Immer schlechteres Einschätzenkönnen von menschlichen Handlungen, Bewegungen, Verhaltensweisen

  • Hallo, mich beschäftigt schon seit einiger Zeit etwas. Möchte das mal hier niederschreiben. Danke an diejenigen, die es mal lesen mögen.
    Also: Ich merke, dass ich in den letzten Jahren immer schlechter einschätzen kann, wie Menschen sich verhalten. Damit meine ich auch: deren Bewegungen. Autofahrer fahren plötzlich ganz langsam oder bremsen vor meinem Rad abrupt. Menschen treten mir in den Weg oder treten sehr dicht an mich heran oder rempeln mich. Kinder springen vor mein Rad, als wäre ich unsichtbar.


    Dass ich nicht weiß, ob jemand es schlecht meint oder gut: bekanntes Faktum. Also wirkliches Gutmeinen glaube ich zu erkennen, aber Gutmeinen, das (für mich) wie Schlechtmeinen aussieht, das ist schwer. Ich werde viel angegriffen, auch von Fremden. Oder jemand aus meiner Familie macht ein Zitronengesicht oder schweigt plötzlich oder spricht im Plural, dass "wir" bestimmte Verhaltensweisen einhalten müssen. Sie redet eigentlich sehr viel, und wenn ich nicht reagieren kann, wird ihr Reden und ihr Körper immer übergriffiger, anklagender, belehrender. Ich begreife das dann nicht und es wird immer schwieriger und bedrohlicher für mich. Ich werde dann unruhig, bekomme Angst oder werde unleidlich. Wenn ich frage, was sie möchte, wird es noch komischer und sie wird böse über meine sie sagt Feindseligkeit oder Bösartigkeit oder Lieblosigkeit. Ich weiß auch nicht, ob ich so bin. Ich liebe die doch, oder nicht? Sie reagiert aber nicht, als täte ich das.


    Oder: ich habe zum Beispiel zwei Sozialpädagoginnen 3 Jahre Chancen gegeben, denn ich will Chancen geben, und Menschen meinen es ja auch oft gut, selbst wenn es (für mich) ungut aussieht. Also für mich sieht viel ungut und bedrohlich aus, aufgrund der vielen sich wiedersprechenden Emotionen, die auf mich strömen und aus mir heraus. Und diese zwei Sozpäds waren nicht geeignet für mich, eine würde ich sogar als, sorry, inkompetent bezeichnen. Aber ich hab ihr trotzdem solange Chancen gegeben, bis sie mich rausgeschmissen hat. Ich dachte: ja es muss doch gehen, ich habe doch sonst keine Möglichkeiten.
    (Habe die Vorfälle dort übrigens der Behindertenbeauftragten meiner Stadt gemeldet. Die haben dann so eine "danke für Ihren Bericht" Mail geschickt und gefragt, was sie denn jetzt machen sollen, das hätte ich ja nicht geschrieben ?( Das war auch wieder so ein "mir die Verantwortung zurückschieben")


    Die letzte seltsame Erfahrung, die ich hatte, war der Antrag für psychosoziale Betreuung.
    Die sehr nette Sozpäd des Anbieters, bei dem ich das machen will, hat sich nach unserem letzten Treffen nicht mehr gemeldet und auf drei Email und einen Postbrief von mir nicht mehr reagiert.


    Ich dachte dann: vielleicht gehen meine Mails plötzlich in ihren Spam-Ordner.
    Sie hatte ja aber auch die Papierpost von mir sowie eine Visitenkarte von mir mit Adresse, Mail, zwei Telefonnummern. Ich habe dann eine Mailadresse von einem ihrer Kollegen rausgefunden und bei ihm angefragt. Da hat sie mich dann angerufen. Schrecklich, ich war gerade nicht in der besten Lage und sie meinte, sie hätte sich "schon noch gemeldet" (hat sie aber 8 Wochen nicht) und es täte ihr sehr leid, aber es würde bestimmt alles ganz super laufen mit meinem Antrag, sei doch klar, und dann sagte sie viel viel Positives, dass mir wie Gerede vorkam, das nicht mit mir zusammen hängt.


    Jetzt habe ich viel Angst. Sollte besser keine haben, denn meine Familie oder ein Arzt (die könnten es erfahren, wenn ich nicht aufpasse) könnten auf Ideen kommen von wegen Psychiatrie. Und dazu kann ich nur bemerken: die letzte Begegnung (und ich hatte einige!) mit sowas hat mich körperlich und seelisch so kaputt gemacht, dass danach endgültig nicht mehr an ein normales Leben eines Tages zu denken war. Aber vielleicht würden meine Leute mir das ja doch nicht mehr vorschlagen? Vielleicht ist es ja jetzt anders? Ich weiß das doch nicht :/ Woher soll ich das wissen, mir "fahren doch dauernd Leute an den Karren", und ich begreife nicht, wie sie zu diesem Verhalten kommen. Jederzeit kann, so fühle ich das, etwas passieren. Ich mag manchmal fast nicht aufstehen.
    Also was ich sagen will: es ist echt superanstrengend, wenn ich mich immer mehr fühle wie irgendwas Unpassendes, was Eckiges in einer Runden Welt und alles immer unkalkulierbarer zu werden scheint. Es kommt mir vor, als würde die Flexibilität und der gute Wille der Menschen immer weniger werden, als würde die Rücksichtslosigkeit gegenüber allem, was irgendwie nicht „regelkonform“ ist, immer stärker werden. Oder ich habe das früher nicht gemerkt, weil ich noch naiver war, als ich es heute manchmal noch bin? Gleichzeitig fühle ich mich, als könne ich diese immense Anpassungsleistung immer weniger erbringen und müsste mich immer mehr rechtfertigen, warum ich denn immer noch nicht „heil“ bin oder „repariert“ werden konnte. Ganz egal ob psychisch, seelisch, mental oder körperlich.


    Schwierig :( .


    Lynkas grüßt.

  • Spontan fällt mir zu Deinem Posting ein, das nicht nur Du mit der Vielschichtigkeit von menschlichen Verhaltensweisen überfordert bist. Das sind wohl alle Menschen, die dann noch eine Phase hinter sich haben , bzw. sich in einer Phase befinden , die mit vielen Enttäuschungen einhergehen.
    Nur reagieren Menschen darauf unterschiedlich. Bezeichnend für Dich ist das lange Ausharren , Geduld und immer wieder neue Chancen verteilen. Ein anderer würde mit gleicher Münze bezahlen , bzw, dazu übergehen , selber mieses und unfaires Verhalten zu "trainieren".
    Wenn Du Deine Chancen verteilst , wie hoch sind dann Deine Ansprüche ? Gehst Du von der Möglichkeit aus , das es schief gehen könnte ?
    Mir hilft bei Enttäuschungen , die Ursache nicht in meiner Person zu suchen, sondern in den Lebenszusammenhängen der "Täter ".
    Und ich kann mich auch nicht von frei sprechen , das ich selber auch mal andere enttäusche.

  • Hallo Dagmar,

    Wenn Du Deine Chancen verteilst , wie hoch sind dann Deine Ansprüche ? Gehst Du von der Möglichkeit aus , das es schief gehen könnte ?


    Ja, ich gehe eher davon aus, dass es schief gehen wird. Ich bin zugegeben sehr misstrauisch, weil ich sehr schlecht einschätzen kann, was passiert, wie die Menschen reagieren, was sie wirklich wollen, ob es ihnen um mich geht oder ob sie sich eher durch mich selbstverwirklichen wollen. Und ich habe halt auch einige miese Erfahrungen hinter mir. Die drehen sich viel in meinem Kopf, ob ich will, oder nicht. Immer wieder sehe ich die in meinem "Elefantengedächtnis", das nichts vergisst.

    Mir hilft bei Enttäuschungen , die Ursache nicht in meiner Person zu suchen, sondern in den Lebenszusammenhängen der "Täter ".


    Täter? Ja aber ich muss es gut machen, wenn es andere nicht gut machen können. Ich bin doch in der Pflicht, weil ich was von den Menschen brauche und die nichts von mir ?( Und wie ich es gutmachen soll, weiß ich nicht. Und immer mehr Menschen werden böse auf mich, weil ich es nicht gut mache, was schief geht. Bildlich gesprochen: Ich renne durch die Gegend ohne Werkzeug und versuche, die ganzen Unfälle und Baustellen mit bloßen Händen zu flicken. Und wenn ich frage: hat mal einer Werkzeug für mich? Da heißt es: nee, musst du dir selber basteln, und eigentlich solltest du es eh haben, das Werkzeug, belästige uns nicht mit Werkzeugforderungen.

  • Es ist nicht ungewöhnlich , das "Täter" Verantwortung delegieren , und wenn es dann um Abhängigkeitsverhältnisse geht , haben die noch mal leichteres Spiel.
    Wichtig wäre , das Du das zur Kenntnis nimmst und NICHT versuchst , Dir die Verantwortung aufbürden zu lassen , Dich da abzugrenzen.
    Es ist fatal , wenn sogenannte" Hilfen" mit erhobenem Zeigefinger daherkommen , keine tatsächlichen Hilfen sind und der" Klient " dann dafür verantwortlich gemacht wird. Das Muster hat man bei schlechten Angeboten durchlaufend im System.
    Die Frage ist , wo Du anständige Hilfen findest , die Dich nicht noch zusätzlich belasten.
    Der Leidensdruck bei Dir ist ja immens , was auch kein Wunder ist , bei den Arbeitsbeschreibungen der Helfer , die Du hier manchmal aufschreibst im Forum.
    Was die Abhängigkeit angeht , so verdienen die Helfer ja mit Dir ihr Geld. Aber es ist halt in Deutschland schwierig , weil im System keine Qualitätssicherung in der Form stattfindest , das der Klient sich kritisch äußern kann. Es gibt in vielen Bereichen die friss oder stirb Devise.
    Die Frage wäre außerdem , wie notwendig die Hilfen für Dich sind , so wie Du es beschreibst , belasten sie Dich ja nur zusätzlich.
    Hast Du schon mal über persönliches Budget nachgedacht ? Das Du wen passgenaues suchst und dann selber der Arbeitgeber bist ? Möglicherweise könnten Dich ja Deine Eltern dabei unterstützen , was den Bürokram angeht.
    Du müsstest ganz genau gucken , was DU brauchst, die Ziele sind da auch immer individuell auf die beantragende Person zugeschnitten. Enttäuschungen kann es da aber auch geben .

  • Hallo Lynkas,


    Zitat

    Mir hilft bei Enttäuschungen , die Ursache nicht in meiner Person zu suchen, sondern in den Lebenszusammenhängen der "Täter ".
    Und ich kann mich auch nicht von frei sprechen , das ich selber auch mal andere enttäusche.

    Das ist mein Weg auch. Und hilft mir auch gut, alles zu relativieren.


    Es tut mir total leid, Lynkas, dass Du noch keine wirklich wertschätzenden und kompetenten Helfer gefunden hast. Das ist sbsolut nicht Deine Schuld, sondern 1) schlicht Pech und vor allem 2) ein Fehler im Hilfesystem. Meine Erfahrung, aus dem Leben mit Hans: Die "Richtigen" gibt es schon, sind aber nicht leicht zu finden.
    Leider kann ich da nicht helfen.


    was Dagmar geschrieben hat, finde ich recht schlüssig.


    Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

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  • Lynkas, ich möchte dir schreiben, dass du richtig bist, so wie du bist. Die Menschen, die dich verändern wollen, haben noch nicht verstanden, dass die Welt vielfältig ist und dass sie von dir eine Menge lernen können. Das ist aber NICHT dein Problem.


    Es ist fatal , wenn sogenannte" Hilfen" mit erhobenem Zeigefinger daherkommen , keine tatsächlichen Hilfen sind und der" Klient " dann dafür verantwortlich gemacht wird. Das Muster hat man bei schlechten Angeboten durchlaufend im System.


    Das sind auch unsere Erfahrungen. Der Helfer möchte für seine Arbeit belohnt werden, indem sich beim Klienten Fortschritte zeigen. Dann hat der Helfer nämlich Erfolgserlebnisse.
    Bleiben diese aus, fühlt sich der Helfer in seiner Professionalität angegriffen. Er zweifelt an sich selber, was für ihn unangenehm ist. Also schiebt er die Verantwortung weg und sucht die Schuld beim Klienten, um sich nicht mit seiner eigegenen Unfähigkeit auseinandersetzen zu müssen.


    Lynkas, diese Schuld solltest du also nicht bei dir suchen! Es ist Aufgabe der Helfer mit dir gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Es geht um dich. Nur um dich!


    Hast Du schon mal über persönliches Budget nachgedacht ? Das Du wen passgenaues suchst und dann selber der Arbeitgeber bist ?


    Das wäre wirklich eine Überlegung wert. Es gibt Beratungsangebote zum Persönlichen Budget.

  • Danke für Eure netten und hilfreichen Antworten!
    Über Persönliches Budget habe ich nachgedacht. Es ist aber unmöglich, dass ich das selbst organisiere. Ich meine jetzt nicht den Antrag, sondern alles danach. Eine Beratung speziell dazu sollte ich wohl trotzdem mal in Anspruch nehmen, stimmt. Ich hoffe auch auf die Menschen von der psychosozialen Betreuung, dass die mir behilflich sein können.
    Meine Eltern können und werden mir nicht helfen.


    Lynkas grüßt.

  • Eine Beratung speziell dazu sollte ich wohl trotzdem mal in Anspruch nehmen, stimmt. Ich hoffe auch auf die Menschen von der psychosozialen Betreuung, dass die mir behilflich sein können.
    Meine Eltern können und werden mir nicht helfen.


    Lynkas, hier kannst du noch einmal nachlesen:
    http://www.einfach-teilhaben.d…e.html#doc276668bodyText5


    Es gibt wohl auch Budgetassistenz:
    Sozialhummel e.V. unterstützt bei der Antragstellung des Persönlichen Budgets und kann auch die erforderlichen Leistungen erbringen, z.B. als Leistungsanbieter und unterstützt auch bei Bedarf bei der Budgetassistenz. Die Budgetassistenz ist die Verwaltung des Persönlichen Budgets (Planung, Kostenkalkulation, Abführung von Lohnnebenkosten usw.).
    http://www.sozialhummel.de/beratung/personliches-budget/


    Ich erlebe dich hier im Forum so klar und präzise bei der Formulierung deiner Bedürfnisse, dass es jeder Helfer eigentlich kapieren müsste, was du brauchst und wie man dir helfen kann.
    Es könnte so einfach sein: Man müsste dir bloß mal richtig zuhören und sich auf dich einlassen.

  • Trixi

    Hat das Label Autismus hinzugefügt.