Deeskalationstechniken und Gewaltprävention im Umgang mit behinderten Menschen

  • Der Umgang mit Gewalt und Aggressionen ist ja immer wieder ein Thema. Leider gehören Deeskalationstechniken und Gewaltprävention oft nicht nicht zu den Grundkenntnissen des Personals im pädagogischen und pflegerischen Bereich.
    Immer wieder kommt es daher zu unschönen und unmenschlichen Situationen z.B. Verletzungen, Fixierungen, dem Einsperren in Nebenräumen und dem Ruhigstellen mit Medikamenten.


    Sicher lassen sich Eskalationen nicht immer zu 100% vermeiden, aber die Anzahl der Eskalationen lässt sich mit geeigneten Maßnahmen senken.
    Hier ein Link:
    http://www.gewalt-pflege.de/pr…gewalt-in-der-pflege.html


    Dagmar, du hattest vor einiger Zeit an anderer Stelle mal eine Seite mit Präventionsmaßnahmen verlinkt.
    Falls du das hier liest und dich erinnern kannst, wäre es schön, wenn du diese Seite hier auch verlinken könntest. ^^

  • Danke, dass Ihr das hier ansprecht und verlinkt.


    Mich beschäftigt grade mal wieder ein Teilaspekt davon, nämlich die erste Stufe der Gewalt: immer wieder erlebe ich in Einrichtungen (zb Förderschule), dass Einzelpersonen anstatt Deeskalation zu betreiben, die Spirale erst anschieben.


    In einer Klasse mit lauter geistig behinderten Kindern macht naheliegenderweise dauert einer etwas "falsch" in solchen Augen, es gibt also durchgängig was zu meckern, und in der Klasse entsteht ein sehr ungutes Klima.
    Das erscheint erstmal vielen als nix schlimmes, und bei Einspruch der Mutter kommen dann Antworten in denen zb "nicht in Watte packen" vorkommt, oder "selber nicht aus Zucker", oder "sich mal dran gewöhnen", "muss er eben durch", "geht nicht anders". (Es geht wohl anders, die Mehrzahl der pädagogischen Betreuer beherrscht das auch). Mütter lassen sich damit abspeisen, viele andere sehen das leider selber so.


    Vielen Kindern merkt man das wohl so direkt nicht an. Meinem schon. Ich habe dann zuhause ein Kind, das von einer Woche zur anderen in quasi formalisierte Schimpftiraden ausbricht, und mich maßregelt für Nichtigkeiten oder erfundene Anlässe. Daran merke ich, wie sehr ihn das beeinträchtigt, wieviel Energie ihm das raubt.


    Ich sammele also hier mal aus den Links die entsprechenden Fachwörter/Stichwörter ein, denn nach meiner Erfahrung ist es am erfolgreichsten, die fachliche Ebene bei den Pädagogen anzusprechen.


    Wie geht Ihr mit sowas um?

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, und eine komische."

  • Hallo Enscha ,


    das was Du beschreibst würde ich jetzt so die Defizitbrille nennen.
    Es ist jedenfalls Lebensqualität beeinträchtigend , wenn man auf die Defizitbrille stößt .
    Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht , das man Leute , die die Brille tragen , überzeugen kann , die abzunehmen.
    Die haben das zugehörige Menschenbild internalisiert , und empfinden sich wahrscheinlich selber defizitär , verdrängen das und wälzen es auf andere ab.
    Manchmal ist so eine Defizitbrille auch irgendwelchen Überforderungen geschuldet , das welche die ganze Zeit " müssen" , obwohl sie lieber was anderes machen würden.
    Ich denke , man muss auf jedem Fall mit sich selber im reinen sein , um die " Stärken stärken " Brille aufzusetzen.
    Jetzt mal so dahin philosophiert............. :icon_rolleyes

  • Da hast Du wohl recht, Dagmar. Ich glaube auch selber nicht, jemanden mit Defizitbrille umdrehen zu können. Aber ich kann versuchen, zwischen solche Leute und meinem Sohn Puffer zu bringen. ZB dass er da öfter raus kann, dass der Fachlehrer mehr auf die SB hört, ...
    und dann gibt es ja noch die Leute, die eigentlich gar nicht grundverkehrt sind, aber halt arg resolut und laut - da ist auch kein Kraut gewachsen ...

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  • Ich deeskaliere. Noch mehr als früher, ich hab das von der Ergo gelernt. Ich werde seeeehr leise, ich baue mich NICHT vor ihm auf, und weil es ihm ja um einen von IHM kontrollierten Schimpf-Dialog geht, versuche ich, mich nicht drauf festlegen zu lassen. Das ist gar nicht so einfach. :P
    Natürlich muss er auch lernen, die Grenzen zu wahren.


    Eigentlich kriegen wir das ganz gut hin zuhause, finde ich jedenfalls. Für ihn ist es halt zusätzlich belastend... Morgens zB waren wir sonst immer sehr ruhig und friedlich zusammen, da fängt der Tag schon viel besser an.


    was machst Du so als Puffer, Dagmar?

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  • Hallo Enscha , ja, Lebensqualität einschränkend und zusätzlich belastend , das ganze :(
    Aber erstaunlich , das Dein Sohn nicht dort vor Ort "puffert".
    Frea würde jedenfalls vor Ort "puffern" was das Zeug hält.
    Allerdings macht sie das auch erst , seit sie c.a. 20 Jahre alt ist.
    Vorher hätte sie sonst viel geweint in so einem Klima .

  • Naja, er kompensiert inzwischen in der Schule ganz gut. Das ist einerseits erfreulich, weil er viel mehr lernt, und weil es zeigt, dass er mehr Soziales wahrnimmt, und da auch bestehen möchte. Andererseits bekommen wir damit eben die Problematik die ich von Aspergern kenne: Zuhause flippt das Kind, auswärts schluckt es zuviel.
    Ist halt auch schade, wenn es eigentlich gut läuft in der Einrichtung, und dann wegen einer oder zwei pädagogischen Randfiguren alles ausgebremst wird ...



    Und zu einem professionellen Ansatz gehört ein moderner pädagogischer Ansatz, also ein verstehender, ja wohl dazu.
    Ich weiß, die Bezahlung ist teils schlecht, das Personal oft überlastet, aber man sollte doch den Druck nach oben weiter geben, nicht nach unten ...

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  • Es ist immer einfacher, die Dinge in Ruhe mit Ruhe anzugehen. Aber es gibt Situationen, da kommt eins zum anderen und es eskaliert. Geht uns allen so.


    finchenmum, meine Erfahrung ist, dass sich mit Deeskalationsmaßnahmen viel Konflikte vermeiden lassen. Meist entstehen Konflikte ja nur, weil man sich selbst in diese Spirale hineingibt.


    Wenn ich Elternberichte lese, die z.B. Konflikte in der Schule beschreiben, kann man feststellen, dass Lehrer, Betreuer, Erzieher und Schulbegleiter oftmals die Situation erst recht zum Explodieren bringen. Das mag vielleicht meist kein böser Wille sein, aber das macht die Situation ja nicht besser.
    Leider ist es so, dass Pädagogen und anderes Personal oft nicht genügend in diesem Bereich geschult wurden. In der Regel muss man sich fort- und weiterbilden, um Deeskalationstechniken zu erlernen und das machen leider nicht alle.


    Eine goldene Regel in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung ist: Das Verhalten NICHT persönlich nehmen! Wenn man diese Regel beherrscht, ist schon viel gewonnen.


    Dagmar, danke für die weiteren Links.


  • Ist es nicht menschlich, wenn Situationen nicht immer pädagogisch wertvoll gelöst werden können. Wenn Du eine Mutter bist, die von sich sagen kann, ihr ist noch nie der Kragen geplatzt, dann herzlichen Glückwunsch. Ich kann das nicht von mir behaupten. Ich bemühe mich um Harmonie, bin aber auch nur ein Mensch. Meine Kinder haben auch ihren eigenen Kopf und es gelingt mir Situationen zu beruhigen. Das übrigens gelingt auch meinen Kindern. Aber es kracht auch hin und wieder. Das gehört zum Leben dazu.

  • Aber es kracht auch hin und wieder. Das gehört zum Leben dazu.


    finchenmum, na klar gibt es hier auch mal Streit, aber es gibt Unterschiede zwischen einem Streit bzw. Krach und einer Eskalation. Ich denke, es gibt auf dieser Welt keinen einzigen Menschen, der noch nie einen Streit hatte. Man muss aber erkennen, wann man auf dem Weg zu einer Eskalation ist und rechtzeitig Deeskalationsmaßnahmen anwenden.
    Im Umgang mit behinderten Menschen ist das enorm wichtig. Man trägt in diesem Bereich eine große Verantwortung und da setze ich solches Wissen eigentlich voraus.


  • finchenmum, na klar gibt es hier auch mal Streit, aber es gibt Unterschiede zwischen einem Streit bzw. Krach und einer Eskalation. Ich denke, es gibt auf dieser Welt keinen einzigen Menschen, der noch nie einen Streit hatte. Man muss aber erkennen, wann man auf dem Weg zu einer Eskalation ist und rechtzeitig Deeskalationsmaßnahmen anwenden.
    Im Umgang mit behinderten Menschen ist das enorm wichtig. Man trägt in diesem Bereich eine große Verantwortung und da setze ich solches Wissen eigentlich voraus.


    Ich bin um um Deeskalation und Harmonie bemüht. Es ist etwas anderes, wenn die Hutschnur grundsätzlich platzt. Wenn Personal ein gutes Gefühl entwickelt, ist das schon die halbe Miete.

  • Eben WEIL wir alle nur Menschen sind, und jeder seine Schwächen hat, wir Eltern, und die Profis auch, ist es so wichtig, dass es eine gute Ausbildung, Fortbildung und Supervision zur Gewaltprävention und zur Deeskalation gibt.
    Da kann man eine Menge tun. Diese Reflexionen, Deeskalationstechniken, strukturellen Maßnahmen sind sehr erfolgreich und machen eben den Unterschied, neben einem guten Arbeitsklima, wie es in einer Einrichtung läuft. Dass es da riesige Unterschiede gibt, wissen wir alle.


    ich habe ja ein Kind mit Selbst- uñd Fremdgefährdungspotential, ich habe mir über die Jahre viel abgeschaut von guten Pädagogen und von unserer Ergo, ich habe reflektiert und gelesen. Und ich sehe, dass das einen großen Unterschied macht. Sicherlich gibt es hier und da auch einzelne Naturtalente, die das auch so hinkriegen, das sind dann aber auch Naturtalente in Menschenkenntnis und Verhaltensanalyse.
    Bei Profis - die ja nochmal ganz andere Anforderungen haben - reicht "eine gute Nase", ein "guter Draht" und guter Wille alleine wohl kaum.

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  • Moin ,


    ich komme nochmal auf die Defizitbrille zurück.
    Wenn einer die aufhat ,dann sieht er die Fehler immer nur bei anderen und versucht die eigenen Anteile an Problemen unter den Tisch zu kehren .
    Aber erst bei einer gründlichen Fehleranalyse bei sich selbst( und anderen) und der Reflexion kann man dann auch konstruktive Vorgehensweisen entwickeln.
    Dabei geht es ja dann auch nicht darum , irgendwen bloßzustellen oder nieder zu machen , sondern darum geeignetere Ideen zu entwickeln.
    Manchmal wünschen sich Leute ja auch Pauschalrezepte , ich würde nicht ausschließen, das es Fachleute gibt , die ein sehr hohes Niveau an Strukturen und Methoden entwickelt haben und die dann auch reibungslos anwenden können , aber der Austausch und die Reflexion ermöglichen immer auch eine Rückmeldung und ein Korrektiv .
    Es gibt Fachleute , die das ungemein schätzen.
    @ Finchens Mum ,


    Empathie ist die halbe Miete , aber Pädagogik ist zum großen Teil auch echtes Handwerk , und die Vorgehensweisen fallen nicht vom Himmel :)
    Ich denke , es geht auch nicht darum , Fehler auszuschließen, sondern wenn welche passieren , die auch zuzugeben.
    Das geht ja auch in der völlig normalen Erziehung. Was anderes ist es schon , wenn Klientel oder Kind auf ganz bestimmte Dinge angewiesen ist , da läuft ja dann teilweise für Eltern zusätzlich Beratung und Therapie , um Konfliktpotential zu reduzieren.
    Oder man tauscht sich wie Enscha mit der Ergo oder erwachsenen Autisten aus , um Verständnis zu entwickeln.

  • Naja, er kompensiert inzwischen in der Schule ganz gut. Das ist einerseits erfreulich, weil er viel mehr lernt, und weil es zeigt, dass er mehr Soziales wahrnimmt, und da auch bestehen möchte. Andererseits bekommen wir damit eben die Problematik die ich von Aspergern kenne: Zuhause flippt das Kind, auswärts schluckt es zuviel.
    Ist halt auch schade, wenn es eigentlich gut läuft in der Einrichtung, und dann wegen einer oder zwei pädagogischen Randfiguren alles ausgebremst wird ...



    Und zu einem professionellen Ansatz gehört ein moderner pädagogischer Ansatz, also ein verstehender, ja wohl dazu.
    Ich weiß, die Bezahlung ist teils schlecht, das Personal oft überlastet, aber man sollte doch den Druck nach oben weiter geben, nicht nach unten ...



    Im günstigsten Fall lernen die Kinder ihre Bedürfnisse oder Kritik angemessen an den Mann oder die Frau zu bringen ( vor Ort). Bei nonverbalen Kindern oder Kindern , die da einen sehr langen Übungsweg vor sich haben, sind die Kinder dabei auf die Unterstützung der Fachkräfte und Eltern angewiesen.
    Kompensieren als einzige Möglichkeit finde ich zu kurz gedacht.

  • Zitat

    Kompensieren als einzige Möglichkeit finde ich zu kurz gedacht.

    Finde ich auch. Wir arbeiten auch dran, und er macht sich gut, aber da ist noch ein gutes Stück Weg zu gehen. Zurzeit ist er dem noch nicht gewachsen, und das hat auch mit seiner Hyperkonnektivität zu tun, er nimmt athmospärisch leider jeden Mißton, jede Emotion, jedes Genervtsein wahr, auch wenn's ihn gar nicht betrifft, kann es jedoch null einordnen. (Da ist er sicherlich zwar speziell, aber kein Einzelfall)

    Enscha - mit Hans im Glück (frühkindlicher Autismus, und Pubertät)
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