir solche Konstruktionen zu oberflächlich sind einerseits und möglicherweise auch diskriminierend werden können, indem diverse( angeblich übliche ) "Werkeinstellungen" dann doch höher bewertet werden als andere.
    Und ich bin seit ewigen Jahrzehnten radikaler Konstruktivist, :
    https://de.wikipedia.org/wiki/Radikaler_Konstruktivismus
    Zitat :


    Der Radikale Konstruktivismus ist eine Position der Erkenntnistheorie, die sich deutlich von anderen Konstruktivismen unterscheidet. Die Kernaussage des radikalen Konstruktivismus ist, dass eine Wahrnehmung kein Abbild einer bewusstseinsunabhängigen Realität liefert, sondern dass Realität für jedes Individuum immer eine Konstruktion aus Sinnesreizen und Gedächtnisleistung darstellt. Deshalb ist Objektivität im Sinne einer Übereinstimmung von wahrgenommenem (konstruiertem) Bild und Realität unmöglich; jede Wahrnehmung ist vollständig subjektiv. Darin besteht die Radikalität (Kompromisslosigkeit) des radikalen Konstruktivismus.


    Ich hatte mal eine meiner Abschlussarbeiten über radikalen Konstruktivismus und Piagets Akkomodation und Assimilation geschrieben und für mich so beibehalten, für mich ist das alles schlüssig :)

  • Hallo Dagmar,


    Zitat

    jede Wahrnehmung ist vollständig subjektiv

    Da sind wir uns einig. Nur, auch der Konstruktivismus ist nur eine von vielen möglichen "Brillen", Perspektiven, die man aufsetzen kann.
    Und je nachdem, was man erkennen möchte, wofür man den Blick schärfen möchte, ist manchmal auch eine andere Perspektive von Vorteil. In der Wissenschaft, und auch im Alltagsleben.
    Wenn man über die Beweggründe menschlichen Handelns etwas erfahren möchte, ist es schon sehr spannend zu fragen, warum viele Menschen etwa so tun, wie sie es tun. Dass EINZELNES Handeln zwar Mechanismen folgt, dabei aber immer subjektiv bleibt, darf man natürlich nicht vergessen.


    Ich glaube aber, das führt jetzt zu weit, und interessiert höchstens uns beide. ;)


    (Übrigens: Die von mir benutzten Begriffe wie Werkseinstellung, Autopilot sind zwangsläufig grobe Vereinfachungen, und zwar auch aus einer Perspektive. Solche Denkmodelle haben den Vorteil, dass man klarer über etwas schreiben/reden kann. Finde ich jedenfalls.)

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    2 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • @Enscha , das ist ja das Spannende, das der eine glaubt, eine Vereinfachung würde dann tatsächlich Sinn machen, während der andere nix mit anfangen kann und nur Bahnhof versteht :):)


    Ob nun der radikale Konstruktivismus nur eine Brille ist, oder doch eher eine ganz gute Arbeitsgrundlage, ist dann sicher auch wieder individuell unterschiedlich , je nachdem halt, welche Ziele man hat. Für meine Ziele hat er sich gut bewährt , ich bin zufrieden :)


    Paul Watzlawick war z.b. radikaler Konstruktivist , und wenn man seine Bücher liest, kommen die "allgemeinen Beweggründe", warum Menschen bestimmte Sachen machen nicht sonderlich gut weg ...............

  • Hallo,
    na, das wird hier ja richtig interessant!


    man muss es einfach offen ansprechen vielleicht


    Versuche ich. Aber es trifft auch zu, was Dagmar schreibt:

    Ich stelle immer wieder fest, das teilweise Menschen aus ihren Erfahrungen und Lebenskonzepten die seltsamsten Interpretationen vornehmen, vorzugsweise auch in Stereotypen reagieren.Ich halte daher tatsächlich was davon, das grundsätzlich subjektive Interpretationen hinterfragt werden, ob die einen Wahrheitsgehalt aufweisen.


    Es gibt oft Menschen, die einfach höher bewerten, was sie sehen und was sie glauben, als das, was ich - schriftlich oder mündlich - erkläre. Da heißt es dann: du guckst so, also BIST du so, du willst es nur nicht zugeben und versuchst, dich rauszureden.
    Deswegen schrieb ich ja auch, dass ich mir irgendwann auch nicht mehr sicher bin, ob ich nicht wirklich "so" bin, wie ich gucke (leider eben "negativ").


    ich kann mit Begriffen wie Werkeinstellung , Autopilot etc.. nix anfangen.
    Ich bin allerdings auch vorgeprägt, weil mir solche Konstruktionen zu oberflächlich sind einerseits und möglicherweise auch diskriminierend werden können


    Hm, einerseits finde ich diese Metaphern, dass ein autistisches Gehirn einem anderen "Autopilot" gehorcht oder eine andere "Werkeinstellung" besitzt ganz gut und anschaulich. Andererseits werde ich auch ungern mit einem - wiederum gefühllosen - Computer verglichen, den man umprogrammieren kann und soll, damit er ist wie die anderen Computer.
    Also ich bin auch selbst sehr "empfindlich" für Gesichtsausdrücke. Gesichter und die Ausdrücke darin irritieren mich, bringen mich durcheinander. Deswegen gucke ich dann nicht (direkt) in die Gesichter. So ist die Gefahr gebannt, dass ich etwas in ein Gesicht hineindeute oder durch diese vielen Gefühle darin (Menschen haben nämlich nicht nur ein Gefühl zur Zeit ) völlig blockiere. Aber wenig oder keinen Blickkontakt aufzunehmen wird auch manchmal als Anzeichen einer uninteressierten, arroganten Persönlichkeit aufgefasst....ach, schwierig mal wieder. :kopfkratz

  • Moin, Lynkas, was mich irritiert , ist die Annahme von Enscha, das der allgemeine Mensch mit der allgemeinen durchschnittlichen "Werkeinstellung" des Gehirns quasi beiläufig und unbewusst ein angemessenes Mimik oder Verhaltensrepertoire abspult.
    Das dem so nicht ist , kann man täglich in der freien Wildbahn beobachten, in Büchern nachlesen und letztendlich im Weltgeschehen beobachten. Vielleicht verstehe ich Enscha auch nur falsch. Für mich würde dieses quasi unbewusst durch Werkeinstellung richtig abgespulte Verhalten bedeuten, das wir im Grunde schon Weltfrieden haben müssten :)
    Realität ist allerdings, das auch die Menschen mit durchschnittlicher Werkeinstellung pausenlos Konflikte produzieren, Missverständnisse erzeugen und der Weltfrieden nicht vom Himmel fällt.
    Was Du beschreibst, also das Unterstellen , das Beharren auf der eigenen Sicht zuzüglich doppelte Botschaften etc..... sind ja bedauerlicherweise weit verbreitet und gehören wohl auch zur neuronalen Grundausstattung.