Routinen - Balance halten zwischen Sicherheit und Korsett

  • Hallo,


    ich bin grade auf einen spannenden Blogbeitrag vom Steinzeitplaneten gestoßen:
    https://kanner840.wordpress.co…09/wen-ritualrutin-storn/


    Das ist etwas, was ich bei meinem Sohn auch beobachte: Weil Routinen soviel Sicherheitsgefühl geben, neigt er dazu, sie auszubauen. Und/oder sie "frieren" ihm ein, und sind dann mehr Korsett als Hilfe.


    Ich habe schon ganz früh angefangen, diese Routinen ab und zu mal aufzubrechen (Stichwort Ausnahme, zb), weil ich gemerkt habe, dass mein Sohn das auch will, aber mich als "Katalysator" dazu braucht, von alleine schafft er das nicht. Auch wenn eine Routine lange Zeit sehr fest ist, aber eigentlich überholt, bräuchte er früher da entschlossene Hilfe von außen. Ich musste das quasi "riechen", wenn er soweit war, etwas altes, überflüssig gewordenes abzulegen. Inzwischen kann er mir das deutlicher signalisieren, legt mir zb einen Satz "in den Mund", ich muss es dann bloß noch rechtzeitig checken ...


    Bestätigt hat mich da eine Fachfrau, die sich mit Autismus und Depression auskennt, die sagt, dass Flexibilität ist etwas, was Autisten mit am meisten davor schützt, Depressionen zu entwickeln. Ist eigentlich auch nachvollziehbar, denn man ist ja viel mehr Gestalter seines eigenen Lebens, erfährt viel mehr Selbstwirksamkeit, wenn man sich Handlungsspielräume bewahrt. Oder schafft.



    Gleichzeitig kennen wir das alle, dass ständig die Umwelt Anpassung verlangt, dass immer noch eine Schippe drauf gelegt wird nach dem Motto "das schaffst Du jetzt doch" oder "gestern ging's doch auch". Das schafft aber viel zuviel Druck. Es muss die Flexibilität vom autistischen Kind selber ausgehen. Ganz klar. Aber wenn ich und die Pädagogen da bei meinem Sohn immer drauf gewartet hätten, bis er von sich aus den Anstoß gibt, formuliert, dann würde bei uns der Stillstand regieren. Und Sohn hätte auch nicht gelernt, diesen Anfangsbremsimpuls beizeiten zu überwinden, wenn dahinter etwas Interessantes lockt ...


    bin gespannt, wie Ihr das seht.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Hallo Enscha,


    es ist immer wieder faszinierend, wie häufig auf meinen Sohn zutrifft, was Du über Deinen schreibst!!!
    Nur bei uns meist geringer ausgeprägt....


    Meine Mama hatte dieses Problem ganz arg und durch zu viel Anpassung, die ihr von außen abverlangt wurde und dadurch auch eine Depression.
    Leider haben meine Schwester und ich diese Erkenntnis erst durch meinen Sohn erlangt, durch das Verstehen-wollen seines Autismus - unsere Mama durfte das nicht mehr erleben....


    Auch bei meinem muss ich quasi "riechen" wenn es Zeit für eine Änderung ist.


    Worüber ich auch immer wieder nachdenke, ist, in Zeiten von zwangsläufiger, ungewollter Routinenänderung, kommt es bei meinem Sohn immer wieder dazu, dass er Aufforderungen nicht mehr nachkommt und somit "oppsitionell" wirkt. Also das Kind ist, das immer nicht hört, wenn man ihm was sagt.
    Ich denke seit längerem, dass es sein verzweifelter Versuch ist, gegen all die Fremdbestimmung (Schule z.B.) anzugehen.
    Es tritt nämlich immer nur in solchen Phasen der Veränderung auf und ist irgendwie anders, als das "normale-mal-nicht-hören", was ich auch von anderen Kindern kenne.
    Somit ist es für mich ein Bedürfnis nach Routine und dadurch sich ergebender Sicherheit.


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    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Hallo!


    Das Problem kommt mir recht bekannt vor.
    Ich habe auch sehr viele Routinen und viele Dinge die immer so und nicht anders ablaufen müssen. Für mich bedeutet es Sicherheit und es kann zu großen Problem bzw. zu massiver Unsicherheit führen, wenn da etwas falsch läuft.


    Ich habe mich dann, weil ich ja psychiatrische Diagnosen habe, mit dem Thema Zwänge und Zwangserkrankung beschäftigt. Und habe festgestellt, dass das auf mich nicht zutrifft. Viel eher finde ich mich bei diesem "Problem" im autistischen Bereich wieder.


    Allerdings habe ich die Vermutung, das manche Routinen auch zu Zwängen werden können. Das was du eben als Korsett beschreibst. Es ist nicht einfach, den Unterschied zu erkennen, weil der Übergang oft auch sehr fließend ist.
    Was mir hilft ist, mich ab und zu wenn es mir gerade recht gut geht, mich bewusst gegen eine Routine zu entscheiden. Wenn ich die Entscheidung treffe merke ich recht schnell ob es in Ordnung ist, oder ob es mir schlecht geht nur weil ich die Entscheidung getroffen habe (ohne die Routine selbst überhaupt schon geändert / weggelassen zu haben).
    Für mich ist es extrem wichtig immer wieder auch positive Rückmeldungen zu bekommen. Darüber das ich eine Routine ändern / weglassen konnte. Und um überhaupt so weit zu kommen brauche ich ein 100% stabiles Umfeld. Anders geht es einfach überhaupt nicht.


    Ich kann auch von mir bestätigen das es zu großen Schwierigkeiten führt, wenn von außen zu viele Anforderungen gestellt werden. Dann blockiert bei mir alles und es geht gar nichts mehr. Oft auch nicht mal die Dinge die sonst problemlos geklappt haben.


    Vielleicht könnt ihr mal das Gespräch mit euren Kindern suchen, wenn die allgemeine Verfassung gut ist und mit Abstand über gewisse Routinen sprechen. Ich kann natürlich nicht von der ferne einschätzen in wie weit das möglich ist.


    Liebe Grüße, Trixi

  • Zitat von Phila

    Ich denke seit längerem, dass es sein verzweifelter Versuch ist, gegen all die Fremdbestimmung (Schule z.B.) anzugehen.

    Das ist ja aus seiner Warte auch sinnvoll, wenn etwas zuviel ist, dann einfach die Schotten dichtzumachen und erstmal das andere "abzuarbeiten".


    Hier ist es so: Mein Sohn kann ja in der Einrichtung zunehmend gut kompensieren (was mich natürlich freut, weil es Lernen möglich macht,und weil es zeigt, dass er fitter wird). Dafür lässt er es Zuhause dann mehr raus, versucht zb teils massiv, uns zu Papageien zu machen, feste Antworten einzufordern.


    Trixi: Reden kann man da mit ihm (noch) nicht wirklich drüber, jedenfalls nicht auf der komplexen Ebene.
    aber bewußt ist ihm das schon zum Teil.
    Am klarsten wird es beim Jahreslauf, wie viel freier er ist, wenn er flexibler ist:
    die ersten Kindergartenjahre waren Ferien für ihn grundsätzlich schrecklich, ein totaler Einbruch in seine Routinen. Ebenso zum Beispiel Geburtstagsfeiern, Sommerfeste, usw in Kiga/Tagesstätte, wo wieder vieles anders läuft als an normalen Tagen.


    nach und nach hat er auf der übergeordneten Ebene gemerkt, dass die Routine-Änderungen im Jahreslauf wiederkehrende Gesetzmäßigkeiten sind, die ihrerseits dann doch wieder Struktur und damit Halt geben. Inzwischen liebt er auch den rhythmischen Wechsel von Schulzeit und Ferienzeit. Von Werktagswoche und Wochenende. (Sommerfeste findet er immer noch besch******', aber das liegt an der mangelnden Barrierefreiheit großer Feste ...)
    Solche Sachen hätte er aber alle nicht von sich aus angefangen, wurde ihm aufgesetzt, hat ihn aber freier gemacht.


    ich versuche aber inzwischen sehr, ihn möglichst einzubeziehen, ihm quasi die Weichen zu stellen, aber er selber legt dann den Hebel um, damit er das auch mehr und mehr lernt.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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  • Enscha,


    das mit den Ferien war hier auch so! Diese Ferien sind die ersten, auf die Sohnemann geradezu gewartet hat und die nicht im mittleren Chaos endeten!


    Im ersten Kindergartenjahr waren schon die Wochenenden grausige, vor allem auch, weil ich nicht wusste, warum das so ist.
    Seit ich entsprechend vorstrukturiere und visualisiere "wer-was-wo-wie-wann" läuft es viiieel besser.
    So langsam ist da auch weniger nötig, wie ich feststelle.


    Auch meiner musste erst verinnerlichen, dass auch der Jahreslauf eine gewisse Struktur hat.
    Meiner kompensiert in Gruppen auch gut mittlerweile, ich bekomme es dann daheim zu spüren.
    Bei uns sind es dann Wutanfall bei kleinsten Anforderungen, Unruhe und eben "partout nicht hören" ;)


    Ich selbst kenne es aber auch, dass es mir richtig schlecht gehen kann-je nach Tagesform-wenn jemand "meine Ordnung" durcheinander bringt.
    Ich kann dann nicht mal arbeiten, wenn ich weiß, dass in einer verschlossenen Schublade hinter mir, ein Utensil nicht an seinem Platz liegt ;(


    Mit meinem Sohn reden kann ich auch noch nicht wirklich darüber, die Zusammenhänge begreift er noch nicht ganz, aber es kommt!
    Derzeit hat er nämlich eine gewisse Handbewegung-Stereotypie, die er immer macht. Auf die Frage, warum er das macht, sagte er "das beruhigt mich"


    Eine KJP sah letztes Jahr auch eher Zwangsverhalten. Kann man sicher drüber streiten.


    Ich empfinde es als ein streben nach Gleichförmigkeit, die Sicherheit gibt.


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    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Zitat von Phila

    ein streben nach Gleichförmigkeit, die Sicherheit gibt.

    Schöne Formulierung ^^


    wirklich verblüffend, wie ähnlich unsere Buben in vielem sind ...


    viele Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Ich muss mal bisschen blöd nachfragen.
    Für mich ist es irgendwie unverständlich, warum Menschen eben keine Gleichförmigkeit oder Routinen oder ähnliches haben wollen.
    Das Autisten ein sehr erhöhtes Bedürfnis in dem Bereich haben ist mir vollkommen klar und ich würde mich selber so einschätzen das es für mich enorm wichtig ist. Bei Kindern allgemein habe ich auch den Eindruck, das viele sehr an Routinen und Gleichförmigkeit hängen (auf die eine oder andere Weise).
    Aber warum gibt es Erwachsene die genau das ablehnen?

  • Naja, ein gewisses Maß an Berechenbarkeit ist sicherlich für alle Menschen wichtig.


    Aber Abwechslung ist auch etwas wichtiges, wer wovon wieviel braucht, wird viel auf die Wahrnehmungsausstattung ankommen, und auch auf die Sozialisation.


    Entgegengesetzt zum Autismus: Jemand mit ausgeprägtem ADHS und HB zum Beispiel braucht ständig neues Futter für sein Hirn, ständig auf der Suche nach neuen Reizen.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Ich glaube auch, dass das was mit der Fähigkeit Reize zu filtern zu tun.
    Womit wir wieder bei der Wahrnehmung wären, wie Enscha so gut erklärt hat!


    Stresst mich persönlich etwas, bin ich generell noch empfänglicher für Reize aller Art, was wiederum Stress verursacht, weil noch mehr auf mich einströmt.


    Das Außen bringt quasi das Innen durcheinander. Schaffe ich es nicht, das Außen so zu ordnen, wie ich es brauche, wird das Innen noch empfindlicher. Ein unschöner Kreislauf entsteht.


    Bei meinen Kollegen auf der Arbeit erlebe ich das so, dass die das Außen größtenteils abschalten können, die sind viel weniger empfindlich als ich.
    Die brauchen aber auch alle viel weniger Gleichförmigkeit und Routinen als ich.


    Ist eine gewisse "Grundroutine" vorhanden, kann ich auch mehr vom Außen ausblenden. Fehlt diese Routine, vor allem, wenn diese Phase länger dauert, wird's wieder chaotisch im Innen, weil von außen so viel rein kommt.... irgendwann geht dann nix mehr. Dann brauche ich Ruhe und vor allem immer gleiche Abläufe, damit es wieder erträglich wird. Ein immer währender Kreislauf.


    Schwer zu beschreiben....


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    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Ich kann diesen Kreislauf sehr gut nachvollziehen.
    Um nicht im inneren Chaos zu versinken und mein inneres Gleichgewicht zu verlieren muss ich mich mental immer auf alles vorbereiten.


    Wenn es mir nicht gut geht, dann stressen mich viel mehr Dinge, als wenn es mir besser oder gut geht. Gerade wenn irgendwas so gar nicht nach Plan läuft, etwas unberechenbares dazwischen kommt kann es passieren das es mich völlig aus der Bahn haut. Das kann bis zur absoluten Hilflosigkeit gehen.
    Routinen helfen in diesem Fall leider nicht mehr. Da brauche ich dann tatsächlich von außen Hilfe um wieder zur Ruhe zu kommen.


    Ich habe allerdings auch festgestellt, das ich mich auf Chaos mental einstellen kann. Wenn ich mich also darauf einstelle, das es wahrscheinlich völlig anders laufen wird, das unberechenbare Dinge passieren etc. und am besten schon vorher eine Alternative überlege, komme ich damit recht gut zu recht.
    Außerdem gibt es auch einen gewissen Punkt an Chaos, wo bei mir alles egal ist. Wenn eh schon alles schief gegangen ist, macht eine Sache mehr oder weniger schließlich auch nichts mehr aus.
    Oft brauche ich danach aber sehr viel Ruhe und Schlaf um mich zu regenerieren.


    Generell brauche ich sehr viel Ruhe und Schlaf. Auch wenn es mir oft sehr schwer fällt zur Ruhe zu kommen und nicht völlig überdreht weiter zu machen.

  • Obwohl Anja wirklich nur leicht betroffen ist hat sie mit den Routinen auch so ihre Probleme. Im Kindergarten war das ganz extrem, da hat jede Kleinigkeit die anders gewesen ist einen Wutanfall ausgelöst. Und wenn es nur die andere Straßenseite war auf der wir gegangen sind. Nachdem sie die Diagnose erhalten hat, hab ich immer wieder versucht diese Routinen zu durchbrechen, auch wenn es dann in einen Anfall geendet hat.


    Heute ist sie so, dass sie mit Änderungen ganz gut zurecht kommt. Dennoch hat sie ihre täglichen Routinen und ist der Tagesablauf anders wird sie unruhig - zwar keine Wutanfälle mehr, aber unruhig ist sie trotzdem, das zeigt sich bei ihr dann ganz besonders, dass sie dann viel sinnloses redet. Aber es kommt zu keinen so heftigen Anfällen mehr wegen irgendwelchen Kleinigkeiten die anders sind.


    Ich frag mich immer wieder, was wäre, wenn ich den Kreislauf nicht irgendwann durchbrochen hätte und ihr alle auch nur noch so kleinen Routinen durchgehen hätte lassen - hätte sie sich dann so gut weiterentwickelt wie es heute ist? Sicher war es teilweise hart, weil sie oft nur schwer zurecht gekommen ist. Aber ich bin der Meinung es hat ihr sehr geholfen, dass sie zwar im Tagesablauf ihre Routinen behalten hat dürfen ich aber ständig für Abwechslung gesorgt habe, besonders was die vielen oft für uns unscheinbaren Kleinigkeiten betroffen hat.

  • Ich glaube, irgendwann entwickelt man auch eine Routine dazu wie man damit umgeht, wenn eine Routine gestört oder unterbrochen wird.
    Und Kinder entwickeln sich ja permanent weiter. Auch Erwachsene tun das ja, auch wenn es sehr, sehr viel langsamer geht. Ich denke man lernt mit der Zeit einfach besser damit umzugehen und gewisse Dinge eben auch irgendwie entspannter anzugehen.


    Ich bin froh, dass ich alt und reflektiert genug bin um gewisse Routinen selber zu durchbrechen, wenn sie eher hinderlich und einengend sind. Für Kinder stelle ich mir das sehr schwer vor, da ja auch die ganze Denkweise völlig anders ist und vieles einfach noch nicht gelernt wird.
    Deswegen ist es wichtig das man Eltern hat, die einen da unterstützen.

  • Zitat

    Für Kinder stelle ich mir das sehr schwer vor, da ja auch die ganze Denkweise völlig anders ist und vieles einfach noch nicht gelernt wird.
    Deswegen ist es wichtig das man Eltern hat, die einen da unterstützen.

    Sehe ich auch so. Solche Strategien und auf der Metaebene die Einstellungen dazu, das "Konzept" von der Welt, das sich entwickelt bei den Kindern - das prägt alles die Art und Weise, wie das Kind umgeht mit seinen Stärken und Schwächen, mit der Umwelt.
    ein Glücksfall ist bei uns natürlich die Tatsache, dass mein Sohn eine Schwester hat, die nicht viel jünger ist und sehr viel normales Leben ins Haus bringt, auch Sachzwänge - das hat ihn sicherlich flexibler gemacht. Zb hatte er Routinen und Interessen entwickelt daraus, dass wir die Schwester, als sie klein war, bei ihren Freunden und Freundinnen abgeholt haben bzw sie hingebracht haben. Mein Sohn hat sich dann Orte im Haus dieser Leute gesucht, die ihn fokussieren, die Musikanlage, das Display am Herd, und hat sich mit einigen der Mütter angefreundet, auch mit der Musiklehrerin der Tochter. Das hat ihm viel gebracht an Erfahrungen, an Kontakten.


    auch die Tatsache, dass wir eine entspannte Nachbarschaft haben, wo mein Sohn seine eigenen Erfahrungen machen kann, Smalltalk üben (mit SEINEN Themen) ist ein Glücksfall.


    Das Arbeiten am Tisch, das angeleitete Basteln und Bauen, da haben wir hier ziemliche Defizite, und Abwehr, die auch damit zu tun haben, dass ich da in der Kleinkindzeit zu sehr auf annehmen & akzeptieren, und zuwenig auf fordern & fördern gepolt war. Das sitzt nun tief.


    Es ist nicht leicht, finde ich, den Grat zu erwischen als Eltern: Genug Ruhe und Routine im Alltag zu haben, die das autistische Kind braucht. Andererseits genug (und an den richtigen Stellen) zu "schieben", damit es eine breite Palette an Strategien entwickelt, wie man mit den verschiedenen Situationen umgeht, wie man Flexibilität ins Leben bringt.


    Grüße

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • die auch damit zu tun haben, dass ich da in der Kleinkindzeit zu sehr auf annehmen & akzeptieren, und zuwenig auf fordern & fördern gepolt war. Das sitzt nun tief.


    Aber vielleicht kannst du ja seine Spezialinteressen jetzt hernehmen und mit ihm etwas basteln/bauen? Wobei es bestimmt auch einfach Menschen geben darf, die eben nicht (gerne) basteln oder malen etc. Dein Sohn hat sich ja auch ohne Basteln wirklich gut entwickelt, lese ich zumindest heraus.


    Ab wann hatten eure Kinder eigentlich diese Routinen, die ihnen so wichtig waren? Ich kann das beim kleinen Prinzen wirklich kaum feststellen, dass er dringend Routinen benötigen würde oder gar darauf pochen würde. Ich strukturiere unseren Alltag und unser Umfeld sehr, das schon, und erkläre immer, was für den Tag ansteht, aber wir haben keine Fixabläufe, die nicht verändert werden dürften ...

  • Michie,
    bei uns ist es ähnlich, so arg feste Routinen hat Junior auch nicht, aber er wurde früher schnell weinerlich, wenn was anders lief als gewohnt.
    In der Schule ist er unruhig bis aggressiv, wenn z.B. erst schreiben und dann rechnen ist, statt umgekehrt.
    Auch mit Vorankündigung ist es so, zwar besser, aber trotzdem. Im ersten KiGa hieß es immer "wir haben es ihm aber gesagt, er hat gesagt es ist ok!" ja, sagt er, trotzdem bringt es ihn durcheinander.
    Der Rektor jetzt meint "das muss er halt lernen"


    Wobei ich persönlich finde, das ist doch schon ne Mords-Leistung, hinzunehmen was ihn durcheinander bringt (seine Worte!), da darf er auch unruhig sein!
    Aggressiv geht natürlich nicht, aber unser Rektor meint, Junior muss zur Tagesordnung übergehen, wie die anderen.
    Und das kann er nicht! Er braucht dann noch mehr Gleichförmigkeit und mehr Rückzug, sonst wird er aggressiv.


    _______________________________________________________
    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Zitat von michie

    Aber vielleicht kannst du ja seine Spezialinteressen jetzt hernehmen und mit ihm etwas basteln/bauen? Wobei es bestimmt auch einfach Menschen geben darf, die eben nicht (gerne) basteln oder malen etc. Dein Sohn hat sich ja auch ohne Basteln wirklich gut entwickelt, lese ich zumindest heraus.

    Ich glaube, er hat sich gut entwickelt, weil er zuhause viel Annehmen hatte UND eine tolle HPT-Zeit, mit Leuten, die ihn sehr verstanden und gemocht haben, und viel Wissen über Autismus hatten. Und die haben auch gezielt gefördert und gefordert. In der Kombi war es dann gut, und ich glaube, ich hätte vielleicht zuhause auch nicht mehr geschafft, es war schon sehr anstrengend, ihn durch den Alltag und die sozialen Probleme zu bugsieren... Trotzdem würde ich mir rückblickend wünschen, ich hätte schon als er 1-3 war, mehr "Lernstoff" angeboten in Wiederholungsschleifen (zB vor seiner Nase kommentarlos und oft Legobauen), anstatt ihn zu lassen, "weil es ihn nicht interessiert". Tatsächlich hat es ihn nicht interessiert, weil er gar nicht wahrgenommen hat, was er da machen kann. Und weil er etwas 50 oder 100 mal sehen muss, um es aufnehmen zu können.


    Hans brauchte die Routinen schon ziemlich früh, allerdings nicht in jedem Bereich. Es gibt sicher auch Autisten, die das wenn's gut läuft, gar nicht brauchen, weil sie "inwendig" gut strukturiert sind.

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    2 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • Zitat von Phila

    Der Rektor jetzt meint "das muss er halt lernen"


    Wobei ich persönlich finde, das ist doch schon ne Mords-Leistung, hinzunehmen was ihn durcheinander bringt (seine Worte!), da darf er auch unruhig sein!
    Aggressiv geht natürlich nicht, aber unser Rektor meint, Junior muss zur Tagesordnung übergehen, wie die anderen.

    Wenn so Leute mehr verstehen würden, was Autismus ist, würden sie merken, dass das eigentlich übergriffig ist einem Autisten gegenüber. Also nicht nur zu verlangen, dass er die Abweichungen mitmacht und toleriert, sondern dass er 100% unauffällig dabei bleibt.
    Naja, viele sehen einfach die große Leistung nicht. :-/

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Ich finde das eine riesen Frechheit von dem Direktor!


    Das Problem kenne ich sehr gut. Alles läuft anders als geplant. Da kann man nicht unauffällig bleiben. *seufz* Also ich hab es schon gelernt das fremde Menschen nichts merken und auch Freunde mit denen ich mich nicht so eng verbunden fühle merken sicher erstmal nichts. Aber Menschen denen ich am Herzen liege und die mir wichtig sind merken das doch recht schnell.


    Was ich in Bezug auf das letzte Schuljahr als Nichtlehrerin gelernt habe, war mich morgens schon darauf einzustellen, das nichts nach Plan läuft. Zu 90% war das leider so. Am Anfang hat es mich nämlich ziemlich verstört und aus meinem inneren Gleichgewicht geworfen, weil es immer wieder Planänderungen gab etc. Seit dem ich mich vorher darauf eingestellt habe, das eben nichts nach Plan laufen wird, war ich dem gegenüber deutlich entspannter. Ich war schließlich darauf eingestellt.


    Vielleicht könnt ihr euren Kindern das auch bei bringen? Für mich ist es irgendwie echt überlebenswichtig.

  • Trixi

    Hat das Label Autismus hinzugefügt.