Werkstatt für behinderte Menschen - Chance oder Einbahnstraße?

  • Mein Sohn besucht die Werkstatt. Natürlich würde ich es mir wünschen, dass er im Rahmen der Inklusion auf dem 1. Arbeitsmarkt eine Chance erhalten würde, aber das liegt in weiter Ferne. Er bräuchte defintiv eine Assistenz und die Genehmigung solch einer Assistenz, gleicht derzeit einem Sechser im Lotto.


    Wir haben Glück mit unserer Werkstatt. Die Arbeit ist abwechslungsreich, die Betreuer geben sich Mühe, sind flexibel und einfallsreich. Bis auf einige Kritikpunkte sind wir wirklich zufrieden. Auch gibt es dort immer wieder Menschen, die den Absprung schaffen. Ob sie dabei dauerhaft erfolgreich sind, weiß ich natürlich nicht.
    Ich bin sehr froh, dass es Werkstätten für behinderte Menschen gibt, würde mir aber gleichzeitig auch eine Öffnung des 1.Arbeitsmarktes wünschen, sodass die Werkstatt keine Einbahnstraße mehr darstellt, sondern ein echtes Sprungbrett sein kann.


    Außerdem würde ich mir mehr Lohn für die dort tätigen Menschen wünschen.


    Ich kritisiere, dass immer mehr Menschen dem Druck auf dem 1.Arbeitsmarkt nicht mehr standhalten und in Werkstätten abgeschoben werden. Diese Menschen gehören meist in der Werkstatt zu den fittesten und produktivsten. Auch Menschen mit einer Lernbehinderung landen öfter in der Werkstatt.
    Viele behinderte Menschen - auch mein Sohn - können dann mit dem hohen Niveau nicht mehr mithalten.
    Dadurch entsteht eine große Konkurrenz, das Niveau wird immer höher und etliche behinderte Menschen landen dann recht schnell im Förderbereich der Werkstatt, weil sie dem nicht mehr gewachsen sind. Sie werden aus dem Arbeitsbereich der Werkstatt verdrängt. Ich staune immer wieder, wie viele doch recht fitte Menschen im Förderbereich landen.
    Ich finde, das ist ein großes Problem und steht dem Inklusionsgedanken völlig entgegen.


    Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
    Welche Gedanken gehen euch zu diesem Thema durch den Kopf?

  • Hallo!


    Bei mir stand das Thema Werkstatt auch im Raum. Allerdings ist die Werkstatt etwas, das ich mir für mich selber nicht vorstellen kann. Ich weiß nicht genau, was in der entsprechenden Werkstatt in der Stadt angeboten wird und auch nicht, was genau hier in der Werkstatt (die für mich nicht die richtige wäre) angeboten wird.
    Mich hat aber neben dem das ich eben nicht weiß was ich da machen soll und mir absolut nicht vorstellen kann jeden Tag immer das gleiche zu machen (vor allem praktische Dinge die mich so rein gar nicht interessieren) auch massiv abgeschreckt, das ich min. 3 Jahre in einer Werkstatt bleiben müsste. Die Möglichkeit eine Werkstatt vorher zu verlassen, weil ich mich z.B. stabilisiert habe, mehr kann etc. gibt es nicht.
    Vor ein paar Jahren hatte ich noch die Hoffnung das sich das alles schneller regeln würde und ich schneller fitter werden würde. Jetzt bin ich was das angeht zwar realistischer. Aber dennoch bietet eine Werkstatt nichts was mich überzeugen würde. Ich wollte schon immer in den sozialen Bereich (selbst als Grundschülerin) und dann irgendwas praktisches machen zu müssen... Es würde mich unglücklich machen.


    Generell denke ich, das sich der 1. Arbeitsmarkt ändern muss!!! Es ist wirklich so, das immer mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt rausfallen und in eine Werkstatt gehen. Weil Zuhause rumsitzen eben nicht gerade förderlich ist.
    Für diese Menschen (hauptsächlich psychisch Kranke) müssen einfach die Bedingungen auf dem 1. Arbeitsmarkt so geändert werden, das sie weiterhin dort arbeiten können und nicht auf Grund der zu hohen Belastung in eine Werkstatt müssen.


    Nebenbei würde der Arbeitsmarkt ja auch durch Assistenz etc. erweitert werden und mehr / neue Arbeitsplätze schaffen. Das kann letztendlich doch gar nicht schlecht sein!


    Ach.. Ich denke ebenso wie beim Thema Schule muss sich beim Thema Arbeitsmarkt vieles ändern und die Gesellschaft muss irgendwann kapieren das Wirtschaft alleine nicht ausreicht um die Gesellschaft zu versorgen (siehe z.B. der soziale Bereich oder Gesundheitswesen....).



    LG Trixi

  • Trixi, irgendeine Möglichkeit muss es doch für dich geben.
    Wenn du im sozialen Bereich arbeiten möchtest, wäre die Arbeit im Kindergarten vielleicht eine Möglichkeit. Könntest du dir das vorstellen? Es gibt ja auch verschiedene Teilzeitmodelle.


    Welche Voraussetzungen bringst du mit? Was kannst du gut? Was kannst du nicht so gut?

  • Ella, ich hab keine Ausbildung und nichts. Theoretisch würde ich mich sogar an eine Erzieherinausbildung wagen, wäre das dumme Vorjahr nicht. Auch nochmal über die Sozialassistentenausbildung hab ich nach gedacht, weil da weniger Praxis ist. Nur dummerweise kann ich das hier in Ba-Wü nicht machen. Diese Ausbildung gibt es "nur" in Hessen (es sei denn es gibt sie auch noch in weiteren Bundesländern, aber das weiß ich nicht). Kinderpflegerin wollte ich auch schon. Aber ich habe wohl keine Chance auf einen Schulplatz. Mit meinem Realschulabschluss bin ich da überqualifiziert und die Schulplätze werden lieber an Hauptschüler vergeben die eben nicht die Erzieherausbildung machen können.


    Kindergarten... Ja, da hatte ich schon Praktikas und könnte mir das auch vorstellen. Nur eben, ohne Ausbildung etc. stellt mich sicher niemand ein.
    Ob und wie ich in der Schule weiter machen kann weiß ich derzeit auch nicht.


    Das Problem ist, das ich mit dem Wunsch in eine soziale Richtung zu gehen aus so gut wie allen Maßnahmen raus falle. Alles schon versucht bzw. abgeklärt.
    Du kannst dir nicht vorstellen wie ätzend das ist, wenn man immer nur gegen Wände rennt, obwohl man wie ich sogar Unterstützung von "Fachpersonen" hat. Also wie eben von der Beratungslehrerin die meine Freundin ist oder vom Berufshelfer (der für andere schon einiges erreichen konnte, aber da war es eben nie der soziale Bereich).


    Ich denke, das wäre dann aber wieder ein anderes Thema und hat jetzt nichts direkt mit der Werkstatt zu tun.
    Ich bleibe bei meiner Meinung das es für viele wirklich eine Einbahnstraße bleibt, weil ja schon am Anfang mit der 3-Jahres-Verpflichtungen Türen geschlossen werden. Und das eben gerade durch die Menschen mit psychischer Erkrankung und eingeschränkter Belastbarkeit fast nichts anderes bleibt, als in eine Werkstatt zu gehen. Wirkliche Alternativen gibt es kaum.

  • Trixi, ich finde es so schade, dass du keine Möglichkeit erhältst.
    Ich erlebe dich hier im Forum so klar, deutlich und auch reif.


    Ich wusste noch gar nicht, dass man sich für die Werkstatt drei Jahre verpflichten muss. Das ist ja echt heftig und wirkt wie ein Klotz am Bein. Das kann ja eher Chancen verhindern.


    Ich würde den Kindergartenbereich nicht kategorisch ausschließen.
    Für eine Ausbildung ist es vielleicht noch zu früh, aber es müsste doch möglich sein, dass dir ein abgespecktes Praktikum ermöglicht wird z.B. ein halbes Jahr lang drei Stunden täglich im Kindergarten arbeiten, oder an drei Tagen in der Woche.
    Dann könntest du schauen, ob du für diesen Bereich geeignet bist und du kannst dann auf diese Erfahrung aufbauen.
    Es ist schon so, dass man in diesem Bereich psychisch stabil sein muss. Ich denke, du müsstest erst einmal so arbeiten, dass du keine volle Verantwortung übernehmen musst.
    Ohne Ausbildung darfst du das ohnehin nicht. Es gibt im Kindergartenalltag viele Nischen, die du dir zueigen machen und somit die Erzieher entlasten könntest.
    Es gibt Kindergärten, die für solche Vorhaben recht offen sind und mit dir ehrlich besprechen, ob du für diesen Bereich geeignet wärst.

  • *lach* Ich habe schon mehrere Praktikas in Kindergärten gemacht. Ich weiß, das ich für diesen Bereich geeignet bin.
    Witzigerweise kann ich viele Dinge, wenn ich die Verantwortung für einen anderen Menschen habe, die ich für mich selber nicht kann. Warum das so ist, weiß ich ehrlich gesagt selber nicht. In der Situation allerdings wo ich die Verantwortung habe (und sei es auch nur für 5 Minuten und selbst wenn irgendwer im Hintergrund ist der noch mehr Verantwortung hat) dann funktioniert das.


    Ich denke nur, das es hier in der Nähe keinen geeigneten Kindergarten für mich gibt. So stinknormale Kindergärten finde ich nämlich sehr anstrengend. Ich hab echt keine Lust ständig mit einem Kind irgendein Spiel zu spielen. Die üblichen Gesellschaftsspiele mag ich nicht so wirklich.


    Was ich schon überlegt habe, wäre als Praktikantin in die Werkstatt hier in der Straße zu gehen. So weit ich das mit bekommen habe, sind dort hauptsächlich körperlich und geistig behinderte Menschen.
    Das Problem ist einfach, das ich nur eingeschränkt alleine mobil bin. Ich kann nicht selbstverständlich von A nach B kommen. Nur gewisse Strecken sind möglich.

  • Trixi, dann bist du ja schon erfahren im Kitabereich. :)


    Die Idee mit der Werkstatt finde ich gut. Nur nicht aufgeben! Hartnäckigkeit wird oftmals belohnt.
    In der Werkstatt meines Sohnes gibt es verschiedene Angebote außerhalb der Arbeitszeiten z.B. Theatergruppe, Fußballgruppe, Kreativgruppe, Schreibgruppe usw.
    Vielleicht gibt es solche Gruppen auch in anderen Werkstätten und du könntest solch eine Gruppe übernehmen. Könntest du dir das vorstellen?

  • Ich war zwar nie in einer Behindertenwerkstatt, aber von 2002 -2004 war ich in einem sog. "Integrationsbetrieb" beschäftigt, der Arbeitsplätze für Menschen mit psychicher Behinderung anbietet. Wie man das damals eingeordnet hat, weiß ich nicht, aber ich glaube, esl zählte zum zweiten Arbeitsmarkt.


    Dorr musste ich einfache Tätigkeiten aus den Bereichen Verpackung, Konfektionierung, Druckerei und Buchbindung ausführen. Intellektuell hat mich das nicht ausgefüllt, aber meinem Selbstbewustsein tat es gut, denn ich hatte eine regelmäßige Tagesstruktur und mustse nicht mehr den ganzen Tag zu Hause sitzen. Außerdem bekam ich ein kleines Taschengeld (damals max. 630,-DM Im Monat) und war nicht mehr ausschließlich von meiner Mutter und den Behörden abhängig. Auch diese Erfahrung war sehr wichtig für mich.


    Die Arbeit im Integrationsbetrieb war mir schlussendlich auch ein wichtiges "Sprungbrett" für meine spätere Ausbildung im Berufsförderungswerk, die ich mir nicht ohne weiteres zugetraut hätte, wenn man mich ohne jede Vorerfahrung ins "kalte Wasser" geschmissen hätte. Inzwischen arbeite ich auf dem ersten Arbeitsmarkt und habe mich seither kontinuierlich weiterentwickelt. Der ganze lange Weg fing damals an mit meiner bescheidenen Aushilfstätigkeit im Integrationsbetrieb. Heute wäre das absolut nichts mehr für mich (da wäre ich total unterfordert), aber ohne diese Zeit stünde ich ich womöglich nicht da, wo ich heute bin.


    Vielelicht ist mein Fall untypisch, aber ich finde es schon sehr wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt und habe das für mich selbst nicht als "Abstellgleis" oder als Sackgasse erlebt. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es in vielen Fällen anders verläuft und verstehe die Skepsis und die Vorbehalte in dem verlinkten Artikel.

  • Darius, ich glaube das was du gemacht hast, ist nicht direkt vergleichbar mit einer Werkstatt.


    Ich hatte damals tatsächlich überlegt in eine Werkstatt zu gehen. Noch bevor ich mich entschieden habe, wurde mir bereits gesagt das ich min. 3 Jahre dort bleiben muss. Ich persönlich finde das eine Horrorvorstellung irgendwo bleiben zu müssen für eine so lange Zeit. Mag sein das ich vielleicht sogar tatsächlich diese 3 Jahre gebraucht hätte... Aber wenn nicht, wäre ich da nicht so einfach raus gekommen.


    Und ja, ich finde es mehr als erschreckend, das die Anzahl der Menschen die es von der Werkstatt auf den 1. Arbeitsmarkt oder wieder dahin schaffen, so gering ist.
    Irgendwie ja auch logisch, denn die Werkstätten wollen ja eigentlich keine Arbeiter verlieren, weil Behinderten ja dort für Arbeitsplätze etc. sorgen. Das System ist also in sich irgendwie bisschen sehr schräg.

  • Ich hatte damals tatsächlich überlegt in eine Werkstatt zu gehen. Noch bevor ich mich entschieden habe, wurde mir bereits gesagt das ich min. 3 Jahre dort bleiben muss. Ich persönlich finde das eine Horrorvorstellung irgendwo bleiben zu müssen für eine so lange Zeit. Mag sein das ich vielleicht sogar tatsächlich diese 3 Jahre gebraucht hätte... Aber wenn nicht, wäre ich da nicht so einfach raus gekommen.


    Echt Trixi? :eek Dass man für drei Jahre verpflichtet wird, dort bleiben zu müssen, ist in der Tat eine Horrorvorstellung. Was passiert, wenn man sich weigert? Werden einem dann Leistungen verwehrt oder gestrichen?

  • @Ella Keine Ahnung. Ich hab diesen Weg den gar nicht mehr weiter verfolgt. Vielleicht war es auch eine falsche Aussage. Ich hab das nur gehört und nachdem ich auch schon wusste das man in so ner Werkstatt irgendwie jeden Tag das gleiche macht, hat sich das für mich alles erledigt.
    Das ich nicht der Weg den ich gehen möchte. Lieber sitz ich unglücklich Zuhause, als mich in so ein System einzufügen das ich für mich einfach so gar nicht passend finde.

  • ...."Die Bundesregierung hat, in einer wissenswerten 12seitigen Antwort,
    die Interpretation zurückgewiesen, dass Werkstätten für behinderte
    Menschen (WfbM) eine berufliche Sackgasse ohne ausreichende
    Perspektiven für die dort Arbeitenden sind."...
    https://de-de.facebook.com/Hei…ege/posts/996534483783064


    Antwort
    der Bundesregierung
    07.06.2017
    Qualifizierung in Werkstätten für behinderte Menschen und
    Übergangsmöglichkeiten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
    http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/126/1812680.pdf



    Auf Seite 12 steht auf die Frage zu § 102:


    29. Wieso hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf zum Bundesteilhabegesetz


    in § 102 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch einen Vorrang der Leistungen


    zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgeschlagen, und hält sie Arbeit in jedem


    Fall für die beste Tagesstruktur?



    Die Regelung des § 102 Absatz 2 SGB IX-neu hat ausschließlich zum Ziel, eine


    klare Abgrenzung der einzelnen Leistungen zu treffen, um Doppelleistungen zu


    vermeiden. Bei einer Werkstattbeschäftigung konzentrieren sich die Leistungen


    im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen nicht auf die


    Beschäftigung selbst. Sie beinhalten auch begleitende Hilfen zum Erreichen der


    umfassenden Zielsetzungen wie beispielsweise pädagogische Hilfen, Mobilitätshilfe


    oder Arbeitsassistenz. Nur diese begleitenden Hilfen gehen den Leistungen


    zur Sozialen Teilhabe vor. Darüber hinausgehende Leistungen zur Sozialen Teilhabe


    werden durch die Regelungen nicht ausgeschlossen.






    Viele Grüße
    Monika