Warum wird die Inklusion oft abgelehnt oder skeptisch betrachtet?

  • Ich höre und lese in Diskussionen immer wieder, dass die angestrebte Inklusion - selbst von Angehörigen behinderter Menschen - abgelehnt oder zumindest skeptisch betrachtet und Teilhabe in allen Bereichen nicht immer ermöglicht wird bzw. auch nicht unbedingt erwünscht ist.
    Ich weiß, dass die derzeitige Umsetzung alles andere als optimal ist und die Zustände teilweise katastrophal schlecht sind, aber bedeutet es nicht, dass man sich dann erst recht für eine gelungene Inklusion in allen Bereichen stark machen muss?
    Wenn nicht wir, wer dann?

  • Ella, ich glaube vielen fehlt einfach die Vorstellungskraft, wie eine echte Inklusion aussehen sollte. *seufz*
    Und dann kommt auch noch dazu, das manche es ja mit Inklusion probiert haben und immer wieder nur negative Erfahrungen gemacht haben. Das trägt sicher nicht dazu bei, das man Inklusion toll findet.


    Ich denke, Inklusion muss im Kindergarten und der Schule anfangen. Einfach deswegen, damit es später Erwachsene gibt, die Inklusion für völlig normal halten und nicht für etwas über das man noch diskutieren muss. Erst dann sehe ich eine Chance, dass sich wirklich etwas ändert.


    Wer immer nur die Separation erlebt hat, der wird eben an alt bekanntem festhalten wollen.

  • Ella, ich glaube vielen fehlt einfach die Vorstellungskraft, wie eine echte Inklusion aussehen sollte. *seufz*


    Ja, das denke ich auch. Hier muss man ansetzen, wenn es um die Erklärung geht, was Inklusion bedeutet. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen glauben, in der Inklusion müssten z.B. in der Gruppe alle das Gleiche zur selben Zeit tun. Solch eine Vorstellung schreckt natürlich ab.

  • Ich gebe zu, bei mir ist eine der größten Sorgen, dass Inklusion am Ende darauf hinausläuft, dass nicht die Gesellschaft bemüht ist, die besten Vorassetzungen für den behinderten Menschen zu schaffen, sondern dass s am Ende doch wieder an den Behinderten selbst liegt, sich anzupassen und sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, nur um dabei sein zu dürfen. In der Theorie ist das anders gedacht (das weiß ich), aber ich fürchte, dass die Praxis oft anders aussehen wird. Solche Erwartungshaltungen (nach dem Motto: Jetzt pass dich gefälligst an und sei dankbar, dass du dabei sein darfst!) können ja auch ganz subtil vermittelt werden, ohne dass das offen ausgesprochen wird.


    Eine zweite Sorge von mir geht in die Richtung, dass ich das Gefühl habe, manche Leute wollen gar nicht unnötig mit behinderten Menschen konfrontiert werden, weil sie das als zu anstrengend, vielleicht sogar als Zumutung empfinden. In meiner Firma wurde mir mal zugesteckt, dass sich einige Kollegen wohl schwer täten, mit meiner Sprachbehinderung umzugehen, Namen wurde allerdings nicht genannt. Auch meine (autismusbedingte) Unruhe und Nervosität, die ich manchmal ausstrahle, ist für die Kollegen ebenfalls oft schwer zu verstehen, und hat das eine oder andere Mal (auch wenn es schon länger her ist) auch schon zu ungehaltenen Reaktionen geführt.


    Ich bin sicher, dass einige Leute (auch Arbeitgeber) behinderte Menschen als Belastung empfinden, die nur unnötig Unruhe ins Team bringen. Im schlimmsten Fall kann das zu Anfeindungen oder soagr Aggressionnen führen. Aufgeschlossenheit, Zugwandtheit, Toleranz oder gar Sympathie kann man nicht erzwingen, auch nicht gegenüber Menschen mit Behidnerung. Viele Menschen umgeben sich doch am liebsten mit unkomplizierten und unproblemtatischen Menschen, in denen sie sich selbst gut wiedererennen.


    Menschen mit Behinderung werden immer (der eine mehr, der andere weniger) auf eine aufgeschlossene und tolerante Umgebung angewiesen sein. Die findet man leider nicht überall. Wenn man die Toleranz dann quasi mit Gewalt zu erwingen versucht (indem man z.B. auf Inklusion und BRK verweist) , dann fürchte ich, dass das auch nach hinten losgehen kann, dass dann einige Leute innerlich erst recht dicht machen und auf Abwehr gehen.

  • Ich gebe zu, bei mir ist eine der größten Sorgen, dass Inklusion am Ende darauf hinausläuft, dass nicht die Gesellschaft bemüht ist, die besten Vorassetzungen für den behinderten Menschen zu schaffen, sondern dass s am Ende doch wieder an den Behinderten selbst liegt, sich anzupassen und sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, nur um dabei sein zu dürfen.


    Dario, diese Sorge habe ich auch und ich fühle mich an bestimmten Orten oft sehr unwohl und bin sehr angespannt, weil wir mit unserem Sohn manchmal auffallen. Das ist kein gutes Gefühl, aber gerade deshalb setze ich mich für die Inklusion ein, weil ich unbedingt will, dass sich das ändert.


    Menschen mit Behinderung werden immer (der eine mehr, der andere weniger) auf eine aufgeschlossene und tolerante Umgebung angewiesen sein. Die findet man leider nicht überall. Wenn man die Toleranz dann quasi mit Gewalt zu erwingen versucht (indem man z.B. auf Inklusion und BRK verweist) , dann fürchte ich, dass das auch nach hinten losgehen kann, dass dann einige Leute innerlich erst recht dicht machen und auf Abwehr gehen.


    Was sollte man denn tun? Wie kann man den Leuten die Inklusion schmackhaft machen? Wie kann man die Barrieren in den Köpfen abbauen?
    Ich denke schon, dass man auch immer wieder auf die Behinderechtskonvention hinweisen und erklären sollte, dass Inklusion und Teilhabe Menschenrechte sind.

  • Ich denke schon, dass man auch immer wieder auf die Behinderechtskonvention hinweisen und erklären sollte, dass Inklusion und Teilhabe Menschenrechte sind.


    Das ist richtig, aber schlussendlich kann ich niemanden zwingen, mich als Menschen zu mögen, auch wenn sich das pessimistisch anhört. Inklusion und BRK machen es vielleicht möglich, dass man kann für sich oder sein Kind bestimmte Rechtsansprüche einklagen kann (z.B. einen Schulplatz oder berufliche Förderung), was ja auch gut und richtig ist, aber echte Sympathie, aufrichtige Freundschaft usw. lassen sich niemals gerichtlich einklagen, das funktioniert nicht.


    Von mir selbst kann ich sagen, dass ich zwar am Arbeitsplatz recht gut integriert bin, aber Freudnschaften und private Kontakte (wie sie anderen Kollegen untereinander haben) sind in dieser Zeit nie enstanden. Auch meine Bemühungen, irgendwann mal eine Partnerin zu finden (z.B. über Single-Abende) sind bisher im Sande verlaufen, weil ich mich unter "normalen" Menschen eben doch immer ein Stück weit fremd fühle und nur schwer Anschluss finde. Über diese innere Einsamkeit, diese innere Fremdheit in der Welt (gerade Autisten werden das kennen), kann mir die BRK oder ein Rechtsanspruch auf Inklusion nur sehr bedingt hinweghelfen, so wichtig sie in anderen Bereichen des Lebens auch sind. Verstehst du, was ich meine?

  • aber schlussendlich kann ich niemanden zwingen, mich als Menschen zu mögen, auch wenn sich das pessimistisch anhört.


    Inklusion bedeutet nicht, dass ich jeden Menschen mögen muss und ich verlange von niemanden, dass er meinen Sohn mögen muss , aber ich verlange, dass man ihm mit Respekt begegnet und ihn teilhaben lässt.


    Über diese innere Einsamkeit, diese innere Fremdheit in der Welt (gerade Autisten werden das kennen), kann mir die BRK oder ein Rechtsanspruch auf Inklusion nur sehr bedingt hinweghelfen, so wichtig sie in anderen Bereichen des Lebens auch sind.


    Vielleicht wäre das anders, wenn in der Inklusion die Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an zusammentreffen würden. Dann wären die Berührungsängste nicht so ausgeprägt und die Kontaktaufnahme wäre einfacher.


    aber echte Sympathie, aufrichtige Freundschaft usw. lassen sich niemals gerichtlich einklagen, das funktioniert nicht.


    Ich finde dich übrigens sehr sympathisch. :) Du mich hoffentlich auch :D :icon_lol

  • Ich finde dich übrigens sehr sympathisch. :) Du mich hoffentlich auch :D :icon_lol


    Danke! :)


    Ich frage mich trotzdem, woher kommt es, dass ich (wie viele Menschen mit Behinderung, die irgendwie "anders" sind) unter normalen Umständen (z.B. Schule oder Arbeitsplatz) nur so schwer Anschluss finde? Sind es wirklich nur Berühungsängste, die sich irgendwann überwinden lassen? Oder sind es unterschiedliche Welten, unterschiedliche Mentalitäten, die da nicht zueinander passen? Ich bin mir da selbst nicht ganz sicher.

  • Ich glaube das liegt auch an Berührungsängsten. Aber auch an den unterschiedlichen Lebenswelten.
    Freundschaft entsteht ja da, wo man gleiche Interessen hat, auf einer Wellenlänge ist usw.


    Ich bin ja auf Grund meiner Behinderung auch sehr anders. Vieles ist für mich unverständlich. Für andere bin ich wahrscheinlich unverständlich.
    Bisher habe ich nur wenige Freunde und die kommen zwar aus der gleichen Lebenswelt, aber nicht aus meinem nähere Wohnumfeld.
    Mit Ausnahme meiner alten Nachbarn die mich immer so akzeptiert haben wie ich war. Anpassen musste ich mich trotzdem ein wenig. Aber ich glaube das ist auch ein Stück weit normal.

  • Ich glaube das liegt auch an Berührungsängsten. Aber auch an den unterschiedlichen Lebenswelten.
    Freundschaft entsteht ja da, wo man gleiche Interessen hat, auf einer Wellenlänge ist usw.


    Das sehe ich ähnlich, wobei sich dieses Problem mit den unterschiedlichen "Lebenswelten" allein durch gesetzliche Vorschriften nicht lösen lässt. Ich will die BRK wirklich nicht in Frage stellen, aber sie allein wird Einsamkeit oder soziale Isolation nicht aus der Welt schaffen, das merke ich ja bei mir selbst ganz deutlich.


    Was ich allerdings für möglich halte: Vielleicht können einige behinderte Menschen im Bewusstsein der BRK selbstbewusster auftreten und trauen sich dadurch mehr unter Menschen, was das Finden von Freunden durchaus einfacher machen kann.

  • Hallo Dario,


    was Du schreibst, spricht mir gerade sehr aus dem Herzen.


    Ich gebe zu, bei mir ist eine der größten Sorgen, dass Inklusion am Ende darauf hinausläuft, dass nicht die Gesellschaft bemüht ist, die besten Vorassetzungen für den behinderten Menschen zu schaffen, sondern dass s am Ende doch wieder an den Behinderten selbst liegt, sich anzupassen und sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, nur um dabei sein zu dürfen.


    Ich nehme gerade an einem „Projekt“ Teil, bei dem Sozialpädagogen/Sozialpädagoginnen Menschen, die als Erwerbsgemindert eingestuft werden, in Arbeit vermitteln sollen. Im Augenblick verhält es sich aber so, dass so gut wie alles, was ich sage oder tue analysiert wird und als „schwierig“ oder „falsch“ oder „veränderungswürdig“ eingeordnet wird. Man müsse „Feedback“ zu meinem Verhalten liefern, wird gesagt. Wenn ich sage, ich will das nicht, man solle mich unterstützen, etwas arbeiten zu können, wird das abgelehnt. Man "müsse" das so machen. Man könne nicht "leisten", was ich verlange.
    Es sei zudem ein Problem, dass ich „so hohe Ansprüche“ hätte. Dies bezog sich wohl darauf, dass ich nicht „nur“ Regale einräumen oder in einer Großküche die Spülmaschine einräumen wollte. Außerdem war mein Lebenslauf „zu gut“, ich kann (eigentlich) zu viel.


    Eine zweite Sorge von mir geht in die Richtung, dass ich das Gefühl habe, manche Leute wollen gar nicht unnötig mit behinderten Menschen konfrontiert werden, weil sie das als zu anstrengend, vielleicht sogar als Zumutung empfinden.


    Es hatte zu Beginn dieses Projekts ein Geschacher gegeben, welche/r SozPäd sich „mich zutraut“, das war mir auch so gesagt worden. Man erklärte mir, dass man vielleicht nicht „aushalten“ könne, wie ich sei. Ich musste versichern, bestimmte Verhaltensweisen zu lassen. Sonst sei das Projekt nichts für mich. Alternativen können dort nicht benannt werden, da ist man nicht zuständig (wie übrigens keiner, wirklich keiner).


    Ich werde manchmal dort gefragt, wie ich mich fühle, was ich von allem halte. Wenn ich dann sage, was für mich schwierig ist oder nicht passt wird gesagt: „Ja schlimm, und was tun Sie da jetzt dagegen?“ also es stellt sich für die Mitarbeiter dort gar nicht die Frage, ob sie mir auch entgegen kommen sollten. Wenn ich sage, ich wisse auch nicht, was tun, dann wird wieder darauf verwiesen, dass das Projekt dann evtl. für mich nichts sei.


    Ganz abgelehnt wurde auch die Tatsache, dass ich körperliche Defizite habe. Das könne man nicht berücksichtigen. Entweder Körper oder Geist, beides ginge nicht. Ich also - was ich wirklich nicht besonders gerne mache - meine körperlichen Defizite/Fehlbildungen/Krankheiten schriftlich erklärt. Ich finde es echt demütigend. Es wurde dann zu den Akten genommen, ob das jetzt berücksichtig wird, womöglich aber wieder zu meinem Nachteil: weiß ich nicht.


    Die Einstellung „zu anstrengend“ „zu viel Aufwand“ habe ich in den letzten Jahren, wenn es um Arbeit ging, immer wieder erlebt. Oft kannten die Menschen mich noch gar nicht, aber ich war auf jeden Fall „zu viel Aufwand“, man könne „das nicht leisten“, bis hin zu man müsse sich (oder im konkreten Fall die in einem Kindergarten betreuten Kinder, ich sollte dort Praktikum machen) vor mir „schützen“ :( .


    Oft wurde nicht spezifiziert, was genau man nicht leisten konnte, was denn befürchtet wurde. Ich war halt „leider“ zu viel, „ob ich nicht was finden könne, das zu mir passt“. Ja, was passt denn? Schulterzucken der Menschen.


    Viele Menschen umgeben sich doch am liebsten mit unkomplizierten und unproblemtatischen Menschen, in denen sie sich selbst gut wiedererennen.


    Ja, auch dies wurde von der SozPäd in dem Projekt öfter gesagt: kompliziert, problematisch sei ich. Anders als die bekannten Klienten. Anders insgesamt. :wein Ich bin überhaupt nicht kompliziert! Mit mir kann man gut sprechen, ich lerne schnell (langweile mich dadurch natürlich auch schnell, aber das darf ich auf gar keinen Fall andeuten, habe ich bemerkt bzw. das wurde explizit verboten), ich stehe nicht unter Medikamenten (wie einige andere in dem Projekt), ich bin nicht Drogenabhängig oder Alkoholabhängig, ich bin immer pünktlich, ich gebe immer 100 % (sieht aber für andere wohl nicht wie 100% aus)....Nee, aber bloß keine Stärken benennen, dann bin ich kompliziert, weil ich so hochnäsig bin.


    Menschen mit Behinderung werden immer (der eine mehr, der andere weniger) auf eine aufgeschlossene und tolerante Umgebung angewiesen sein.


    Genau, das ist eben das Schlimme. Ich brauche die Menschen, aber die Menschen brauchen mich nicht.


    Tja, da werde ich dann manchmal wütend. Das geht natürlich gar nicht. Dann bin ich selber schuld, wenn ich abgelehnt werde.


    Lynkas grüßt.

  • Hallo Lynkas , wenn ich Deine Ausführungen über das Fachpersonal lese, könnte ich in den Tisch beißen :icon_redface
    Ist es völlig ausgeschlossen, das Du selber studieren und Fachpersonal werden könntest?
    Wenn ja , warum ?


    @Dario , ehrlich gesagt erwarte ich persönlich weder , das mich alle mögen noch das ich immer und überall Freunde finde.
    Aber was Ella schreibt , wertschätzendes Verhalten , würde ich mir dann schon wünschen. das ist natürlich in der freien Wildbahn auch nicht immer der Fall, völlig ohne Behinderung , jetzt mal aus meiner Perspektive.

  • Hallo Lynkas,


    tut mir leid, was du erlebeen musstet, aber es bestätigt genau meine Sorge: dass Inklusion oft (noch) zur bloßen Worthülse verkommt, hinter der sich auch staatliche Stellen, Ämter usw. gut verstecken können, nach dem Motto: "Seht her, ihr habt doch jetzt euren Anspruch auf Inklusion, was wollt ihr denn noch???"

  • Hallo Lynkas , wenn ich Deine Ausführungen über das Fachpersonal lese, könnte ich in den Tisch beißen


    Geht mir auch so. :evil: Ich glaube, dieses "Fachpersonal" weiß nicht, was Inklusion bedeutet.


    Ist es völlig ausgeschlossen, das Du selber studieren und Fachpersonal werden könntest?


    Könntest du nicht Fortbildungen im Autismusbereich anbieten? Dann könntest du dem "Fachpersonal" mal ein bisschen auf die Sprünge helfen.

  • Ist es völlig ausgeschlossen, das Du selber studieren und Fachpersonal werden könntest?


    Kein Geld.
    Voll Erwerbsgemindert (daher auch alle Fördermöglichkeiten verschlossen)
    Ausbildungen kann man nur Vollzeit machen (alles schon endlos durchdiskutiert), und ganz sicher kann man keine Ausbildung machen, wenn man als Erwerbsgemindert eingestuft wurde.


    Könntest du nicht Fortbildungen im Autismusbereich anbieten? Dann könntest du dem "Fachpersonal" mal ein bisschen auf die Sprünge helfen.


    Oh, ich habe Ordner voll mit von mir geschriebenem Material, für fast jede Situation, jeden Bedarf. Kurzinformationen, längere Artikel....Es interessiert die Betreffenden nicht! Es wird sehr oft abgelehnt, auch nur eine Kurzinfo entgegen zu nehmen. Falls mal jemand bereit ist, etwas zu nehmen, wird es nur flüchtig gelesen. Und ich habe Informationen in "einfacher" Sprache, auch listenmäßige Übersichten, tiefer Gehendes, Professionelles mit Fußnoten und Literaturverzeichnis. Es wäre für jeden etwas dabei. Aber es ist einfach nicht erwünscht, sich von Behinderten "aufklären" zu lassen. Manchmal ist eine Gebrauchsanweisung für mich erwünscht, aber ernsthaft immer so, als wäre ich eine Maschine, die man nur richtig bedienen muss, damit sie das Erwünschte tut, ohne Probleme zu machen. So etwas kann ich einfach nicht liefern. Ich bin keine so flache Persönlichkeit. Ich weiß auch oft selbst nicht, was mir hilft, was ich brauche, was man machen könnte. Ich bin dazu einfach viel zu isoliert aufgewachsen, ich habe ganz wenig Erfahrung.
    Und "Fortbildungen anbieten", also bitte. Wie sollte ich DAS denn können? Ich bekomme doch schon im Alltag keine Assistenz/Unterstützung, und wie soll ich da (zudem ja unerwünschte) Fortbildung anbieten?


    Außerdem: ich möchte einfach nur leben und arbeiten! Es war nie mein Wunsch, dauernd hinter Ignoranten her zu laufen und sie mit Aufklärung zwangszubeglücken und dafür oft noch beschimpft zu werden, da ich das ja "nur mache, weil ich mich selbst so wichtig nehme" :thumbdown: Ich möchte einfach nur dabei sein, als Mensch. Ich bin doch nicht die große Aufklärerin.

  • Hallo Lynkas,


    ich kann das gut verstehen. Ich war auch nie der große Aufklärungsaktivist, auch wenn ich es gut und wichtig finde, dass es Behinderte (auch Autisten) gibt, die diese Auffklärungsarbeit leisten. Man muss aber 1.) der Typ dafür sein, und 2.) die Zeit dafür haben.


    Ich beantworte gerne konkrete Fragen und gebe bereitwillig Auskunft, wenn jemand auf mich zukommt und etwas wissen will. Selbst aktiv auf Menschen oder auf Medien zugehen und über Autismus aufkären, das könnte ich aber nicht. Ich glaube auch, dass man behinderte Menschen damit überfordern kann, wenn sie in so eine Erwartungshaltung hineindrängt, dass wir jetzt alle zu großen Aktivisten werden müssten. Das kann nicht jeder. Es ist ja eigentlich Aufgabe der Fachleute, sich selbst weiterzubilden und sich das notwendige Wissen anzueignen. Von professionellen Kräften (die für ihren Job bezahlt werden) kann man das erwarten, finde ich.

  • Lynkas, ohje.....da hast du ja einen großen Kreis von Ignoranten um dich herum.


    In der Inklusion werden tatsächlich viele Aufklärer und Aktivisten benötigt. Die Aufklärung gestaltet sich in der Tat sehr schwierig, weil bestimmte Denk-und Verhaltensmuster "aufgebrochen" werden müssen, die sich über Jahrhunderte in den Köpfen festgesetzt haben, aber aufgeben dürfen wir deshalb nicht. Wir dürfen nicht den Leuten das Feld überlassen, die uns das Leben schwer machen.


    Die Gesellschaft ist stets im Wandel und immer gab es Aktivisten und Aufklärer, die eine Gesellschaft nach vorne bewegt haben. Denkt an die Frauen- und Menschenrechte, an die Gleichberechtigung, an Kinderrechte, an die Demokratie. Vor einigen Jahrhunderten bzw. bis vor wenigen Jahrzehnten war das alles noch undenkbar und viele Aktivisten wurden im bestem Fall nicht ernst genommen und belächelt, im schlimmsten Fall ins Gefängnis gesperrt oder gar getötet. Die Menschen haben trotzdem nicht aufgegeben.


    Auch wenn einem das Aufklären im großen Stil nicht liegt, können auch kleine Dinge die Inklusion vorantreiben, indem man immer wieder um seine Rechte kämpft und sich nicht beirren lässt. Ich weiß, auch das ist anstrengend.....seufz.
    Ihr wisst: Steter Tropfen höhlt den Stein!

  • Hallo Ella,


    ich unterschreibe das alles, was du geschrieben hast. Was ich bei mir allerdings festgestellt habe, mündet in eine These, die sich vielleicht ein bisschen gewagt anhört: Ich glaube, je besser man als Behinderter bzw. integriert bzw. inkludiert ist, desto "normaler" und "durchschnittlicher" wird man in seinen Ansichten und Denkmustern - und desto mehr geht einem irgendwann die Motivation verloren, sich überhaupt noch für Veränderungen einzusetzen.


    Das hört sich vielleicht erschreckend an, aber ich möchte ein Beispiel nennen, was ich damit meine. Je selbstständiger ich in den zurückliegenden 10 Jahren wurde, seitdem ich in meienr eigenen Wohnugn lebe und auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeite, desto mehr merke ich, wie sich meine persönlichen Lebensprioritäten ganz langsam verschoben haben. Bis vor ca. 15 Jahren hatte ich noch keine berufliche Perspektive, keine eigene Wohnung, war finanziell von Ämtern und auch noch von meiner Mutter abhängig. Zu dieser Zeit habe ich mich in erster Linie als ein Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse gesehen; als jemand, der keine faire Chance bekommt usw.


    Je länger und je besser ich beruflich integriert war, desto mehr haben sich meine Lebensprioritäten und das, was mir wichtig ist, irgendwann verschoben. Heute gehen meine Sorgen eher in die Richtung, dass ich das, was ich erreicht habe, unbedingt erhalten möchte. Oder um es hart zu sagen: Irgendwie bin ich immer "spießiger" und "konservativer" geworden. Heute ist es mir z.B. extrem wichtig, dass mir mein Arbeitsplatz erhalten bleibt, dass meine Rente später mal sicher ist oder dass ich meine Wohnung (zu einer bezahlbaren Miete) behalten kann. Das sind ja alles Wünsche, die man eher mit "kleinkariertem Spießertum" in Verbindung bringen würde, aber nicht mit einem Inklusionskämpfer, der vor Idealismus strotzt und die Gesellschaft umkrempeln will.


    Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich weiß ich, dass an der Situation behinderter Menschen immer noch viel zu verbessern gibt, und das ist mir auch keinesfalls gleichgültig. Wo immer ich persönlich etwas beitragen kann, dass sich die Situation für behinderte Menschen weiter verbessert (gerade auch für Autisten) werde ich das auch tun. Auch für mich selbst gibt im Kleinen immer noch viele Bereiche, wo ich Berbesserungen und Erleichterungen wünsche. Trotzdem, der ganz große Idealismus ist mir in den letzten Jahren irgendwie abhanden gekommen.


    Früher war das anders, aber aktuell sehe ich mich in meiner persönlichen Situation nicht mehr primär als Opfer, sondern bin durchaus dankbar für das, was ich erreicht habe, vor allem auch für die berufliche Chance, die man mir gegeben hat. iIh sehe mich deshalb nicht mehr als jemanden, der gegen etwas ankämpft oder die Gesellschaft als eine Art "Feind" betrachtet, im Gegenteil: Ich hätte früher nie gedacht, dass ich einmal an einem Punkt ankomme, wo ich sage: Der Erhalt meines Arbeitsplatzes oder die Sicherheit meiner Rente gehören (neben der Gesundheit) zu meinen wichtigen Lebensprioritäten.


    Wie gesagt, inzwischen bin ich kleinbürgerlicher und spießiger geworden, als ich das selbst für möglich gehalten hätte. Schon deshalb glaube ich, dass ich heute nicht mehr der große Inklusionskämpfer sein könnte, der an vorderster Front mit viel Leidenschaft und Idealismus kämpft. Im Kleinen und im Stillen unterstütze ich die Sache weiter, aber nicht mehr als Hauptinhalt meines Lebens, wenn ihr versteht, was ich meine.


    Die Frage hört sich vielleicht merkwürdig an: Aber kann es einem als Behindertem auch "zu gut" gehen? :/


    Ich werde sicher nie vergessen, wo ich mal hergekommen bin und wie schwierig meine Leben bis vor etwa 10-15 Jahren noch war. Der der ganz große persönliche Idealismus ist mir aber irgendwie abhanden gekommen zugunsten von Sicherheitsbedenken. Heute bin ich wirklich eher auf Erhalt dessen bedacht, was ich mir im Laufe der letzten Jahre erarbeitet habe. Und dass, was ich gerne noch erreichen möchte (z.B. Freunde oder eine Lebenspartnerin), das kann ich nicht auf der politischen Eben erreichen, das wird immer ein ganz persönliches Problem von mir bleiben. Ich weiß nicht, ob ich damit heute in gewisser Weise "verbrannt" bin für die Sache der Behindertenrechtsbewegung.


    Es gibt ja auch andere Autisten wie z.B. Peter Schmidt, die von ihrer Lebenssituation (Familie, gut bezahlter Job, Einfamilienhaus) eher zum "Establishment" gehören; die zwar über die Sache der Autisten aufklären und wichtige Beiträge leisten, die aber im engeren Sinn nicht als Inklusionskämpfer oder Inklusionsbotschafter auftreten, wie das z.B. Aleksander Knauerhase oder Raul Krauthausen tun.


    Ich selbst weiß noch nicht so recht, welcher Szene ich mich da zurechnen soll. Ich bin kein Inklusionskämpfer im eigentlichen Sinn, konnte mich aber auch nie wie Peter Schmidt (der sogar mal als CDU-Lokalpolitiker aktiv war) bis ins Establishment hochkämpfen, sndern sehe mich irgenndwo zwischen diesne beiden Welten, wenn ihr versteht, was ich meine.

  • Dario, ich kann das durchaus nachvollziehen, was Du schreibst. Ich finde es auch nicht "spießig" sondern einfach ganz menschlich und verständlich.
    Was ich mir selbst immer wieder vorhalten muss ist, dass ich bloß nicht zu oft in eine "Opfermentalität" verfalle. Dann geht gar nichts mehr. Damit ist mir nicht geholfen und die anderen Menschen mögen das auch nicht gern. Ist bloß alles oft anstrengend....so viel erklären, so viel falsch an mir, viele Hürden und wenig Kraft, aber es braucht eben besonders viel Kraft, wenn Hürden überwunden werden müssen.
    Von Peter Schmidt war ich lange keine Freundin, aber in seinen Büchern kommt durchaus rüber, dass es auch in seinem Leben dunkle Stunden gab. Und, obwohl er wirklich sehr anders ist als ich und ein völlig anderes Leben führt, habe ich mich dann doch sehr subtil in seinen Schilderungen wiedererkannt und mir sogar Beispiele bei ihm anlesen können, die ich dann für mich verwenden konnte. Da habe ich ihn differenzierter sehen können, nicht mehr nur diesen vorwärtspreschenden Vorzeige-Autisten, bei dem es super läuft.
    Ich glaube, dass Menschen aus dem autistischen Spektrum, die "neurotypisch" sozialisiert sind, ihre Diagnose also erst spät bekommen haben, einfach auch anders mit Inklusion umgehen. Manche Probleme sind für sie nicht oder nicht mehr relevant. Andere, für sie typische Probleme, kommen in der Inklusions-Debatte gar nicht vor und werden nicht bedacht.
    Aber die Kinder, um die es bei Inklusion in der Hauptsache geht, werden erwachsen werden und es wird nicht alles ganz anders sein. Manches können die erwachsenen Behinderten eben doch beitragen, was auch in Zukunft noch relevant sein wird.
    Lynkas grüßt.

  • Ich glaube, dass Menschen aus dem autistischen Spektrum, die "neurotypisch" sozialisiert sind, ihre Diagnose also erst spät bekommen haben, einfach auch anders mit Inklusion umgehen. Manche Probleme sind für sie nicht oder nicht mehr relevant. Andere, für sie typische Probleme, kommen in der Inklusions-Debatte gar nicht vor und werden nicht bedacht.


    Ja, das stelle ich auch immer wieder fest. Die heutige Autisten von Ü40 sind einer Zeit groß geworden, als es noch keine Asperger- oder HFA-Diagnosen gab, auch noch keine Inklusion im heutigen Sinn. Da musste man sich notgedrungen ganz anders mit vielen Problemen arrangieren.


    Die meisten Inklusionsaktivisten gehören ja eher zur jüngeren Generation (U30) und sind mit einer anderen Mentalität groß geworden (ganz wertungsfrei betrachtet), die man als älterer Autist so nie kennen gelernt hat. Ich glaube schon, dass dieser Generationenunterschied eine Rolle spielt. Wenn man selbst keine eigenen Kinder hat, dann hat man auch keinen persönlichen Bezug zur heutigen Inklusionsdebatte, da muss man sich schon sehr gezielt dafür interessieren.