Die Verwendung des Begriffes Inklusion

  • Ich finde es schlimm, dass Menschen mit Behinderung gezwungen werden, nur unter sich zu bleiben.


    Hallo zusammen,


    für meine Tochter ist die vorhandene Sondereinrichtung "Tagesförderstätte" (zumindest derzeit) die richtige Tagesstruktur.
    Bei dem Wohnen sieht das allerdings völlig anders aus, denn wenn wir die hier vorhandenen Wohneinrichtungen nutzen würden, würde das für meine Tochter bedeuten, . . .

    • dass sie ihre bisherige Tagesförderstätte nicht mehr besuchen dürfte, sondern in eine Einrichtung des Wohnheimträgers gehen müsste (nennt sich "totale Institutionalisierung")
    • dass sie ausschließlich mit "nicht-werkstattfähigen" Menschen zusammen leben müsste (Segregation nach der Arbeitsfähigkeit)
    • dass sie keinen oder nur sehr wenig Kontakt mit dem normalen Leben hätte und sie (bzw. wir als ihre Stellvertreter) keinerlei Einfluss auf die Lebensumstände hätte/n

    Es ist also völlig unterschiedlich und m.E. überhaupt nicht festzulegen, wie "behinderte Menschen" leben wollen oder sollen. Alleine die Tatsache, dass Menschen eine Behinderung haben, macht sie schließlich nicht zu einer homogenen Masse mit gleichen Bedürfnissen.
    Ich bin der Überzeugung, dass nur und ausschließlich eine Wahlfreiheit die richtige Lösung ist - aber das habe ich ja weiter oben schon geschrieben.

    Sie ist anders als die andern, und ihre Sprache geht weit an uns vorbei.
    Doch wenn sie lächelt, lächelt sie mit Leichtigkeit dir dein ganzes Herz entzwei.

    'Sommerkind' von Wortfront


    Viele Grüße
    Inge

    Einmal editiert, zuletzt von Inge ()

  • Hallo!


    Ich finde das was Dario gesagt hat nicht wirklich falsch. Es ist das, was er erlebt hat. Mir erscheint es völlig logisch, dass jemand der es gar nicht anders kennt oft Schwierigkeiten hat sich vorzustellen, wie es anders sein könnte.


    Ein bisschen schade finde ich, das die Diskussionen häufig bei der Schule stehen bleiben. Als wäre das einzige Ziel, das inklusive Schulen geschaffen werden. Aber so ist es doch gar nicht.
    Ehrlich gesagt... Ich wäre wohl nie auf eine Sonderschule gelandet. Dazu war ich zu gut in der Schule und konnte mich trotz Mobbing einigermaßen gut anpassen. Eine Sonderschule für psychisch Kranke gibt es so auch nicht. Wenn man mal die Schulen in der Kinder - und Jugendpsychiatrie nicht mitzählt. Dort aber einen Schulplatz zu bekommen, auch wenn man nicht stationär untergebracht ist, ist so gut wie unmöglich.
    Tja und ich kann sagen, dass das Schulsystem für mich, so wie es zu meiner Zeit war, absolut ungeeignet war. Ich bin in keiner der Schulen die ich besucht habe, so wirklich klar gekommen. Und das waren insgesamt immerhin 2 Grundschulen, 1 Hauptschule, 1 Realschule, 1 Gesamtschule mit Kurssystem und 1 Gesamtschule mit getrennten Klassen.


    Meine Schwester hingegen hat fast ihre gesamte Schulzeit in der Schweiz verbracht. Dort gibt es 1 Schule von der 1. bis zur 9. Klasse! Unterteilt in Unterstufe, Mittelstufe und Oberstufe. Wer eine Prüfung besteht kann nach der 9. Klasse oder sogar schon nach der 7. oder 8. Klasse (bin mir da gerade nicht so sicher) auf ein "Gymnasium" (zumindest ist es ähnlich) wechseln. Seit dem ich das Schulsystem in der Schweiz etwas kennen gelernt habe, bin ich umso enttäuscht vom Schulsystem in Deutschland.


    Ganz ehrlich, ich hatte z.B. in Mathe in der 4. Klasse wirklich schlechte Noten (es lag definitiv an der Lehrerin). Wahrscheinlich wäre vollständig auf der Hauptschule gelandet, wenn es damals schon die komplette Trennung nach der Grundschule gegeben hätte. Bei uns mussten alle Grundschüler die nicht auf´s Gymnasium kamen, gemeinsam in die Hauptschule wechseln.
    Es wird so früh schon separiert. Dabei bedenkt niemand, das es nun mal Kinder gibt, die etwas länger brauchen. Da reichen manchmal 4 Schuljahre nicht aus.


    Wie auch immer... Ich fand meine Schulzeit häufig einfach nur beschissen. Vor allem weil sich die Schulsystem richtig heftig von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Nicht zu vergessen, dass dann auch nochmal einige Schulen ihre ganz eigene Suppe kochen. Ich bin heute noch traurig das ich auf Grund der verschiedenen Schularten nie die Chance hatte Französisch zu lernen, obwohl ich das immer wollte.



    Tja und nun bin ich erwachsen. Eine Ausbildung konnte ich bisher nicht machen. Inklusion in ein normales Leben? Scheint für mich unmöglich! Die Hilfsangebote die es gibt, sind für mich nicht geeignet.
    Es ist mehr als frustrierend, immer wieder nach Hilfe zu fragen, immer wieder neue Ideen zu entwickeln um am Ende zu erfahren, dass das ja gar nicht geht.
    Ja, ich könnte eine unterstütze Ausbildung machen (wenn ich attestiert bekommen würde, das ich voll arbeitsfähig wäre, was ich aber dann bitte auch nur in einer betrieblichen Ausbildung. Sämtliche Ausbildungen im sozialen Bereich sind damit gestrichen. Sehr schön, wenn man bedenkt das ich schon seit der Grundschule im sozialen Bereich arbeiten wollte.
    Ja, ich könnte auch in eine Behinderten Werkstatt... Nur was soll ich da? Ich sehe regelmäßig Menschen die dort zur Arbeit fahren. Die sind alle nicht auf meiner Wellenlänge. Ich glaube nicht, das ich mich dort wirklich wohl fühlen könnte. Würde ich mich dafür entscheiden, müsste ich auch erstmal min. 3 Jahre dort bleiben. Wenn ich dann nach 1,5 Jahren so fit wäre das ich was anderes machen könnte, käme ich gar nicht raus.



    Was mir bei allem auffällt... Früher gab es Jobs die z.B. für Menschen mit geistiger Behinderung geeignet(er) waren. Das waren z.B. Hilfsjobs in Ämtern / Behörden. So weit ich weiß wurden alle derartigen Jobs gestrichen.



    Mir ist klar, das es Menschen mit Behinderung gibt, die keinerlei Anpassungsmöglichkeiten leisten können. Ich kann mir auch wirklich nicht vorstellen, wie ein schwer körperlich und geistig behinderter Mensch einer Arbeit nachgehen könnte. Von daher muss es auch für diese Menschen entsprechende Möglichkeiten geben.
    Aber es gibt eben auch Menschen die im weiten Spektrum dazwischen liegen. Und die fallen überall raus. Entweder man hat dann Glück und findet irgendwie und irgendwo eine Nische im System um etwas zu tun, oder man muss sich am Ende damit abfindet in einer Situation zu landen die mehr als unbefriedigend ist, in der man zu 90% sein lebenslang bleibt.
    Wer von den gesunden Menschen möchte eigentlich lebenslang in einem Job, in einer Wohnsituation bleiben, vor allem dann noch, wenn er damit völlig unglücklich ist? Warum wird das von einem Menschen mit Behinderung aber verlangt?


    Sorry, ich glaube ich hab jetzt ein bisschen zu viel und ein bisschen sehr durcheinander geschrieben. Aber diese Gedanken mussten einfach auch mal raus.



    LG Trixi

  • Ich mag die Diskussion, kein Vergleich zu... :D
    Und ich finde es auch wichtig, dass Dario seine Bedenken äussert, ich lese darin viel eigene Erfahrungen. Das macht mich wütend,
    nicht wütend auf Dich, Dario, sondern wütend, dass man damals auf diese Weise mit Dir umgegangen ist, denn Du beschreibst auch
    wie Du darunter gelitten hast.


    Was man sich, meiner Meinung nach, bei jeder Diskussion über Inklusion vor Augen führen muss ist,
    dass man nicht über das Recht auf Inklusion, sondern nur über die Umsetzung, Bedingungen usw. diskutieren kann.
    Jeder Mensch hat das Recht, Teil der Gesellschaft zu sein und dazu gehören eben auch Regelschulen, Kinos, Restaurants, öffentliche Verkehrsmittel, Museen und Konzertsäle.


    Und unvereinbar mit dem Recht auf Inklusion ist auch das Selbstbestimmungsrecht verbunden.
    Natürlich wird niemand in das Eröffnungskonzert der Elbphilharmonie gewzungen, nur weil er behindert ist.... das sollte genauso wenig sein,
    wie jemanden, der sich gerne das Konzert anhören möchte auszuschliessen, weil er behindert ist.
    Das Beispiel von Birgit mit dem Stabhochspringern war übrigens weltklasse :thumbup:


    Tatsächlich wird die Diskussion aber vielleicht zu sehr auf Schule eingeschränkt.


    Inge, totale Institualisierung habe ich ja noch nie gehört! 8|

  • ...oh ich hab nix dagegen gesagt, dass hier diskutiert wird... nur ich persönlich mag nicht mehr!


    für mich hat Inge alles dazugesagt, wir leben - glücklicherweise- in einer Gesellschaft, in der ( fast) jeder nach seiner Fasson glücklich werden darf...


    Egal ob behindert oder nicht, jeder Mensch soll sein Leben so gestalten können wie er will. Bei Wahlfreiheit und fairen Wettbewerbsbedingungen wird in individuelle und kundenorientiertes Angebot entstehen mit der Möglichkeit "eine ganz einmalige"Lösung für genau nur einen Menschen zu gestalten - so wie bei Menschen ohne Behinderung auch!



    leider sehe ich aber noch nirgends ernsthafte Bemühungen der klassischen Träger sich in diese Richtung ernsthaft und energisch von sich aus zu entwickeln und die notwendigen Rahmenbedingungen von der Politik dafür auch aktiv einzufordern...


    so aber ich bin jetzt endgültig draussen, , euch weiter eine gute Diskussion und grüße

    Schöne Grüße von Birgit, Mama vom

    • "Zwerg", geboren 2000 mit Tris21 und 'ner Reihe von Zusatzdiagnosen, gsd trotzdem topfit und zuckersüß
    • "Großen" ,gsd genauso topfit und zuckersüß (lässt sich aber leider seit längerem nur noch von wesentlich jüngeren Frauen knuddeln)

    3 Mal editiert, zuletzt von Birgit A ()

  • Ich finde die Diskussion auch eher entspannt , Dario , Deine Argumente sind ja auch bekannt. Aber es ist schon interessant , das der Blick und die Einschätzung subjektiv und von den eigenen Erfahrungen geprägt ist.


    Birgit A , die Verwurstung hat nun mal ökonomisch Vorrang. Ich sehe auch nicht, das viele ganz normale Leute ihr Leben so wie sie es möchten gestalten können.
    Sparzwang und Ökonomisierung fressen doch im Grunde alle Bereiche an.

  • Kann es sein, das sich bei Inklusion so viel um das Thema Schule dreht, weil alle anderen Bereiche nur die Menschen betrifft, die gar nichts anderes kennen, sich damit auch nichts anderes vorstellen können?


    Was Dagmar sagt finde ich auch wichtig. Es ist wirklich so, das auch nicht behinderte Menschen nicht so viel Wahlfreiheit haben, wie man manchmal denkt. Ich sehe da aber trotzdem noch viel mehr Freiheit als es die Menschen mit Behinderung haben.
    Ich glaube Inklusion würde letztendlich dann ja auch den nicht behinderten Menschen zu gute kommen, wenn durch die Inklusion mehr Wahlfreiheit etc. für alle geschaffen werden würde.

  • Ich persönlich glaube, dass Inklusion noch am ehesten im Freizeitbereich gelingen kann, dort habe ich selbst einige positive Beispiele erlebt. Im Schachsport z.B. ist es gang und gäbe, dass unterschiedlichste Menschen (alt und jung, behindert oder nicht-behindert) gleichberechtigt und respektvoll miteinander umgehen, dort funktioniert das durchaus. Vielleicht deshalb, weil im Freizeitbereich kein Druck und kein Zwang dahinterstehen, weil keiner etwas zu verlieren hat und die Menschen deshalb entspannter und offener miteinander umgehen können.


    Ob Inklusion auch in Schule und Berufsleben vollständig gelingen kann, da bin ich nach wie vor skeptisch, denn Schule und Beruf sind die beiden Lebensbereiche, die am stärksten von Leistungsdruck, von Stress und Konkurrenzdenken durchzogen sind.


    Mit 17 Jahren musste ich das Gymnasium abbrechen kam ich für zwei Jahre stationär in die KJP, wo man mir ganz klar davon abgeraten hat, wieder auf ein Gymnasium zurückzugehen. Nicht, weil es mir an Intelligenz fehlt, sondern weil ich dem Stress und den sozialen Anforderungen nicht gewachsen wäre; eine erneute Lebenskrise wäre da vorprogrammiert. In der KJP bekam ich eine zeitlang Hausunterricht durch Referendare, die von einem örtlichen Gymnasium extra dafür abgestellt wurde. Diese Referendare waren alle sehr nett, kamen aber auch zu der Einschätzung, dass sie sich kaum vorstellen konnten, dass ich mit meinen Schwierigkeiten jemals auf eine normale Schule zurückgehe.


    Ich fand diese Einschätzung einerseits bitter, andererseits war ich alt genug, um zu erkennen, dass sie nicht diskriminierend gemeint war (oder gegen meine Menschenrechte), sondern fürsorglich, um mich vor erneuter Überforderung zu schützen. Eine nochmalige Lebenskrise (womöglich mit erneutem Psychiatrie-Aufenthalt) wollte ich ja selbst nicht, also habe ich mir schlussendlich selbst gesagt" Okay, die Welt da draußen ist in vielen Bereichen noch eine Überforderung für mich, also muss ich notgedrungen einen anderen Weg gehen!" Stattdessen hat man mich in ein geschütztes Berufsbildungswerk für junge Menschen mit Behinderung geschickt. Auch dort wollte man mich schlussendlich nicht haben (erst viele Jahre später konnte ich überhaupt eine Ausbildung machen), aber das ist ein anderes Thema.


    Tatsache bleibt, dass ich den Anforderungen einer normalen Schule oder des ersten Arbeitsmarktes zur damaligen Zeit (1990-1992) nicht gewachsen war. Deshalb habe ich es nie als Diskriminierung oder Menschenrechtsverletzung gesehen, dass man mir davon abgeraten hat, denn genau das bedeutet für mich Inklusion: Behinderte Menschen vor Überforderungssituationen zu schützen, in denen sie hoffnungslos untergehen und zusammenbrechen - und stattdessen zu überlegen, was es an geeigneten Fördermöglichkeiten gibt, wo man als behinderter Mensch eben nicht überfordert oder ausgrenzt wird. Das kann für mich auch bedeuten, dass man einen behinderten Menschen ein zeitlang vor der "Normalität" schützen muss (Regelschule oder erster Arbeitsmarkt) , so wie man es mit mir früher auch getan hat. Später war ich dann bereit, mich in ganz kleinen Schritten doch noch bis in den ersten Arbeitsmarkt "vorzukämpfen", aber als junger Erwachsener konnte ich das noch nicht. Deshalb war und bin ich dankbar, dass es damals bestimmte Schutzräume für mich gab.


    Im Freizeitbereich war ich schon während meiner Zeit in der KJP so weit, dass ich mir mal probeweise einen „normalen“ Schachverein oder einen „normalen“ Sportverein“ ansehen konnte. Dazu hat man mich in der KJP ausdrücklich ermutigt und es hat mir schlussendlich auch besser gefallen, als ich befürchtet hatte.. In Sachen Schule und Beruf war ich dagegen noch nicht so weit, dass ich mir die „Normalität“ zutrauen konnte, das kam erst später.


    Deshalb ich nach meiner eigenen Erfahrung sagen: Inklusion ja, aber nur solange man der „Welt da draußen“ auch gewachsen ist, ansonsten macht es keinen Sinn und geht nur nach hinten los!

  • Hallo,


    Zitat von Dario

    Ich persönlich glaube, dass Inklusion noch am ehesten im Freizeitbereich gelingen kann ... dort funktioniert das durchaus. Vielleicht deshalb, weil im Freizeitbereich kein Druck und kein Zwang dahinterstehen, weil keiner etwas zu verlieren hat und die Menschen deshalb entspannter und offener miteinander umgehen können.


    Ob Inklusion auch in Schule und Berufsleben vollständig gelingen kann, da bin ich nach wie vor skeptisch, denn Schule und Beruf sind die beiden Lebensbereiche, die am stärksten von Leistungsdruck, von Stress und Konkurrenzdenken durchzogen sind.

    Dario - das ist die Verwechslung von Ursache und Wirkung. Durch echte inklusive Konzepte werden eben auch Schulen (und irgendwann in Folge auch Arbeit) zu Orten, in denen es NICHT vorrangig um Druck und Leistung geht. Zu ECHTEN Lernorten. Menschen lernen ohne Druck und Leistungsvergleich viel effektiver, und stressfreier.


    ich bin ein bisschen müde geworden, was das forumsmäßige Diskutieren über Inklusion betrifft.
    Natürlich muss man auch drüber reden.
    Aber vor allem muss man mal MACHEN.


    Ihr kennt sicher den Spruch:
    Alle sagten "Das geht nicht!" - Dann kam einer, der wusste das nicht, und hat es einfach gemacht.


    So ist das mit der Inklusion.
    Die Einwände haben allesamt vor allem damit zu tun, dass man sich vieles noch nicht vorstellen kann, und dass im alten System das Neue nicht funktioniert. Das ist der subjektive Eindruck vieler, die eben noch nicht erlebt haben, wie es doch geht.
    In einem Schulsystem zb, dass ja nicht nur Menschen mit Behinderung separiert, sondern in dem Separierung/Trennung nach normiert abgefragter Leistungsfähigkeit ein bestimmendes Leitmotiv ist, gibt es natürlich Anpassungsprobleme mit der Inklusion ...


    Warum genau soll ein Mensch mit geistiger Behinderung nicht mit einen "durchschnittlich" (was ist das eigentlich?) und einem hochbegabten Menschen lernen können?
    Seit nicht mal 200 Jahren schicken wir unsere Kinder sortiert nach Jahrgängen, also in homogenen Gruppen, in die Schule. Hunderttausende Jahre davor war kindliches Lernen aber eben durch Unterschiedlichkeit wesentlich mitbestimmt. Lernen von den Älteren, Lernen von jemandem, der etwas anders macht, ...
    Das ewige Vergleichen innerhalb einer nur scheinbar homogenen Gruppe fördert die Ellbogenmentalität, und stellt die eigenen Defizite heraus.
    Offenes, freies Lernen ist das nicht. So bleiben die meisten unter ihren Möglichkeiten.


    Menschen sind Gewohnheitstiere, auch im Denken. Es fällt schwer, eingefahrenes Denken zu durchbrechen und neue Perspektiven zu wagen. Noch schwerer fällt das, wenn man in Strukturen groß geworden ist, wo nicht Vielfalt, sondern Homogenität als Ideal das Lernen prägt. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz ...



    Wir müssen also ganz dringend endlich anfangen. Mit dem Umdenken. Mit jedem Kind, bei dem es klappt, lernen eine Menge Menschen drumrum, dass Vielfalt eine Chance ist. Und fragen sich vielleicht: "Wieso haben wir das nicht früher gemacht? Wo war nochmal das Problem?"

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

    5 Mal editiert, zuletzt von Enscha ()

  • Ich persönlich glaube, dass Inklusion noch am ehesten im Freizeitbereich gelingen kann,


    Dario, du wirst dich sicher an die Diskussion erinnern, in der man geistig behinderten Menschen schon einen lapidaren Kinobesuch verwehren wollte, weil sie zur falschen Zeit an falscher Stelle lachen oder lautieren.
    So werden behinderte Menschen immer wieder an den Rand gedrängt und die Teilhabe wird verwehrt, weil immer irgendjemand etwas gegen Inklusion hat, oder sich gestört fühlt.
    Von daher bin ich Enschas Meinung, dass wir einfach mal machen müssen, anstatt immer nur zu bemängeln, was nicht geht.
    Hast du dir mal den Link angeschaut? Inklusion am Gymnasium:
    http://www.jakobmuthpreis.de/p…scholl-gymnasium-pulheim/


    Und ich finde es wirklich eine Schande, dass man dir das Abitur verwehrt hat, obwohl du durchaus in der Lage gewesen wärst das Abitur zu schaffen. Das ist sehr wohl Diskriminierung.
    Man hätte dir auch Hilfen und Unterstützung gewähren können.


    Andere Länder leben es uns bereits vor, wie Inklusion funktionieren kann. Warum sollte in Deutschland nicht funktionieren, was seit Jahrzehnten z.B. in Südtirol funktioniert?
    Das soll mir mal einer erklären.
    In Südtirol greift das Analphabetentum bei Nichtbehinderten schließlich auch nicht seuchenhaft um sich, obwohl nichtbehinderte Kinder mit behinderten Kindern GEMEINSAM lernen.
    Also irgendwie scheint Inklusion die Kinder nicht zu verdummen und auszubremsen, was ja auch immer ein beliebtes Argument gegen Inklusion ist.

  • Und ich finde es wirklich eine Schande, dass man dir das Abitur verwehrt hat, obwohl du durchaus in der Lage gewesen wärst das Abitur zu schaffen. Das ist sehr wohl Diskriminierung.


    Es freut mich dass, du das so siehst und in dieser damals so schwierigen Situation an mich geglaubt hättest. Leider gab es diese Hilfen vor 25,26 Jahren noch nicht, die ich gebraucht hätte. Von daher war es wohl wirklich so, dass ich im System der damaligen Zeit keine Chance hatte.


    Dazu kommt, dass ich mir ja nach meinem Scheitern auf dem Gymnasium selbst nichts mehr zutraute und die KJP, so schwer die Zeit auch war, durchaus als Schonraum und Entlastung erlebt hatte. Ich glaube nicht, dass ich in meiner damaligen Verfassung so etwas wie Inklusion gewollt hätte, weil ich mit der "Welt da draußen" nicht mehr zu tun haben wollte, als unbedingt nötig. Inklusion kann man niemandem aufzwingen, dazu muss man innerlich bereit sein und sich das selbst zutrauen, sonst bringt es nichts!


    Den Link zum Geschiwster-Scholl-Gymnasium habe ich mir angesehen. Das Konzept finde ich sehr ehrenwert und glaube auch, dass Inklusion in einem kleinen, überschaubaren Mikrokosmos funktionieren kann, wenn die Bedingungen ideal sind, wenn alle davon überzeugt sind und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Allerdings kann ich auf der Homepage des Gymnasiusm nicht erkennen, wie der Unterichtsalltag konkret ausseiht, in welchen Fächern die Schüler z.B. gemeinsam unterrichtet werden und wo möglicherweise doch nach Leistungsstand separiert wird.

  • Dario, ich bin sicher, dein Lebensweg wäre viel einfacher verlaufen, wärst du inklusiv beschult worden. Ich meine nicht die Inklusion, die du auf dem Gymnasium erfahren hast, sondern eine wirklich professionell umgesetzte Inklusion. Dann hätten du und deine Familie nämlich von Anfang an Hilfen und Verständnis erhalten.
    Dein Leben nahm doch letztendlich erst eine positive Wendung mit der Diagnose und mit den daraus einhergehenden Hilfen.
    Vorher warst du völlig auf dich alleine gestellt. Fernab der Gesellschaft konnte man dir im Heim und der Psychiatrie Schaden zufügen.


    Die Inklusion bietet auch einen gewissen Schutz vor Misshandlungen und schwarzer Pädagogik, da behinderte Menschen unter den Augen der Gesellschaft leben und nicht fernab in Heimen und Sondereinrichtungen wo niemand weiß, was dort passiert.

  • Bei der ganzen Diskussion fällt mir gerade eine Situation in meinem Abschlussjahr ein. Oder war´s das Jahr vorher? Weiß ich gerade nicht mehr genau...
    Mir ging es mal wieder nicht gut und ich wollte am liebsten einfach nach Hause fahren. Ich bin häufig nach Hause gegangen zu dem Zeitpunkt, weil ich psychisch einfach sehr am Ende war.... Tja, meine Lehrerin wollte mich nicht nach Hause lassen. Sie hat mich motiviert da zu bleiben und hat gemeint, sie könnte mich einfach mit in ihre nächste Klasse nehmen. 2 Stunden Sportvertretung in einer 1. oder 2. Klasse, als kleine Auszeit, bevor ich dann nach der Pause wieder in meine eigene Klasse zurück gegangen bin.
    Das finde ich, ist auch Inklusion. Hätte ich nicht spontan diese Möglichkeit gehabt, ich hätte nach Hause gehen müssen oder wäre in der Schule zusammen gebrochen.

  • Ich bin der Meinung, dass die Inklusion das Recht beinhaltet an allen Dingen teil zu nehmen, unabhängig von "Behinderungen".


    In der Schule sehe ich sehr große Probleme, dass oft noch nicht inkludierend gearbeitet werden konnte, da der bundesweite Lehrermangel und auch Mangel an Sonderpädagogen den Schulen gar nicht die Zeit gibt, funktionierende Inklusionsmöglichkeiten zu erarbeiten und um zu setzen.


    An unserer Schule ist ein wildes hin- und her, Direktorin ist die halbe Woche abkommandiert, muss dann irgendwie mit der verbleibenden halben Woche auskommen während ein Direktor einer anderen Schule, ebenfalls abkommandiert, an unserer Schule auch stundenweise unterrichtet.


    Also sieht Inklusion aktuell so aus - es ist gut, dass mein Kind da ist, es wird inkludiert, der Anspruch auf Anpassung beinhaltet lediglich, nicht übermäßig den Unterricht zu stören. In Überlastungssituationen sind andere Räume verfügbar, dort kann er wählen zwischen aus ruhen oder zu arbeiten. Er darf auch, auf den Schulhof gehen und dann nach einer Pause in den Unterricht zurück kehren.


    Er bekommt, angepasst an seinem Leistungsvermögen entweder das gleiche oder anderes Lernmaterial. Dennoch ist er mit dabei, er wird auf Unternehmungen mit genommen und nimmt auch an Klassenfahrten teil.


    Ein Assistent ist für ihn da. Doch jetzt was inklusionsfreundlicher wäre, kleinere Klassen, mehr Personal, bessere Ausstattung (Arbeitsplätze, Computer, Tablets), dafür fehlen leider die Gelder.


    Es müsste in die Bildung viel mehr Geld gesteckt werden, nicht nur in Personal, sondern auch in der Ausstattung, die ist oft doch schon sehr veraltet und dadurch kann vieles auch nicht geleistet werden, obwohl der Rechtsanspruch bestünde und auch diese Hilfsmittel bereits auch Bestandteile der zu beantragenden Nachteilsausgleiche sind, kennen sich viele Schulen nicht aus und es gibt noch immer Probleme.

  • Ich glaube nicht, dass ich in meiner damaligen Verfassung so etwas wie Inklusion gewollt hätte, weil ich mit der "Welt da draußen" nicht mehr zu tun haben wollte,


    Dario, was hättest du dir in deiner damaligen Situation gewünscht? Lasse dich doch mal auf den Gedanken ein, wie für dich eine gelungene Inklusion ausgesehen hätte, damit dir schlimme Erfahrungen erspart geblieben wären. An diesem Punkt können wir dann weiter anknüpfen.
    Vermutlich hätte dir schon ein Schulhelfer in deiner Situation geholfen.


    Sicher gab dir die Aussonderung in gewisser Weise damals Schutz, den du so dringend brauchtest, weil du den Bedingungen hilflos ausgeliefert warst. Daher kann ich schon verstehen, dass du dieses System verteidigst, aber man hätte dir viel Leid ersparen können, wenn man dir innerhalb des Systems ausreichend Schutz und Hilfen gewährt hätte.


    Die Inklusion wird an vielen Stellen grottenhaft schlecht umgesetzt. Ich kann nachvollziehen, dass viele Eltern daher für den Erhalt der Förderschulen plädieren.
    Es ist doch klar, dass die schlechte Umsetzung viele Menschen verunsichert und sie der Inklusion dann ablehnend gegenüberstehen. Ich wüsste auch nicht, ob mein Sohn diesen Bedingungen gewachsen wäre. Die Bedingungen sind an manchen Stellen sicher besser als damals, aber eben noch nicht ausreichend. Ich bin froh, dass die Schulzeit hinter uns liegt.


    Schlimm finde ich aber, dass viele Leute nicht gewillt sind, sich näher mit dem Thema zu befassen und sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was Inklusion eigentlich bedeutet.
    Diese Horrorszenarien von störenden, pinkelnden, beißenden, umherrennenden, lautierenden Behinderten, die die Klassen oder andere Bereiche überfluten und von Menschen, die dadurch ausgebremst werden, gehen mir gehörig gegen den Strich.


    Ich bin aber ganz fest davon überzeugt, dass eine richtig gut durchgeführte Inklusion eine Gesellschaft menschlicher macht und ALLE Menschen von ihr profitieren, daher setze ich mich FÜR die Inklusion in der Schule und in der Gesellschaft ein.


    Meine Frage: Wie sieht für euch eine gelungene Inklusion aus? Diese Frage bezieht sich nicht nur auf die Schule, sondern auf alle Bereiche, also auch Beruf und Freizeit.

  • Also sieht Inklusion aktuell so aus - es ist gut, dass mein Kind da ist, es wird inkludiert, der Anspruch auf Anpassung beinhaltet lediglich, nicht übermäßig den Unterricht zu stören. In Überlastungssituationen sind andere Räume verfügbar, dort kann er wählen zwischen aus ruhen oder zu arbeiten. Er darf auch, auf den Schulhof gehen und dann nach einer Pause in den Unterricht zurück kehren.


    Er bekommt, angepasst an seinem Leistungsvermögen entweder das gleiche oder anderes Lernmaterial. Dennoch ist er mit dabei, er wird auf Unternehmungen mit genommen und nimmt auch an Klassenfahrten teil.


    Ein Assistent ist für ihn da.


    Das hört sich so an, als ob eure Schule den Willen hat, Inklusion umzusetzen. Sie hat sich auf den Weg gemacht, aber es fehlen leider Gelder, um die Inklusion zu perfektionieren.
    Gibt es an eurer Schule auch Kinder, die schwerer betroffen sind als dein Sohn?

  • Dario, was hättest du dir in deiner damaligen Situation gewünscht? Lasse dich doch mal auf den Gedanken ein, wie für dich eine gelungene Inklusion ausgesehen hätte, damit dir schlimme Erfahrungen erspart geblieben wären. An diesem Punkt können wir dann weiter anknüpfen.
    Vermutlich hätte dir schon ein Schulhelfer in deiner Situation geholfen.


    Hallo Ella,


    ich danke dir, dass du dir über meine persönliche Geschichte so viele Gedanken machst, wie man mir besser hätte helfen können.


    Ich glaube, dass Inklusion (wenn es sie vor 40 Jahren schon gegeben hätte) bei mir sehr früh hätte ansetzen müssen, spätestens in der Grundschule oder besser noch im Kindergarten. Dann wären mir viele Fehlentwicklungen wahrscheinlich erspart geblieben, da gebe ich dir recht. Vielleicht hätte ich dann auch nie auf eine Sonderschule gehen müssen, wenn ich von Anfang an die richtigen Hilfen bekommen hätte.


    Als die wirklichen Lebenskrisen eintraten (vor allem auf dem Gymnasium) war es dagegen schon zu spät. Da gab es wirklich nur noch die Möglichkeit, mich aus dieser akuten Überforderungssituation herauszunehmen und mir ganz behutsam, Schritt für Schritt, den Weg zurück in ein neues Leben zu ermöglichen. Deshalb stehe ich immer noch zu meiner Aussage, dass die Schonräume in der KJP, im Berufsbildungswerk usw. damals gebraucht habe.


    Ich halte die "echte Inklusion" (wie es immer so schön heißt) für eine Utopie, von der wir auch heute noch weit entfernt sind. Auch heute liest man (z.B. in Elternforen) noch viele Berichte von Kindern (gerade auch Autisten), die in der Regelschule massiv überfordert sind, die schlimme Schulängste entwickeln, die dann irgendwann (ähnlich wie ich damals) psychisch zusammenbrechen und stationär behandelt werden müssen, weil die Situation so sehr an die Wand gefahren ist, dass nichts anderes mehr geht - und dass alles passiert auch heute noch in Zeiten der Inklusion. Deshalb bleibe ich skeptisch, ob Inklusion die allumfassende Lösung für alle erdenklichen Probleme sein kann.


    So lange die Idee der Inklusion nicht wirklich konsequent und überzeugend umgesetzt wird (nicht nur als halbherziges Sparmodell) halte ich es auch für verantwortungslos, die Förder- bzw. Sonderschulen komplett abzuschaffen. Im Gegenteil: Ich verstehe nicht, warum die Sonderschulen heute zu einer Art Sündenbock gemacht werden; als ein Synonym für Ausgrenzung und Diskriminierung. Es ist mir zu einfach gedacht, wenn es sinngemäß immer heißt:


    "Nun lasst uns schleunigst alle Sonderschulen abschaffen, und schon haben wir die perfekte inklusive Gesellschaft, in der alle nur noch glücklich sind!"


    So naiv kann niemand sein, dass er ernsthaft glaubt, es wäre so einfach! Vielleicht werden die Sonderschulen in der hypothetischen Zukunft einer wirklich inklusiven Gesellschaft tatsächlich überflüssig, das will ich nicht bestreiten. Bis dahin möchte ich die Dinge aber gerne pragmatisch sehen und plädiere dafür, die Sonderschulen für eine großzügig angelegte Übergangszeit (mindestens noch etwa 20 Jahre) zu erhalten, denn noch ist diese Gesellschaft, noch ist die Inklusion nicht so weit, dass wir ganz ohne Sonderschulen auskommen. Ein bisschen mehr Realismus würde ich mir da von manchen Seiten schon wünschen.

  • Hallo Ella,


    ja an unserer Schule gibt es alles, egal ob im Rollstuhl, oder Förderschwerpunkt Lernen oder geistige Entwicklung. Doch sind nicht alle Eltern zufrieden, es kommt auch immer auf die Lehrer an. Die Klassenlehrerin und die Sonderpädagogin meines Sohnes sind sehr engagiert, akzeptieren allerdings uns Eltern auch und es gibt nicht diese Kraftverschwendung des Missionierens.

  • Zitat

    Die Freiheit der Wahl


    Die Freiheit der Wahl Behinderte haben nicht immer die Wahl, wenn es um ihre Lebensumstände geht. Sie werden meist in speziellen Einrichtungen betreut und dort Wohnheimen und Arbeitsstellen in Werkstätten zugewiesen. Oft scheint das kaum anders möglich zu sein, schon weil viele je nach Behinderungsgrad gar nicht in der Lage sind, ihre Wünsche adäquat zu äußern. Doch die Selbstbestimmung ist ein hohes Gut. Seit 2008 ist sie in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verankert, die auch die Bundesrepublik unterzeichnet hat. Artikel 19 besagt, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht darauf haben, mit den gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Doch was sind die Wünsche Behinderter? Und wie kann man sie herausfinden, wenn ein Behinderter so stark beeinträchtigt ist, dass er sie gar nicht äußern kann? [...]


    Quelle und kompletter Text: bnn

    Sie ist anders als die andern, und ihre Sprache geht weit an uns vorbei.
    Doch wenn sie lächelt, lächelt sie mit Leichtigkeit dir dein ganzes Herz entzwei.

    'Sommerkind' von Wortfront


    Viele Grüße
    Inge

    Einmal editiert, zuletzt von Inge ()