Beiträge von Birte

    Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum die Diskussion im Spiegel-Online Forum geschlossen wurde.
    Und ja, ich finde auch, dass sehr differenzierte und gute Beiträge bei sind.
    Die Lösung für das "Problem" kann nur sein, dass immer mehr Menschen mit Behinderungen im Alltag präsent sind, sodass es für alle normaler wird und dann auch der Druck sinken wird, sich ständig an die andere Norma anzupassen.
    Übrigens mag ich gar nicht überall offen davon berichten, wie sehr wir manchmal unter Druck stehen durch Willis Verhaltensbesonderheiten in der Öffentlichkeit. Er zeigt ja auch seine nicht-Begeisterung sehr laut...
    Es würde in diesem Falle wie eine rechtfertigung klingen.
    Mich stört es in solchen Diskussionen grundsätzlich, wenn da alle auf irgendwelche "Rechte" bestehen. Es ist wie im Straßenverkehr: Ja, manchmal hätte man vielleicht das "Recht" auf Vorfahrt oder sonstwas gehabt, aber es ist nur eine kleine Verlangsamung nötig, ein Blick in die Augen, ein Lächeln, ein Dank und schon ist die Sache für alle zufriedenstellend geregelt...
    Ein bisschen auf die Bremse treten im Leben, nach links und rechts schauen, achtsam sein, mal einen Umweg machen und sich überraschen lassen, nicht immer alles effizient, optimal durchgeplant zu haben... dass sind die Chancen die uns Menschen mit Behinderung bieten: Richtig echtes Leben!

    Hallo in die Runde,
    Ella hat mir gerade erzählt, dass Ihr über meine letzte SPON Kolumne diskutiert. Da ich mich gestern hauptsächlich damit beschäftigt hatte die über 100 Leserkommentare durchzuarbeiten, wobei ich mich immer EXTREM aufrege, hatte ich kurz gezögert, ob ich hier noch mehr lesen will. Selbst bei Facebook in einer Down-Syndrom Gruppe musste ich von dem "Recht auf einen ungestörten Konzertbesuch" lesen.
    Zum Glück klingt es hier schon anders.
    Ihr habt natürlich absolut Recht damit: Wenn Willi ein Konzert durch Geschrei oder Gerenne sprengt, dann würde ich NATÜRLICH (wie wohl jede Mutter) das Konzert verlassen. ich bestehe ja auch gar nicht darauf, unbedingt in die Elphi zu gehen. Es geht mir doch nur darum, dass ich die Aussage "Klassik für alle" gerne wörtlich nehmen würde.
    Man hat mich ja mal wieder als rücksichtslose Egoisten beschimpft, der es nur ums Prinzip geht. Aber mir geht es tatsächlich gar nicht ums Prinzip, sondern darum, wie man eine Lösung finden kann um wirklich "Klassik für alle" möglich zu machen. Es entspricht natürlich auf den ersten Blick NICHT den Vorstellungen der Inklusion, wenn man extra Konzerte macht, in der explizit auch verhaltensindividuelle Menschen eingeladen sind. Aber für "Normalos" wäre die Konzerte ja auch geöffnet. Also die würden dann ja schon integriert werden. Ich könnte mich so wenigstens trauen mit Willi hin zu gehen. Man kann dann auch mal ausprobieren, wie es klappt. Man kann menschen, die Probleme mit neuen Orten haben, daran gewöhnen (oft schreit Willi laut, wenn wir in einen unbekannten Ort kommen, einfach weil er nicht weiss, was auf ihn zukommt). Ich bereite Willi auch systematisch auf die Konzerte vor. Beim Weihnachtsoratorium hört er z.B. immer sehr gerne die Anfangstakte. Ich zwinge ihn aber, wenn das Jahr Richtung Weihnachten tendiert, immer mehr davon am Stück zu hören, bis er die ersten drei Teile (90 min) gut durchhält. Denn Willi fordert im Konzert sonst auch immer wieder den Anfang und da kann ich ja nun eben nicht die Fernbedienung nehmen und zurück scippen... Erst wenn das gut klappt, gehen wir ins Konzert.
    ich denke Willi hat schon grundlegend andere Bedürfnisse, als ein "normales" Kind in seinem Alter. Durch das fehlen von Lautsprache ist eben die Musik die Sprache, die er versteht. In ALLEN Kindervorführungen wird viele gesprochen, denn die anderen Kinder können sich viel eher auf Sprache, als auf die klassischen Stücke konzentrieren. Bei Peter und der Wolf hat Willi alle Teile vom Sprecher gestört. Raus gehen konnten wir trotzdem nicht, er wäre ausgerastet, er wollte ja die Musik hören und dabei war er dann extrem leise und die anderen eher Kinder nicht. Im Prinzip war da Willi selber sehr intolerant und hat dem Mädchen neben ihm einen auf den Deckel gegebne... Karneval der Tiere darf Willi jetzt bei uns nur noch in einer Aufnahme mit Erzähler hören, damit wir gewappnet sind für die nächste Kinderaufführung.
    Ich glaube kaum, dass sich die Leute irgend eine Vorstellung davon machen, wie sehr eine Familie wie wir so einen Besuch plant, wie viele Faktoren wir beachten, wie viele Gedanken wir uns machen, um es für alle optimal zu gestalten. Und dann macht es mich wütend, wenn man uns als rücksichtslos bezeichnet, weil wir eben doch ab und zu unser Kind der Umwelt zumuten. Immerhin gehen wir an den aller, aller meisten der 365 Tage des Jahres in KEIN Konzert!
    Es ist einfach bitter, wie wenig manche Leute bereit sind, über den Tellerrand zu schauen und offen zu sein für Anderes und Neues und Unbekanntes. "Behinderte, ja OK, schlimmes Schicksal, arme Eltern, aber irgendwie ja auch selber Schuld", aber auch nur die geringste Einschränkung sollen Sie nicht verursachen. Manchmal denke ich, sie können mir alle gestohlen bleiben, dann werden sie eben auch niemals erleben, was echte Lebensfreude ist!
    Aber leider, leider, kann ich diese Menschen ja nicht meiden, denn sie laufen überall auf der Strasse herum, stehen in jedem Supermarkt und auf allen Spielplätzen. Tja, mit dieser Einschränkung muss ich dann wohl genauso leben, wie sie mit der Existenz meines Kindes, welches ich auch mit ins Kino nehme und in die u-Bahn, aber nicht ins Restaurant, denn so viel Kraft habe ich dann doch nicht. Aber der Mann in unserer Pommes-Bude ist super nett zu Willi!