Fehler im System?

  • Hallo!


    Ich bin da gerade auf einen Artikel der Huffingtonpost gestoßen. Und mir ist wirklich schlecht...


    Zitat

    Die Angestellten in der Klinik warfen Marina vor, sie wolle nur Aufmerksamkeit und missbrauche uns Eltern als Sprachrohr. Mein Mann und ich kümmerten uns zu sehr um sie, hieß es. Marina solle selbst zum Ausdruck bringen, was sie wolle.


    Sagte sie etwas, hieß es dann aber: Wir, die Ärzte und Betreuer, wissen besser, was für dich gut ist. Es war eine schreckliche Situation.


    Meine Traumatherapeutin erklärte mir nach Marinas Tod, dass das schwarze Pädagogik ist, was die Ärzte in der Klinik machen. Man spricht in dem Zusammenhang auch von dem Verstärkerprinzip.
    http://www.huffingtonpost.de/r…chiatrie_b_18395308.html#


    Erschreckend, dass das teilweise selbst in der Kinder und Jugendpsychiatrie passiert. Denke es wird nicht überall so sein, da es in "meiner" KJP nicht so zu ging. Auch wenn es ebenfalls ein Time-Out-Raum gab. Das ist immerhin besser als wenn ein Kind / Jugendlicher direkt fixiert wird.


    Ich frage mich ehrlich, wie es zu solchen "Behandlungen" kommen kann. Vor allem da bei den meisten Fällen in einer KJP noch die Eltern im Hintergrund sind.
    Schlimm wird es mit 18, wenn die Eltern keine Rolle mehr spielen. Als Patient ist man da wirklich verloren.



    LG Trixi

  • Wirklich eine schlimme und traurige Geschichte, die einen - beim allem Entsetzen – auch unglaublich wütend machen kann. Es ist absolut unwürdig, was dem jungen Mädchen angetan wurde. Unter der Behandlung in der Psychiatrie hat sie bestimmt mehr gelitten als unter ihrer Depression.


    Ja, es ist wirklich schwarze Pädagogik, die in solchen Anstalten eingesetzt wird. Ich war ja früher selbst im Kinderheim, wo ich (aus heutiger Sicht) viele unwürdige Dinge erlebt habe, aber dass es heute immer noch genauso schlimm zugeht, erschreckt mich am meisten.


    Inzwischen glaube ich, die sog. schwarze Pädagogik wurde nie wirklich überwunden, auch wenn man uns das oft glauben machen will. Auch das sog. "Recht auf gewaltfreie Erziehung" (das gerne als riesiger Fortschritt gepriesen wird) ist in Wahrheit nur eine rhetorische Nebelkerze, so deutlich muss man das leider sagen. Kinder dürfen zwar offiziell nicht mehr geschlagen werden, dafür sind die psychischen Quälereien (auch die strukturelle, systembedingte Gewalt) umso subtiler geworden. Das ist leider schon lange mein Eindruck.


    Bei allem Entsetzen über das Schicksal der jungen Marina bin ich in einem Punkt dennoch anderer Meinung:


    Schlimm wird es mit 18, wenn die Eltern keine Rolle mehr spielen. Als Patient ist man da wirklich verloren.


    Das wiederum kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt auch Jugendliche, die unter ihren Eltern leiden, weil sie von ihnen misshandelt, missbraucht, vernachlässigt oder sonstwie schlecht behandelt werden. Für solche Jugendlichen kann die Volljährigkeit auch eine große Chance sein, sich aus ungünstigen Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien.

  • Annemarie ich weiß leider nicht wie das bei Eltern / Kindern ist. Denke da dürfte es wahrscheinlich etwas schwieriger sein...


    Als Erwachsener aber, geht das recht schnell und einfach...
    Kleines Beispiel: Ich kam zum 1. Mal akut in eine neue Psychiatrie (Erwachsene). Noch im Aufnahmegespräch wurde ich nach einem gesetzlichen Betreuer gefragt. So weit richtig. ABER mir dann direkt anzubieten einen gesetzlichen Betreuer zu organisieren ohne mich zu kennen .... Nein!
    Es geht wirklich sehr schnell, wenn man sich im System nicht auskennt, das irgendwas gemacht wird das man definitiv nicht will. Deswegen erst gar keine Hilfe anzunehmen löst das Problem allerdings auch nicht.


    Im übrigen... Es funktioniert aber auch andersrum. So nach dem Motto: So schlimm ist es nicht, also wirst du entlassen / nicht aufgenommen.

  • Das wiederum kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt auch Jugendliche, die unter ihren Eltern leiden, weil sie von ihnen misshandelt, missbraucht, vernachlässigt oder sonstwie schlecht behandelt werden. Für solche Jugendlichen kann die Volljährigkeit auch eine große Chance sein, sich aus ungünstigen Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien.


    Ich glaube da hast du mich Missverstanden. Selbstverständlich ist es für derartige Jugendliche besser wenn sie endlich 18 werden.
    Ich hab mich nur auf das Thema Psychiatrie bezogen. Unter 18 in der KJP können Eltern eigentlich noch einiges machen / verhindern. (Zumindest theoretisch, wenn sie es wissen). Ab 18 ist man völlig ausgeliefert. Da interessiert es niemanden wenn Eltern oder Partner irgendwas machen / verhindern wollen.
    Ich befürchte da hilft selbst eine Patientenverfügung nicht weiter.

  • Ja, liebe Trixi,


    es ist schon gut, wenn man einen lieben Menschen hat, dem man eine Vorsorgevollmacht anvertrauen kann. Dann braucht man keinen Betreuer und sein Mann oder seine Mutter oder wen man auch beauftragt hat, kann sich gleich kümmern.


    Es kann ja so schnell was passieren, ein Schlaganfall zum Beispiel.


    Denkt bitte da alle mal drüber nach.

  • Eigentlich schade, dass der Name der Klinik nicht genannt wird. Vor solchen Einrichtungen müsste man öffentlich und auch namentlich warnen, um weitere Patienten vor einem ähnlichen Schicksal zu schützen.

  • Ich habe gerade bei Amazon die Kundenkritiken zu dem Buch gelesen. Geht auch nicht raus hervor.


    Das hat wohl rechtliche Gründe, dass der Name nicht genannt wurde. Die Eltern wollen sicherlich nicht in Grund und Boden verklagt werden.


    Erschreckend ist, dass manche Rezensenten /Kommentarschreiber dort das Vorgehen der Anstalt noch rechtfertigen.

  • Das hat wohl rechtliche Gründe, dass der Name nicht genannt wurde. Die Eltern wollen sicherlich nicht in Grund und Boden verklagt werden.


    Das denke ich mir auch. Trotzdem gäbe es bestimmt Möglichkeiten (gerade im Internet), den Namen auch anonym zu nennen, ohne das man den Eltern etwas nachweisen kann ;)


    Aber dazu braucht man natürlich Kraft und Nerven, die die Eltern womöglich gar nicht mehr haben.

  • Lasst Euch oder Eure Kinder nie entmachten. Gebt sie niemals irgendwo hin, wo Ihr nicht die Kontrolle habt. Nur dann könnt Ihr sicher sein, solche Szenarien zu verhindern.

    Wie läuft es denn in Psychiatrien ab? So oft musste ich schon lesen, dass Eltern sogar mit einem Sorgerechtsentzug gedroht wird, falls sie bestimmte Ma0nahmen oder die Unterbringung in einer Psychiatrie verweigern. So einfach scheint das mit der Kontrolle nicht zu sein. Gerade im Autismusbereich lese ich immer wieder von solchen Erfahrungen.

  • Da ist was dran. Ganz kann man sich nicht schützen.


    Aber man muss sehen, dass man möglichst nicht in den Bereich gedrängt wird. Wenn man solche Geschichten vor Augen hat, ist es mit besonderen Kindern wichtig, von Anfang an präventiv zu handeln.


    Ein Haus- und Kinderarzt, den man vertrauen kann und einen nur an verantwortlich handelnde Stellen weiterverweist, und der einen auf seinem Weg unterstützt, wäre die erste Voraussetzung.


    Sich ein Netzwerk an nur kompetenten Fachkräften von Anfang an aufbauen. Verbündete haben...


    Das ist nicht immer möglich. Aber man sollte es versuchen. Kann wirklich eine Art „Versicherung“ sein.

  • Ganz kann man sich nicht schützen.

    Diese Aussage ist doch furchtbar. Das kann doch nicht sein, dass man sich in Deutschland - einem eigenmtlich sicheren Land - vor menschenrechtsverletzenden Zuständen in Psychiatrien schützen muss.


    Ich weiß natürlich, dass nicht jede Psychiatrie und jeder Psychiater schlecht ist, aber es muss gewährleistet sein, dass in Deutschland gute Qualität flächendeckend zur Verfügung stehen muss. Wie gesagt, ich weiß, dass Familien mit autistischen Kindern immer wieder in bestimmte Horrorszenarien hineingeraten, statt wirklich gute Hilfen zu erhalten. Ich kann verstehen, wenn Eltern eine riesige Hemmschwelle haben, einen Kinder-und Jugendpsychiater aufzusuchen. In den Köpfen sind immer noch viele Vorurteile und leider sind diese nicht immer ganz unbegründet.


    Es ist wirklich ärgerlich, dass man mit rechtlichen Konsequenzen rechnen muss, wenn man Missstände und schlechte Erfahrungen öffentlich macht.

  • Wie man Kinder in diesem Bereich schützen kann, weiß ich leider nicht. Ich vermute, dass das auch wesentlich schwieriger ist.


    Als Erwachsene die weiß wie das System läuft kann ich mich noch einigermaßen schützen. Einfach in dem ich mich kooperativ verhalte, brav mit mache und eben schaue so schnell wie möglich wieder entlassen zu werden.
    Allerdings ist es dann auch nicht wirklich eine Hilfe.

  • Einfach in dem ich mich kooperativ verhalte, brav mit mache und eben schaue so schnell wie möglich wieder entlassen zu werden.

    Mein erwachsener Sohn könnte das nicht. Der wäre schutzlos den Zuständen ausgeliefert, wenn wir Eltern nicht mehr wären. Ich wüsste auch nicht, inwieweit man uns als Eltern/ als gesetzliche Betreuer unter Druck setzen könnte, wenn wir mit einer Behandlung nicht einverstanden wären und Missstände anprangern würden. Ich habe auch schon gehört, dass dann den Eltern mit Entzug der gesetzlichen Betreuung gedroht wurde. Ist dann so ähnlich wie ein Sorgerechtsentzug.
    Ich will wirklich nichts verallgemeinern und alle Psychiatrien schlechtreden, aber Misstände dürfen auch nicht verschwiegen werden.

  • Diese Aussage ist doch furchtbar. Das kann doch nicht sein, dass man sich in Deutschland - einem eigenmtlich sicheren Land - vor menschenrechtsverletzenden Zuständen in Psychiatrien schützen muss.
    ...
    t.


    Es ist einfach furchtbar, darüber nachdenken. Deshalb verdrängen die meisten gerne, wie ich auch, dass es solche Probleme eben gibt.


    Und nicht nur in Psychiatrien. Es geht auch um Einrichtungen der Behindertenhilfe, normale Krankenhäuser und so weiter.
    Mitarbeiter, die sich wehren, droht die Entlassung, hatten wir ja gerade in dem anderen Thread.


    Überall gibt es Missstände.


    Auch in so einem Land wie Deutschland.

  • Der beste Schutz wäre es doch, würde ich zumindest denken, wenn man schon im Vorfeld alles dafür tut, dass ein stationärer Psychiatrie-Aufenthalt hoffentlich niemals notwendig wird.


    Das ist natürlich leicht gesagt, aber ganz pauschal würde ich sagen, man sollte sich schon frühzeitig niedrig schwellige ambulante Hilfen suchen (egal ob für sich oder für sein Kind), noch bevor die Situation wirklich kritisch wird. Vielleicht auch eher bei einem psychologischen Psychotherapeuten als bei einem Psychiater. Psychologen können und dürfen z.B. keine Medikamente verschreiben und sind mit dem ganzen System Psychiatrie nicht so tief verbunden wie viele Psychiater. Zumindest ist das meine persönliche Erfahrung.

  • Ella tut mir echt leid. Ich hab da vorhin bei mir mal wieder vergessen, dass es ja noch andere gibt... *schäm*


    Und ja... Ich denke in dem Moment wo ein Mensch nicht in der Lage ist sich kooperativ zu verhalten etc. hat er in dem System eigentlich wenig Chancen.
    Ich will nicht grundsätzlich etwas gegen Medikamente sagen oder generell auch gegen eine stationäre Behandlung. Das Problem ist einfach nur, dass es selten ein wirklich ausgereifstes Konzept gibt (gerade auf den geschlossenen Stationen).
    Psychiatrie finde ich für Therapie als solches ziemlich ungeeignet.



    Was mich wundert ist einfach nur, dass ich in meiner KJP damals keine derartigen Dinge erlebt habe. Also klar, es gab auch einen Time-Out-Raum (der teilweise wohl wirklich nötig war) und es gab in ganz Extremfällen auch Fixierungen. Mit bekommen habe ich das aber nur bei einem Jungen der 16 / 17 war... Ansonsten nicht. Naja und der hat im Time-Out-Raum so randaliert dass er eben fixiert wurde. Zu seinem und zu unserem Schutz.
    Auch dieses komische System mit den Konsequenzen gab es so eigentlich nicht. Also es gab keine Bestrafungen / Sanktionen. Wir hatten nur eine Belohnung die wir uns verdienen konnten. Fand ich persönlich jetzt nicht so schlimm.


    Auf der anderen Seite hatte ich allerdings etwas "Kontakt" zu einer anderen KJP. Die zu dem Zeitpunkt zuständig wäre und in die ich wirklich nicht wollte. Kann mir gut vorstellen, dass es dort schlimmer / heftiger zugegangen ist. Schon allein weil eine normale, freiwillige Aufnahme grundsätzlich in einer geschlossenen Gruppe mit massiven Einschränkungen geschieht.



    Im übrigen seh ich noch ein anderes großes Problem. Auf einer geschlossenen Station bei den Erwachsenen wird grundsätzlich nicht geschaut welche Krankheitsbilder miteinander "eingesperrt" werden.
    Wer also "nur" eine schwere Depression hat und suizidal ist, wird mit aggressiven und fremdgefährdenden Menschen zusammen gesteckt. Man wird zwar verwahrt, aber nicht betreut oder gar behandelt.
    Ich hatte schon mehrere Patienten die von anderen Patienten und mir beruhigt werden mussten, weil sie live miterleben mussten, wie ein anderer Patient fixiert wird. Von der Pflege kümmert sich darum niemand. Während der Fixierung nicht (weil da meistens alle dabei sind) und danach auch nicht.



    Nein, das System als solches ist wirklich gruselig. Ich bin irgendwie ziemlich froh, dass es in meiner KJP nicht solche Zustände gab (umso größer dann der Schock wenn man plötzlich bei den Erwachsenen landet) und hätte mir nie vorstellen können, dass so mit Kindern / Jugendlichen umgegangen wird...

  • Ella tut mir echt leid. Ich hab da vorhin bei mir mal wieder vergessen, dass es ja noch andere gibt... *schäm*

    Och Trixi, kein Grund sich zu schämen. Deswegen tauschen wir uns doch hier aus.


    Und ja... Ich denke in dem Moment wo ein Mensch nicht in der Lage ist sich kooperativ zu verhalten etc. hat er in dem System eigentlich wenig Chancen.

    Genau DAS ist das Problem. Wer sich kooperativ verhalten kann, kann sich retten und wer das nicht kann, bekommt Probleme.

  • Mal ganz naiv gefragt: Warum muss man sich eigentlich in der Psychiatrie um jeden Preis kooperativ verhalten?


    Wer nicht per Gerichtsbeschluss untergebracht ist, kann doch (theoretisch zumindest) jederzeit sagen, ich möchte gerne wieder nach Hause entlassen werden.


    Bei einem niedergelassenen Arzt kann doch die Behandlung auch zu jeder Zeit wieder abbrechen, wenn man sich dort nicht gut aufgehoben fühlt. Dieses Recht muss doch prinzipiell auch in der Psychiatrie gegeben sein, die ja letzendlich auch nur ein Teilgebiet der Medizin ist.


    Wie ist es es möglich, dass in der Psychiatrie anscheinend immer noch so schnell mit Zwangsmaßnahmen gedroht wird, selbst wenn keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt?