Die Behinderung des Kindes annehmen

  • Viele Eltern sind erst einmal geschockt und traurig, wenn sie erfahren, dass ihr Kind eine Behinderung hat.
    Es gibt verschiedene Trauerphasen, die Eltern durchlaufen, bis sie die Behinderung ihres Kindes akzeptiert haben.


    Wie war das bei euch? Habt ihr mit dem Schicksal gehadert, oder hattet ihr gar keine Schwierigkeiten? Könnt ihr mittlerweile die Behinderung akzeptieren?


    Mein Sohn wurde als gesundes Baby geboren. Mit der Zeit stellte sich dann nach und nach heraus, dass seine Entwicklung verzögert verlief.
    Wir Eltern hatten also Zeit, in die Situation hineinzuwachsen und die Behinderung anzunehmen, obwohl wir natürlich auch Zeiten hatten, bei denen uns viele Gedanken durch den Kopf gingen. Vor allem hatten wir Zukunftsängste.


    Die Situation ist sicher anders, wenn das Kind nach einer unauffälligen Schwangerschaft mit einer Behinderung geboren wird.
    Diese Situation stellt das Leben der Eltern von jetzt auf gleich komplett auf den Kopf.


    Welche Phasen habt ihr durchlaufen?

  • Hmmm... schwer zu sagen... ich glaube, ich habe nie so wirklich getrauert.


    Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass mein Kind anders ist, als die anderen Babys auf der Station.


    Er kam zu früh, war aber einer der fittesten der Station, aber irgendwie anders als die anderen.


    Als er zwei war, fing ich an zu suchen, was es sein könnte und mir war vor der Diagnose eigentlich klar "das ist es"
    Am Tag nach der Diagnostik war ich zwar ein wenig geknickt, aber nicht so wie extrem, wie ich es bei Anderen z.B. in der SHG erlebe.
    Irgendwie war und bin ich aber auch immer anders als andere, was Gefühle angeht.


    Ich befinde mich immer noch in einem Prozess, wie ich feststelle, ich ertappe mich leider auch noch dabei, wie ich manchmal denke "Herrgott, warum macht er xy oder lässt xy nicht"


    Also so ganz verinnerlicht scheine ich es noch nicht zu haben. Wenn er dann so unauffällig ist wie letzten Samstag an seinem Kindergeburtstag, dann frage ich mich, wo ist der Autismus?!
    Maximal das ADHS ist dann sichtbar.


    Wenn ich mich aber zurückerinnere, wie er so mit 3,4,5 in solchen Situationen war, dann wird mir wieder bewusst, was er schon gelernt hat.


    Und wenn es am Sonntag einen Wutanfall gibt, weil das Playmo-Männchen nicht ganz genau wie auf der Packung herzurichten ist-dann frage ich mich, warum macht dieses Kind jetzt so ein Theater?! - Eine halbe Stunde später kann ich es einsortieren....


    Also irgendwie habe ich es nach vier Jahren seit Diagnosestellung leider immer noch nicht so verinnerlicht/angenommen, dass ich automatisch richtig reagieren kann.


    Ich hoffe, das kommt bei mir auch noch!


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    Liebe Grüße von Phila


    Sohn *2008 HFA / ADHS
    Mama *1972 operierte Skoliose
    Sternchen im Herz 2008


    Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen!

  • Hi zusammen,


    ich hatte auch nie eine Trauerphase und habe nie mit dem Schicksal gehadert oder so.


    Als unsere beiden Großen geboren wurden, fiel erstmal nicht viel auf. Sohn war ein eher ruhiges Baby. Er brauchte von Anfang an bestimmte Abläufe, aber nicht sehr auffällig. Im Nachhinein gab es natürlich schon einiges: wir mussten einen Musikkurs abbrechen, weil er die Stimme der Kursleiterin nicht ertrug und nur schrie. Er fasste keinen Sand an - man konnte ihn auf eine Decke in den Sandkasten setzen, da krabbelte er nie runter, weil er dann den Sand hätte berühren müssen. War durchaus praktisch. :D


    Als er so 2 war, wurden die Routinen langsam auffällig: nur ein bestimmter Teller, nur ein bestimmter Becher, nur bestimmte Wege, sonst hatte er heftige Wutanfälle. Das verstärkte sich im Kindergarten massiv und spätestens dann war mir absolut klar, was ich eigentlich schon seit über 1 Jahr ahnte. Mit 4 bekam er dann auch die erwartete Diagnose Autismus.
    Ich hatte da null Probleme mit. Zum einen wussten ich es ja schon längst vorher. Zum anderen hatte ich zu dem Zeitpunkt schon viele Jahre mit Autisten gearbeitet und zwar leidenschaftlich gerne. Ich hatte wirklich keine Verarbeitungsphase o.ä.
    Beim Kleinen genauso, der fiel schon viel früher auf.
    Ich glaube auch, dass es mir bei anderen Behinderungen genauso gegangen wäre, auch bei angeborenen. Liegt sicher an meinem Beruf.
    Meine Frau hatte und hat da viel mehr Probleme.


    Anders und viel schwerer war das bei meiner Tochter. Sie erkrankte mit 2 an Rheuma. Es dauerte Monate bis zur Diagnose, es stand alles mögliche im Raum, sogar Tumor u.ä. =O
    Derweil ging es ihr immer schlechter und man konnte ihr nicht helfen. Sie weinte vor Schmerzen, konnte einen Arm kaum noch bewegen, später vor Schmerzen nicht mehr laufen. Das war furchtbar. Sein Kind leiden zu sehen ohne helfen zu können ist schlimm. ;(
    Dann kamen die Augen dazu und die Sorge um ihr Augenlicht.
    Richtig geholfen hat dann ein Aufenthalt in einer Spezialklinik. Da wurden wir richtig aufgefangen und nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch aufgebaut.
    Da hab ich gemerkt,dass ich vor allem eines brauche: Austausch mit anderen, die das gleiche erleben. Das hat mir unendlich geholfen und tut es bis heute.


    Ich glaube, jeder geht anders mit sowas um. Meine Frau käme nie auf die Idee, sich mit anderen Eltern behinderter Kinder auszutauschen. Die macht das mehr mit sich aus.
    Andere verfallen in blinden Aktionismus.
    Wieder andere haben die Power, selbst Veränderung anzuschieben.
    Und nochmal andere brauchen sehr lange, um es zu akzeptieren oder schaffen es nie.


    Ich habe inzwischen viele Eltern erlebt, die ganz unterschiedlich damit umgehen, ein behindertes Kind zu haben. Und das ist ok so.
    Schwierig ist es, Eltern zu begleiten, die das überhaupt nicht akzeptieren können und ihr Kind nicht so annehmen können, wie es ist. Ich hatte schon Kinder, die 10 verschiedene Therapien machten oder Nahrungsergänzungsmittel im Wert von Hunderten Euro schlucken mussten. Oftmals schadete das "Zuviel" Eltern und Kind. Das Kind stand unter riesigem Druck, die Eltern machten sich immer neue Hoffnungen, die wieder und wieder enttäuscht wurden.
    Da hilft nur, zuzuhören, da zu sein, Hilfsangebote schmackhaft zu machen.
    Es ist oft ein langer Prozess, aber fast immer akzeptieren auch diese Eltern ihr Kind irgendwann so, wie es ist.
    Eine solche Familie habe ich jetzt 5 Jahre begleitet und jetzt wird es. Kind und Eltern sind ausgeglichener und glücklicher. Es ist schön, das zu sehen. :)

  • Trauerphasen in dem Sinne hatte ich auch nicht, wohl aber "Abschnittstrauer". Also, immer wenn ein neuer Abschnitt kam, war ich an manchen Tagen oder auch Wochen tieftraurig und mir wurde sehr bewusst, dass mein Kind anders als andere Kinder ist. Das wurde mir an solchen Tagen glasklar vor Augen geführt.
    Solche Abschnitte waren der Kindergarteneintritt, die Einschulung, die Volljährigkeit, der allerletzte Schultag und die Abschlussfeier, der Eintritt in die Werkstatt, oder auch so Tage, an denen Freunde z.B. verkünden, dass ihre Kinder geheiratet haben usw.
    Heute ist diese Traurigkeit nicht mehr so heftig wie früher, aber sie besucht mich halt doch mal noch hin und wieder. Ist aber o.k. Ich kann damit gut umgehen und lasse diese Trauer auch zu.


    Mit der Diagnose Autismus hatte ich absolut keine Probleme. Die Diagnose war eher eine Erleichterung und Bestätigung für etwas, was ich schon längst wusste.
    Die geistige Behinderung war schon eher ein Problem für mich.
    Ich muss dazuschreiben, dass ich immer damit gerechnet habe, dass unser Sohn geistig behindert sein könnte und sogar die Ärzte darauf ansprach. Ich wollte Gewissheit und mich damit abfinden können, aber kein Arzt nahm mich ernst und so habe ich diesen Gedanken immer wieder zur Seite gelegt und gehofft, dass mein Sohn noch aufholt.
    Die Zeit der Schulsuche war daher sehr schlimm, weil zu diesem Zeitpunkt kein Hoffen mehr möglich war. Die Spreu wurde vom Weizen getrennt. So habe ich das empfunden.
    Eigentlich war nicht die geistige Behinderung das eigentliche Problem. Nein, das Problem war, dass ich mich einfach vom Rest der Gesellschaft abgehängt fühlte......nicht mehr dazugehörig und ganz weit unten. Das war schlimm.
    Es hat einige Zeit gedauert, bis ich meinen Frieden gefunden habe. Als mein Sohn dann auf der GB-Schule war, fühlte ich mich auch nicht mehr so alleine und hatte einen Austausch. Ich gehörte wieder dazu, nur die Gruppe war halt eine andere.


    Die Diagnose Epilepsie schockte mich ebenfalls nicht. Ich wusste damals noch nicht, was es für schreckliche Epilepsieformen und Verläufe geben kann. Ich dachte damals "Medikamente geben - und gut ist". Wir hatten tatsächlich das Glück. Es handelt sich um eine recht milde Form, die medikamentös gut einstellbar ist, trotzdem habe ich mich vor den Anfällen gefürchtet und fürchte mich immer noch davor. Mittlerweile weiß ich ja, wie fies und hinterhältig Epilepsien sein und die Lebensqualität einschränken können.
    Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn mein Sohn nach über zwei Jahrzehnten die Medikamente endlich absetzen könnte und er als geheilt gilt.


    Im Prinzip haben mich also die Diagnosen oder die Behinderung nie geschockt, aber die begleitenden Probleme und Sorgen waren oftmals belastend.
    Bei allen Diagnosen wusste ich (zum Glück?) anfänglich ja gar nicht, dass wir mit solchen Problemen und Sorgen konfrontiert werden könnten.
    Am schlimmsten finde ich es übrigens, wenn mein Sohn leidet. Ist er glücklich und zufrieden, spielt die Behinderung absolut keine Rolle.

  • Hi,


    ich trauer vor allem um die Möglichkeiten die L nicht hat. Das hört sich vieleicht komisch an aber vieleicht nie ein Buch lesen können ist für mich eine schreckliche Vorstellung, obwohl es L vieleicht gar nicht stört und sie ist selbst beim vorlesen nur kurz bei der Sache.


    Ich trauere auch um Dinge die ich nicht mit meinen großen Töchtern machen kann, wir waren jetzt auch schon mal getrennt in Urlaub weil sich die Interessen nicht vereinbaren lassen.


    Und manchmal bin ich einfach so traurig und wütend wenn ich überlege mit was für Zeug ich lernen musste umzugehen Steuerfreibeträge Jugendamt Krankenkasse .... was ich nicht bräuchte wenn L "normal" wäre


    lg Sigrid

  • Hallo!


    Da ich keine Kinder habe, muss ich auch nicht lernen mit einer Behinderung eines Kindes klar zu kommen.
    Aber auch für mich war es schwer mich selber akzeptieren zu können.


    Ich war als Kind schon immer anders. Keine Ahnung warum. Es könnte sooo viele Gründe haben, die jetzt gar nicht mehr so genau sortiert werden können.
    Letztendlich habe ich jahrelang darunter gelitten nie wirklich dazu zu gehören und auch nie das Gefühl zu haben ich habe einen Platz in der Welt. Das lag sicher nicht nur an meiner Umwelt, sondern auch an mir selber, aber das war nicht einfach.


    Irgendwann fand ich dann erstmal die Gruppe Menschen zu denen ich gehörte. Opfer von Gewalt und psychisch krank. Es war irgendwie befreiend, aber auf der anderen Seite wurde mein Leben dadurch nicht gerade leichter.
    Mit dem Thema Behinderung bin ich mehr oder weniger aufgewachsen. Es war nichts fremdes für mich. Meine Mutter hat ja eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und auch während der Ausbildung in einem Behindertenheim gearbeitet, so weit ich das weiß. Ich hatte da eigentlich keine Berührungsängste.
    An eine sehr besondere Situation kann ich mich noch erinnern. Ich muss wohl so um die 10 Jahre oder auch etwas jünger gewesen sein. Wir saßen in der S-Bahn um zum Flughafen zu fahren und mit mir saß ein behindertes Mädchen in der S-Bahn. Ich glaube sie war blind, aber so sicher bin ich mir da nicht mehr. Sie fragte, ob wir Freundinnen werden können und ich musste fast weinen, weil mir klar war dass das doch gar nicht geht. Sie wohnte in München und ich in Landsberg. Es hat mich sooo unglaublich traurig gemacht, weil ich das Mädchen so nett fand und sooo gerne ihre Freundin geworden wäre. Aber schon in dem Alter war mir klar, dass das ja gar nicht funktionieren kann.


    Tja und dann kam mit 12 / 13 die Zeit wo ich eben psychisch krank wurde und ich langsam einen Platz in einer Gruppe fand. Aber das ich so krank werden / sein könnte, dass ich dadurch behindert bin, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich hatte Behinderung nie mit solchen Problemen in Verbindung gebracht.


    Mit 17 wurde mir dann in einer KJP eine "seelische Behinderung" attestiert. Mir war das zu dem Zeitpunkt egal, ob man das nun so nennt oder nicht. Behindert war ich in meinen Augen trotzdem nicht.
    Auch als dann immer mehr alles den Bach runter ging, kam mir nicht wirklich die Idee, das ich behindert sein könnte.
    Irgendwann kam dann langsam der Gedanke das ich vielleicht doch einen SBA beantragen könnte. Allerdings hatte ich zu viel Angst davor, dadurch Nachteile zu bekommen und dann nicht im sozialen Bereich arbeiten zu dürfen.


    2010 / 2011 kam es dann ja zu diesen vielen körperlichen Problemen. Und obwohl es mir eine Zeitlang dadurch sehr schlecht ging kam ich immer noch nicht ganz auf die Idee, das ich behindert sein könnte.
    Erst nachdem ich Anfang 2013 wieder eine Ausbildung abbrechen musste, wurde mir klar das es so nicht mehr ging. Ich hatte zwar einen "Nachteilsausgleich" was meine Darmproblematik anging, aber mehr eben auch nicht. Von der psychischen Erkrankung hatte ich anfangs gar nichts gesagt. Meine Klassenlehrerin erfuhr erst davon, als ich die Schule abbrechen wollte.
    Tja und da habe ich dann wirklich einen SBA beantragt. Rückwirkend wurde mir irgendwie nicht wirklich was anerkannt. Außer einen GdB von 30 (warum auch immer das so ist / war). Heute leide ich darunter, das mir nicht das anerkannt wurde, was wirklich ist. Ich habe irgendwie gelernt offen zu sein und meine Behinderung und meine Einschränkungen zu akzeptieren. Auch wenn ich natürlich daran arbeite immer mehr selbständiger zu werden und ein eigenes Leben führen zu können.
    Komischerweise ärgert es mich jetzt massiv, dass eben nicht anerkannt wird, wie es wirklich ist, während ich vorher nie so richtig auf die Idee kam mich als einen behinderten Menschen zu sehen.



    LG Trixi

  • Tja und da habe ich dann wirklich einen SBA beantragt. Rückwirkend wurde mir irgendwie nicht wirklich was anerkannt. Außer einen GdB von 30 (warum auch immer das so ist / war). Heute leide ich darunter, das mir nicht das anerkannt wurde, was wirklich ist.


    Trixi, wann hast du den SBA beantragt? Du hast ja viel über dich geschrieben und ich bin der Meinung, dass dir mehr zustehen würde.
    Hast du mal über einen Verschlechterungsantrag nachgedacht? Vielleicht kommst du ja doch noch zu deinem Recht.

  • Ella, ja mir würde mehr zustehen und meine Therapeutin hat auch ausführlich erklärt warum, wieso und weshalb.
    Über eine Verschlechterung habe ich schon nachgedacht. Das dumme ist... Die blöde Sachbearbeiterin wird bleiben und wenn ich Pech habe, bekomme ich am Ende noch weniger. Ich seh einfach zu gesund / normal aus. Und bei psychischen Erkrankungen ist man ja eh irgendwie selber Schuld oder so....

  • Ich seh einfach zu gesund / normal aus. Und bei psychischen Erkrankungen ist man ja eh irgendwie selber Schuld oder so....


    Es ist in der Regel leider viel schwerer zu seinem Recht zu kommen, wenn einem die Behinderung nicht angesehen wird.
    Du solltest dir das aber NICHT gefallen lassen, sondern um dein Recht kämpfen.
    Du brauchst Hilfen und die solltest du auch bekommen!
    Oftmals geht es leider nicht ohne Rechtsanwalt.

  • Tja, dazu müsste ich erstmal einen finden, der vernünftig ist und mir helfen mag.
    Der vom VDK wo mir empfohlen wurde, meinte es lohnt nicht... Der wollte da weiter nichts machen.


    Ich denke, wenn ich erstmal wieder richtig Zuhause bin und der größte Stress vorbei ist, werde ich mal beim Versorgungsamt meine Akte anfordern und dann schauen was genau da drin steht.

  • Trixi

    Hat das Label Kinder hinzugefügt.