Kommunikation mit erwachsenen Menschschen Diagnose "Autismus"

  • Hallo...


    schon bei meiner Wahl der Überschrift habe ich Befürchtungen alles falsch zu machen !?


    ICH kenne mich mit "Autismus" relativ wenig aus.


    Ich weiß, dass es unterschiedliche Formen von Autismus gibt.


    Ich meine zu wissen: aus Beschreibungen und Lektüre (Presseartikel, Fernsehberichte, abrufbare Definitionen, Beiträge aus Foren etc.), dass es sehr unterschiedliche Formen von Autismus gibt, die sich je nach Art und Ausprägungen auf einen Bereich von massiven sozialen und kognitiven Einschränkungen bis in höchste Intelligenz und Hochbegabungen (+ soziale Schwierigkeiten/ Schwierigkeiten mit Umweltbedingungen verschiedenster Art) bewegen...
    Zusätzlich ist mir natürlich klar, dass man Menschen mit einer Diagnose niemals ständig über einen gemeinsamen Kamm scheren kann, sollte, darf...


    Meine EIGENEN Erfahrungen mit Menschen mit Autismus sind begrenzt.


    Vorallem beziehen sie sich bislang überwiegend auf den Kinder bis maximal jung Jugendlichen Bereich:


    In Felis Kindergarten ist ein Junge mit Autismus gewesen, der ihn in Form der gemeinsamen Busfahrt bis heute begleitet.
    Ich mochte ihn immer. Es hat allerdings einige Zeit gedauert, bis wir bei der sehr kurzen täglichen Begegnung ein lächelndes (lächle grad während es in meinem Kopf ist) Ritual von Begrüßung und Verabschiedung aufgebaut haben.
    Seit der gemeinsamen Busfahrt hat sich zwischen den Kindern aber etwas verändert (nicht zur Freude der Busfahrer) sie buhlen auf unterschiedliche Weise um Aufmerksamkeit.


    Mindestens 2 Kinder mit der Diagnose Autismus sind jetzt in der Klasse meines Sohnes.
    Mit einem der beiden gibt es, so weit ich es überblicke, einen guten Kontakt. Mit dem zweiten ist es in der Kombi mit Felix wohl zeitweise recht schwierig.
    Feli lautiert phasenweise recht unüberhörbar (er kann nicht sprechen) und nutzt offenbar dieses Lautieren auch an Stellen, an denen er eine Rückmeldung bekommt... im Sinne von "besser negative Rückmeldung als keine" dabei gerät er allerdings mit diesem Mitschüler aneinander, der dies nicht gut auszuhalten vermag!


    Felix lautiert, bekommt negative Rückmeldung, unterläßt es nicht und landet auf dem Boden.
    Grundsätzlich ein normales Verhältnis wie bei ärgernden Kindern... der eine tut etwas, was dem anderem mißfällt, unterläßt es nicht und erntet die nächste Eskalationsstufe...
    Lernen: lass es, jemand anderes mag es nicht!
    Ich bin da auch nicht so empfindlich. Feli bekommt ja in der Regel von außen eine Abmahnung und muss auch lernen, was passiert, wenn man diese ignoriert ...und dies im besten Fall von gleichaltrigen!


    In der Praxis von mir beobachtet tut es natürlich trotzdem etwas weh, wenn da ein Kind meines dann im Einzelfall auch ganz unvermittelt (von außen betrachtet) zu Boden stößt...
    Das liegt vermutlich vorallem am Unterschied der Dimensionen... das Kind ist etwa 40 cm größer als Felix und geschätzt doppelt so schwer.


    Ein weiteres Kind mit ziemlich "neuer ASS Diagnose" geht in die Klasse unseres großen Sohnes.
    Ich hatte da schon mal so einen "Laienverdacht" und nun ist es wohl diagnosdiziert.
    Er ist zeitweise recht häufig bei uns und die Kinder sind recht verschieden, haben aber einige gemeinsame Talente trotz ihrer vielen Unterschiede...
    Unser Sohn weiß nichts von der Diagnose. Er nimmt ihn einfach so, wie er ist! und das ist auch gut so.


    Ein einziges mal hatte ich einen wirklichen Auftrag einem 15-jährigen Jungen mit allgemeiner Autismus Diagnose in einem längeren Gespräch etwas näherbringen zu müssen (beruflicher Natur).
    Ich wußte zuvor von diesem Umstand und habe zuvor ein langes Gespräch mit seiner Mutter geführt.
    Ich habe ihr konkret gesagt worum es geht/ was das Ziel ist und sie gefragt, wie wir (war auch ihr Interesse) dieses erreichen können.


    Tolles Gespräch!, ich habe gefragt: worauf muss ICH achten?, was sollte ICH vermeiden?
    Ich hatte schon Respekt.
    Gelaufen ist es super!
    Nur mein Kollege schaute manchmal irritiert.
    Ergebnis: unangenehmes Thema für ihn, Verabschiedung von mir: schön dich kennengelernt zu haben... Abschluss von ihm: ich hoffe wir sehen uns nicht wieder!
    ... kurzes denken... Logisch! er war soooo logisch! das Thema war blöd für ihn und die Botschaft ... ICH mach es besser und das klappt und wir sehen uns nicht mehr!


    eigentlich nur für "viele" komisch, weil wir auf Umgansformen schauen, die wir erlernt/ verinnerlicht haben!!!
    Nachbereitung mit der Mutter ebenfalls: das war ein gutes Gespräch für alle Beteiligten, nur eben etwas ungewohnt!


    Nun die Erwachsenen Schiene:


    Ich kenne KEINEN erwachsenen Menschen mit einer (mir bekannten) Autismusdiagnose! ... zumindest NICHT in einem Kontakt von Angesicht zu Angesicht!


    Dies kenne ich lediglich über Foren.


    In diesem Berich ist MIR aufgefallen, dass es in der Kommunikation -von außen betrachtet- nicht selten sehr HART zugeht!


    Da werden Meinungen sehr hart zurückgewiesen. Hat man vermeintlich "wenig Ahnung" und kommt man "NUR" als "Normalmensch" daher, droht man "abgewatscht" (geohrweigt),
    niedergemacht oder "bestenfalls" !!!...ignoriert und übergangen zu werden...


    Dies erstreckt sich zum Teil nicht nur auf "selbstbetroffnene" sondern- nicht selten- auch auf die Elternschaft...


    Es ist nicht ganz leicht, wie ich finde, auch als "ich-backe-kleine-Brötchen-Mensch" weil ich wenig Ahnung habe, an diesen Themen teilzuhaben.


    Ich kenne eine ähnliche Tendenz auch aus der "Gehörlosen- Gruppe" und ich finde beides nicht schön.


    Vielleicht gibt es ja jemanden, der hier mal Tipps und "nogos" zu dem Thema - bestenfalls als selbstbetroffener schreiben können, was man beachten sollte, um in eine konstruktive Kommunikation für alle zu gelangen (inklusive der Frage: wie kann ich am besten Kritik an einer Kommunikation äußern, ohne diese abbrechen zu lassen???)


    ich bin sehr gespannt auf Antworten und hoffe, dass ich jetzt nicht unwiederbelebbar in einem Fettnapf ertrunken bin!!!


    J
    onna
    ~~~~~~~~~~
    mit Jesper und Felix *2006 (Down Syndrom PLUS, gehörlos und weitere Baustellchen...)




    10 Mal editiert, zuletzt von Jonna ()

  • Hallo Jonna,
    ein gutes Thema!

    Ich kenne KEINEN erwachsenen Menschen mit einer (mir bekannten) Autismusdiagnose! ... zumindest NICHT in einem Kontakt von Angesicht zu Angesicht!


    Dies kenne ich lediglich über Foren.


    In diesem Berich ist MIR aufgefallen, dass es in der Kommunikation -von außen betrachtet- nicht selten sehr HART zugeht!


    Das ist der Grund, warum ich mich in Autismus Foren und Selbsthilfegruppen überhaupt nicht gut fühle.
    Aber: ich kann auch selbst sehr hart sein mit Worten.
    Woran liegt das? Schwierig.

    Ich kenne eine ähnliche Tendenz auch aus der "Gehörlosen- Gruppe"


    Sowohl Gehörlosen als auch Autisten wird oft die Intelligenz abgesprochen.
    Das führt dazu, dass es in beiden Behindertengruppen immer Menschen geben wird, die sehr genau, sehr akribisch analysieren, was andere sagen/schreiben und mit der Zeit sehr genau, sehr scharf darauf antworten können.
    Sie erkennen Fehler/Schwächen bei anderen und zeigen dann, dass sie sehr wohl intelligent agieren können.


    Beiden Behinderungsgruppen ist zueigen, dass sie sich nicht oder nur zum Teil in der Sprachwelt des Großteils ihrer Mitmenschen befinden.
    Beide Gruppen sind zum Teil auf schriftliche Kommunikation angewiesen.
    Gerade schriftlich kann man sehr scharf argumentieren.
    Bei mir persönlich kommt dazu, dass ich alles immer sehr ernst nehme.
    Sich verstellen, "um den heißen Brei reden": das mag ich nicht.


    Ich bemerke Ironie sofort, aber ich lehne sie ab. Ich bin "allergisch" gegen Ironie.


    Ich mag es gerne exakt. Es regt mich auf, wenn einfach dahergeredet wird, und es (für mich) klar ist, dass man mit etwas Anstrengung seine "selbstverschuldete Unmündigkeit" hätte beseitigen können (ich merke: da werde ich schon wieder sehr scharf in meinen Formulierungen).


    Ich mag es aber gerne höflich. Ich mag gerne gesellschaftliche Regeln, aber keine Falschheit. Ich mag und akzeptiere, wenn etwas von Herzen kommt und ich wertgeschätzt werde. Dann fällt es mir nicht so schwer, Kritik anzunehmen und den anderen auch wertzuschätzen.


    Ich habe aber - und vielleicht ist es anderen aus dem autistischen Spektrum ebenso ergangen - wenig Muster im Kopf, wie man wertschätzend mit anderen umgeht, weil ich es selbst nicht sehr oft erfahren habe. Und ich handle nun einmal nach Mustern, die ich im Kopf gespeichert habe. Vieles habe ich aus Büchern und Filmen. Das funktioniert aber im wirklichen Leben nicht immer gut.


    Es kommt noch hinzu, dass es über Autismus einfach so viele Fehlinformationen und Mythen gibt, die einfach gar nicht als solche wahrgenommen werden.
    Beispiele, die sich an mir z.B. feststellen lassen: ich benutze sehr viele Redewendungen (angeblich verstehen Autisten keine Redewendungen).
    Die Sache mit der Ironie erwähnte ich schon oben.
    Ich habe keine mathematische sondern eine sprachliche Begabung (angeblich gibt es das bei Autisten nicht).
    Ich bin sehr empfindlich, was den emotionalen Zustand anderer Menschen betrifft, merke sofort, wenn etwas nicht stimmt. Ob ich immer weiß, was genau nicht stimmt, kann ich nicht genau sagen, aber ich bin NICHT blind für die Emotionen anderer Menschen.
    Ich habe selbst zu viele Gefühle. Das ist ein großes Problem, wenn Autismus in der Wahrnehmung vieler Menschen unreflektiert als Synonym für gefühlskalte Psychopathen benutzt wird.


    So etwas macht mürbe. Sowas führt auch dazu, dass ich wirklich scharf austeile (und das kann ich dann natürlich auch sehr gut, da ich genug Möglichkeiten habe, mir zu den immer gleichen Angriffen was auszudenken).


    Hm, das war jetzt wieder die "Totalrechtfertigung", warum ich mich, als Frau aus dem Autismusspektrum, wie "die Axt im Walde" benehmen "darf".


    Und übrigens: was Du jetzt hier liest, das könntest du verbal so nicht von mir hören. Da würde ich, je nach Tagesform, mit starrer Miene was zusammenhaspeln, bei Provokation total ausrasten oder mir würde die Sprache versagen. Die Wahrnehmung von mir bewegt sich zwischen "die ist geistig behindert und verhaltensgestört" bis "die ist so clever, dass sie nur hochnäsig auf uns herabblickt".
    Lynkas grüßt.

  • Guten Morgen,


    Lynkas, das war jetzt keine "Totalrechtfertigung", sondern für mich eine sehr spannende und erhellende Antwort, mit für mich vielen neuen Aspekten. Einer von den Posts, die ich öfter lese und mir markiere, damit ihn nachschlagen kann.
    vielen Dank für Deine Innensicht!


    @Jonna und Lynkas: Meine Wahrnehmung ist das übrigens auch, dass zb in den Facebookgruppen der Ton leicht rauh wird, grade zwischen Eltern (die ihr bestes geben, und oft an der Grenze ihrer Belastbarkeit sind) und Autisten (die viele Verletzungen einstecken mussten, und vielleicht auch bei dem Thema, um das es jeweils geht, konkrete schlimme Erfahrungen verknüpfen) solche Grabenkämpfe aufflammen. Weil beide Seiten sich angegriffen fühlen, und eben schon ihre "Wunden" haben.
    einen sanften, freundlichen Ton und einen verstehenden Umgang als Netiquette zu postulieren, und als Gemeinschaft notfalls deeskalierend zu helfen, ist da sehr sehr wichtig. Ein Forum, in dem beide Seite Vertrauen aufbauen können.
    Nur so können wir voneinander lernen, Und gemeinsam etwas erreichen.


    Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Hallo Lynkas,


    vielen Dank für deine ausführliche Antwort!
    Das erklärt tatsächlich eine ganze Menge der Gründe für diese Problematik.


    Sowohl Gehörlosen als auch Autisten wird oft die Intelligenz abgesprochen.
    Das führt dazu, dass es in beiden Behindertengruppen immer Menschen geben wird, die sehr genau, sehr akribisch analysieren, was andere sagen/schreiben und mit der Zeit sehr genau, sehr scharf darauf antworten können.
    Sie erkennen Fehler/Schwächen bei anderen und zeigen dann, dass sie sehr wohl intelligent agieren können.


    Das heißt für mich, mit dieser Erklärung, dass die Art der scharfen Kommunikation eher der Spiegel einer Haltung gegenüber dem Gegenüber ist... richtig?


    Beiden Behinderungsgruppen ist zueigen, dass sie sich nicht oder nur zum Teil in der Sprachwelt des Großteils ihrer Mitmenschen befinden.
    Beide Gruppen sind zum Teil auf schriftliche Kommunikation angewiesen.
    Gerade schriftlich kann man sehr scharf argumentieren.
    Bei mir persönlich kommt dazu, dass ich alles immer sehr ernst nehme.
    Sich verstellen, "um den heißen Brei reden": das mag ich nicht.


    Im Gehörlosenbereich habe ich diese Abgrenzung bislang eher allgemein so empfunden.
    Dort ging es für mich teilweise soweit, dass ich den Eindruck hatte man will teilweise möglichst keinen Kontakt zu hörenden.


    Ganz schlimm habe ich das in Bezug auf meinen Sohn empfunden.
    Deinen Erläuterungen nach könnte es also daran liegen, dass mein Sohn eine zusätzliche geistige Behinderung hat und man somit auf keinen Fall mit ihm in einen Topf geworfen werden will, weil man sich gegen das Vorurteil stemmt, selbst oft nicht als normalintelligent eingeschätzt zu werden!?
    Leider hat dies für Felix dazu geführt, dass er trotz der Angewiesenheit auf eine alternative Kommunikation von den Schulen, die dies geboten hätten ausgeschlossen wurde.


    Ich habe früher immer angenommen, dass die Schriftsprache in Form von Lesen und Schreiben eine hohe Wichtigkeit für Gehörlose hat.
    In Gesprächen mit 2 lautsprachkompetenten gehörlosen Erwachsenen wurde mir dann allerdings erklärt, dass dies nicht umfassend der Fall ist.
    Der Grund dafür sei, dass gehörlose Menschen die Schrift- und Lautsprache als Zweitsprache erlernen und dies in Kombination mit zum Teil ungünstiger schulischer Karrieren vielfach nicht optimal gelingt.
    Deshalb ziehen sich nicht wenige wohl aus diesem Bereich ebenfalls zurück...


    Wie wäre es also "richtig" zu reagieren, wenn man in der Kommunikation selbst von dieser Schärfe "getroffen" wird?
    Wenn man sieht, dass anderen ihre Unwissenheit oder vermeintlich Falschen Meinungen um die Ohren gehauen werden und sie sich gekränkt zurückziehen.
    Wenn dem Gegenüber falsche Grammatik oder Rechtschreibung vorgeworfen wird und man dies zum Grund nimmt seine Meinung zu ignorieren.
    Ich finde das nicht ganz einfach, weil dies dann ebenfalls eine Abwertung des anderen ist, der zum Beispiel eine Schreibschwäche hat und dadurch eine ähnliche Abwertung erfährt, wie die, die bei dem kritisierenden zu seiner scharfen Haltung geführt hat...


    Wie kann man ein solches Dilemma lösen?


    Ich frage mich das generell und ich frage mich das auch in Bezug auf die Moderation in einem und diesem Forum?


    Grüße


    J
    onna
    ~~~~~~~~~~
    mit Jesper und Felix *2006 (Down Syndrom PLUS, gehörlos und weitere Baustellchen...)




    Einmal editiert, zuletzt von Jonna ()

  • Ich bemerke Ironie sofort, aber ich lehne sie ab. Ich bin "allergisch" gegen Ironie.


    für MICH ist Ironie ein "Rettungsanker".


    In Situationen in denen ich Dinge als über die Maßen ungerecht empfinde, in denen ich zutiefst traurig, verletzt oder hilflos bin, hilft mir die Ironie beim Aushalten.


    In der Kommunikation ist sie für mich dann das Mittel, wenn ich denke, dass alle maßgeblichen, sachlichen Argumente sehr sorgfältig ausgetauscht und dargelegt sind und ich keinerlei Erklärungen dafür finde, warum die Ergebnisse der Kommunikation trotzdem unvereinbar voneinander abweichen.


    Auch hier nutze ich sie als Chance dem Gegenüber die Absurdität dieses Umstandes zu spiegeln.
    Als letzte Möglichkeit es vielleicht doch noch zu verstehen UND als Kompensation meiner Hilflosigkeit.
    Es verhindert so in gewisser Hinsicht meine drohende Handlungsunfähigkeit.
    Ironie hält einen an Stellen "wehrhaft", an denen Argumente scheinbar keine Aussicht mehr auf Erfolg haben.


    Insofern "brauche" ich Ironie in gewisser Hinsicht und käme nur schwer ganz ohne sie zurecht.


    Gruß


    J
    onna
    ~~~~~~~~~~
    mit Jesper und Felix *2006 (Down Syndrom PLUS, gehörlos und weitere Baustellchen...)




    3 Mal editiert, zuletzt von Jonna ()

  • Hallo!


    Das Problem kommt mir recht bekannt vor. Nicht zwingend in Zusammenhang mit Autismus oder einer anderen Behinderung. Aber ich erlebe es doch recht häufig, das Menschen zwar etwas ähnliches meinen, dennoch völlig an einander vorbei reden.


    Ein weiteres Problem bei Gehörlosen Menschen bzw. Menschen die als 1. Muttersprache Gebärdensprache haben ist tatsächlich, das es grammatikalisch etc. massive Unterschiede zwischen der Lautsprache und der Gebärdensprache gibt. Mir ist es zumindest aus der deutschen Sprache bekannt, aber ich denke andere "Länder" werden ähnliche Probleme haben.
    Ist für mich etwas vergleichbar mit meinem einem Cousin. Er kommt sehr nach seinem Vater (bei Jungs ja nicht so unüblich) und ist mehr in der französischen Schweiz Zuhause, als in Deutschland. Seine 3 Schwestern sprechen alle fast fehlerfrei Deutsch (kleine Fehler fallen auch kaum auf). Er hingegen spricht zwar die Wörter fehlerfrei aus, spricht aber nach der französischen Grammatik, was nicht nur komisch klingt, sondern es auch manchmal schwierig macht, genau zu verstehen was er meint.


    Okay, ich schweife gerade ein bisschen vom Thema ab. Aber ich glaube, dieses Kommunikationsproblem betrifft wirklich nicht nur Menschen mit Autismus oder Gebärdensprache, sondern auch viele andere Menschen, teilweise auch völlig "normale" Menschen.



    Mit der Ironie geht es mir übrigens ähnlich wie Jonna. Ich brauche die Ironie um Überleben zu können. Gleichzeitig fällt es mir aber unheimlich schwer Ironie immer zu erkennen. Sie ist leider nicht immer so eindeutig, finde ich.


    *grübel* Ich denke ein weiteres Problem, was ja schon genannt wurde, ist tatsächlich das jeder Mensch so seine eigenen Muster, Erfahrungen hat und danach handelt. Das lässt sich gar nicht verhindern und es ist gut und normal, das es so ist.
    Ich glaube nur, dass es dadurch wirklich schwierig mit einer Kommunikation werden kann.


    Mal ein Beispiel von mir persönlich...
    Ich habe kaum Selbstwertgefühl. Wurde als Kind immer wieder kritisiert, gemobbt usw. Ich fühle mich IMMER direkt angegriffen wenn jemand mir gegenüber Kritik äußert. Egal ob nun berechtigt oder unberechtigt. Bei unberechtigter Kritik dreh ich einfach noch ein bisschen mehr am Rad, als bei berechtigter Kritik. Das Problem ist aber auch, das ich schon auf leicht negative Sachen sehr stark reagiere.
    Um mich davor also selber zu schützen bin ich ziemlich abwehrend gewissen Dingen gegenüber. Selbst wenn noch gar nichts vorgefallen ist. Die Angst / Befürchtung das etwas vorfallen könnte reicht oft schon aus, um einer Kommunikation aus dem Weg zu gehen. Schwierig wird es dann, wenn ich einer Kommunikation nicht aus dem Weg gehen kann oder auch nicht will (weil mir z.B. eine Freundschaft wichtig ist oder ich weiß das es wichtig ist mit einem Arzt, Therapeut oder ähnlichem zu sprechen).



    Zum Thema schriftlicher Kommunikation... Das finde ich eigentlich mit am schwierigsten. Mir selber wurde schon oft vorgeworfen ich würde aggressiv reagieren oder ähnliches. Obwohl ich versucht habe ganz normal und sachlich zu schreiben. Teilweise beim Schreiben nicht mal annähernd aggressiv war.
    Gleichzeitig passiert es aber auch mir immer wieder das ich denke dieses oder jenes wäre aggressiv geschrieben. Der schriftlichen Kommunikation fehlt einfach ein sehr wichtiger Teil der Kommunikation. Alles nonverbale fällt beim Schreiben weg.
    Wobei ich persönlich es super finde, das es nonverbale Kommunikation gibt (auch wenn sie nicht immer leicht zu verstehen ist und Autisten damit wohl sehr große Schwierigkeiten haben können). Aber ohne nonverbale Kommunikation könnte sich niemand mitteilen, der die Sprache nicht beherrscht.



    So und nun zum Schluss noch etwas zu deinem Beitrag Lynkas.

    Hm, das war jetzt wieder die "Totalrechtfertigung", warum ich mich, als Frau aus dem Autismusspektrum, wie "die Axt im Walde" benehmen "darf".


    Ich finde die Formulierung so gerade nicht richtig. Für mich hast du keine "Totalrechtfertigung" warum du dich wie die "Axt im Walde" benehmen "darfst" geschrieben. Nein, für mich ist es eine Erklärung, warum du dich manchmal (denke das wird sicher nicht immer der Fall sein) nur wie "die Axt im Walde" benehmen kannst. Ich glaube nämlich nicht, dass du das bewusst tust um jemanden zu Schaden, sondern das du in solchen Situationen eben für dich keine andere Möglichkeit hast. Ich denke das macht einen gewaltigen Unterschied aus.



    LG Trixi

  • Jonna....danke, dass du dieses wichtige Thema ansprichst.
    Danke Lynkas für deinen ausführlichen Beitrag.


    Da werden Meinungen sehr hart zurückgewiesen. Hat man vermeintlich "wenig Ahnung" und kommt man "NUR" als "Normalmensch" daher, droht man "abgewatscht" (geohrweigt),
    niedergemacht oder "bestenfalls" !!!...ignoriert und übergangen zu werden...


    Dies erstreckt sich zum Teil nicht nur auf "selbstbetroffnene" sondern- nicht selten- auch auf die Elternschaft...


    Das ist wirklich ein Problem und ich würde mir wünschen, dass man sich beiderseits respektiert mit allen Ecken und Kanten, denn fehlerfrei und allwissend ist niemand von uns.
    Ich weiß, dass es Eltern und auch Selbstbetroffene gibt, die deshalb bestimmte Themen erst gar nicht mehr ansprechen. Mir geht es teilweise auch so.


    Meine Wahrnehmung ist das übrigens auch, dass zb in den Facebookgruppen der Ton leicht rauh wird, grade zwischen Eltern (die ihr bestes geben, und oft an der Grenze ihrer Belastbarkeit sind) und Autisten (die viele Verletzungen einstecken mussten, und vielleicht auch bei dem Thema, um das es jeweils geht, konkrete schlimme Erfahrungen verknüpfen) solche Grabenkämpfe aufflammen. Weil beide Seiten sich angegriffen fühlen, und eben schon ihre "Wunden" haben.


    Das sehe ich genauso.
    Wir alle haben vermutlich schon viele schlechte Erfahrungen machen müssen, die uns immer wieder tief verletzt oder auch traumatisiert haben und demensprechend dünn sind unsere Nerven.
    Dabei können beide Seiten voneinander profitieren.


    für MICH ist Ironie ein "Rettungsanker".


    Für mich auch!
    Ohne Ironie wäre ich in diesem seelenlosen Absurdistan NICHT überlebensfähig. Die Ironie hält mich über Wasser, ansonsten würde ich keine Luft mehr zum Atmen bekommen.

  • Nach meiner Erfahrung herrscht in vielen Selbsthilfe-Bewegungen (ich kenne das nicht nur aus der Autismus-, sondern auch aus der Stotterer-Szene) eine ausgeprägte Opfermentalität, bei der man sich nahezu ausschließlich als das Opfer gesellschaftlicher Umstände sieht. Entsprechend fühlt man sich von einer feindlich eingestellten Umwelt bedroht und zieht sich immer mehr in die eigene Szenewelt zurück, wo man sich gegenseitg in diesem Gefühl bestärkt.


    Das ist vielleicht etwas drastisch formuliert und betrifft auch längst nicht alle, aber dieses Muster gibt es. Menschlich ist das verständlich, denn behinderte Menschen (speziell auch Autisten) haben oft viel Ausgrenzung, Unverständnis und auch handfestes Unrecht erlebt. Auf der anderen Seite führt diese Haltung dazu, dass man sich immer und überall in der Verteidigungsposition sieht und sofort zum Gegenangriff ausholt, auch wenn einem niemand etwas Böses will.


    Heute sage ich mir, dass die meisten Verhaltensweisen gegenüber Autisten (von Lehrern, Eltern, Erziehern oder Arbeitskollegen)) sicher nicht aus böser Absicht geschehen, sondern aus Unwissenheit und fehlender Information. Intolerante und ignorante Menschen, die nicht dazu lernen wollen, gibt es natürlich auch. Trotzdem versuche ich mir immer zu sagen, dass man mehr erreicht, wenn man die "Gegenseite" mir Respekt und ohne Vorwürfe behandelt; wenn man den Anderen ernst nimmt und ihm zu verstehen gibt, dass man an einer gemeinsamen Lösung interessiert ist.


    Wenn sich alle Seiten immer wieder daran erinnern (zumindest auf der Verstandesebene), wäre schon viel gewonnen. Mein Eindruck ist, gerade erwachsenen Autisten und (bestimmte) Elternvertreter blockerien sich oft gegenseitig und können sich dann überhaupt nicht mehr aufeinander zubewegen, weil jeder dem Anderen die Kompetenz abspricht und vielleicht auch einen "Gesichtsverlust" befürchtet, je mehr man sich aufeinander zubewegt.

  • Sehr interessant, vor allem auch durch die Kommentare. Da wird einfach deutlich, dass man öfter mal die Brille und auch die Reflexionsebeñe wechseln muss. Wir alle. Das ist ja auch der Witz am Prinzip Neurodiversität.


    Es geht um viel pesönlich Bedeutsames, oft um Existentielles, deshalb ist klar, dass es auch Reibung gibt. Dort, wo ich mich herumtreibe im Netz, überwiegt aber bei weitem das konstruktive Miteinander.
    Und gerade daraus entsteht ganz ganz viel, finde ich. Wenn ich heute zb über neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft lese, dann denke ich öfter: Konnte ich bisher zwar nicht wissenschaftlich argumentieren, weiß ich aber längst aus dem Leben mit meinem Sohn PLUS den erklärenden Innenansichten von Autisten. Andersrum habe ich auch zb schon mehrfach erlebt, dass für jemand mit Asperger auch Aha-Erlebnisse in meinen Beschreibungen des Lebens mit meinen als gB eingestuften frühkindlich autistischen Kindes hatte.
    Ich denke, da haben wir im Verbund viel zu bieten, und toppen auch eine Menge Fachleute. Ich wurde zb immer mitleidig belächelt, wenn ich darlegte, dass Hans kein Lob mochte. Das haben mir eine Reihe Autisten inzwischen aber bestätigt, dass und warum sie damit Schwierigkeiten haben. Inzwischen habe ich das schon dem einen oder anderen Fachmenschen plausibel machen können ;)


    Danke fürs Verlinken.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Trixi

    Hat das Label Autismus hinzugefügt.